Experten informierten zu: Meningokokken- und Pneumokokkenimpfung
Impfungen bei Immunschwäche senken Risiko für schwere Krankheitsverläufe
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt Menschen mit einem geschwächten Immunsystem einen möglichst weitreichenden Impfschutz. Der Grund: Infektionskrankheiten können bei ihnen einen schwereren Verlauf nehmen als bei Menschen mit gesundem Immunsystem. Betroffen sind sowohl Menschen mit angeborener Immundefizienz als auch Menschen, deren Immunabwehr aufgrund einer anderen Erkrankung oder einer Therapie mit bestimmten Medikamenten geschwächt ist. Dazu zählen zum Beispiel Patienten mit rheumatoider Arthritis oder Patienten, die in onkologischer Behandlung sind. Im Mittelpunkt des Lesertelefons stand der Schutz vor einer Ansteckung mit bakteriellen Krankheitserregern wie Meningokokken oder Pneumokokken, die eine Hirnhautentzündung, Lungenentzündung oder Blutvergiftung auslösen können. Die wichtigsten Fragen und Antworten hier im Überblick:
Welche Menschen oder Patientengruppen sind mit der Impfempfehlung der STIKO gemeint?
Dr. med. Bettina Schraut: Zum einen sind dies Menschen mit einer angeborenen Immunschwäche, zum Beispiel einer schweren kombinierten Immundefizienz (SCID) oder einem Immunglobulinmangel. Zum anderen sind Betroffene mit einer erworbenen Immunschwäche gemeint. Dies können zum Beispiel eine HIV-Infektion sein, eine Autoimmunkrankheit wie die rheumatoiden Arthritis, der Systemische Lupus erythematodes oder Multiple Sklerose. Auch andere chronisch-entzündliche Erkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa zählen dazu. Und drittens sollten Patienten, die dauerhaft immunschwächende Medikamente einnehmen, besonders auf ihren Impfschutz achten. Zu diesen Medikamenten gehören unter anderem Glukokortikoide, Basistherapeutika, Biologika, Chemotherapeutika oder Medikamente nach Transplantation.
Kann man Menschen mit einer Immunschwäche überhaupt erfolgreich impfen?
Dr. med. Ulrich Enzel: In der Tat vermuten viele Menschen, dass eine Immunschwäche eine erfolgreiche Impfung verhindern oder gar eine Gefahr von der Impfung ausgehen könnte. Aber: Eine Immunschwäche bedeutet nicht die Reaktions-Unfähigkeit des Immunsystems. Bei fast allen Arten von Immunschwäche kann das Immunsystem auf Impfstoffe so gut antworten, dass eine sicher schützende Immunabwehr aufgebaut werden kann – und dies ohne ernsthafte Nebenwirkungen oder Folgeschäden. In einigen Fällen muss für eine ausreichende Immunantwort nachgeimpft werden. Auf der anderen Seite sind immungeschwächte Personen um ein Vielfaches stärker gefährdet, an einer lebensbedrohlichen Pneumokokken- oder Meningokokkeninfektion zu erkranken, gegen die gut verträgliche Impfstoffe sie sicher schützen könnten.
Wie hoch ist das Ansteckungsrisiko bei Meningokokken und Pneumokokken – und wie steckt man sich an?
Dr. med. Bettina Schraut: Beide Bakterienarten werden über eine Tröpfcheninfektion übertragen, also zum Beispiel beim Sprechen, Husten, Niesen oder beim Küssen. Meningokokkeninfektionen sind in Deutschland eher selten, doch oftmals verlaufen sie schwer – als Entzündung der Hirnhäute oder als Blutvergiftung. Pneumokokken kommen insgesamt häufiger vor; wobei ein kleiner Teil der Pneumokokken-Stämme Krankheiten wie Mittelohrentzündungen, Nasen-Nebenhöhlen-, Lungen- und Hirnhautentzündungen verursachen kann. Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich etwa 5.000 Menschen an einer Pneumokokkeninfektion sterben.
Warum sind Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis besonders gefährdet?
Dr. med. Franziska Wiesent: Bei einer rheumatoiden Arthritis kommt es zu einer Fehlregulation des Immunsystems. Diese führt, abhängig von der Krankheitsaktivität, zu einer vermehrten Infektneigung. Verstärkt wird dieser Effekt durch häufig vorhandene Komorbiditäten wie zum Beispiel einem Diabetes mellitus. Je nach Krankheitsaktivität werden zur Behandlung dieser autoimmun vermittelten Erkrankung mehr oder weniger starke Immunsuppressiva eingesetzt, die ihrerseits über eine Schwächung des Immunsystems das Infektionsrisiko nochmals erhöhen.
Erhöhen auch andere rheumatische Erkrankungen das Risiko für eine bakterielle Infektionskrankheit?
Dr. med. Franziska Wiesent: Alle systemischen rheumatischen Erkrankungen, bei deren Entstehung Autoimmunität eine Rolle spielt und die immunsuppressiv behandelt werden, gehen mit einer erhöhten Infektneigung einher. Zu diesen Erkrankungen zählen neben der rheumatoiden Arthritis die Gruppe der Spondyloarthritiden einschließlich der Psoriasisarthritis und des Morbus Bechterew, die Kollagenosen, die Vasculitiden und andere mehr. Wie stark die Erkrankung die Infektanfälligkeit erhöht, ist individuell sehr unterschiedlich.
Welche Medikamente können die Immunabwehr herabsetzen?
Dr. med. Til Ramón Kiderlen: Zum einen die in der Rheumatologie eingesetzten Medikamente, bei denen eine Abschwächung der körpereigenen Immunantwort Teil der gewollten Wirkung ist. Zum anderen werden in der Behandlung von Krebserkrankungen Medikamente eingesetzt, bei denen eine Schwächung des Immunsystems – und damit eine erhöhte Infektanfälligkeit – ein ungewollter, aber unvermeidbarer Nebeneffekt ist. Ein weiteres wichtiges, zur Behandlung vieler Erkrankungen eingesetztes Medikament ist das Kortison. Besonders in der systemischen Langzeitbehandlung schwächt Kortison das Immunsystem deutlich.
Kann eine Impfung auch während einer Chemo- oder Strahlentherapie erfolgen?
Dr. med. Til Ramón Kiderlen: Ein ganz klares Ja. Zwar ist hier ein reduziertes Impfansprechen nicht auszuschließen, aber bei fast allen Therapien spricht der potenzielle Nutzen für eine Impfung. Es gibt nur einige wenige Therapien, bei denen meist gar kein Schutz nach Impfung zu erwarten ist. Hierzu gehören einige Antikörper-Therapien. Auch nach Stammzelltransplantationen muss sich das Immunsystem erst wieder erholen.
Sind alle Impfstoffe grundsätzlich auch für Personen mit geschwächtem Immunsystem geeignet?
Dr. med. Til Ramón Kiderlen: Alle so genannten Totimpfstoffe können grundsätzlich gegeben werden. Wie der Name sagt, enthalten sie keine vermehrungsfähigen Krankheitserreger mehr, und sind entsprechend diesbezüglich unbedenklich. Dennoch genügt dieser Anreiz dem Immunsystem, um eine Immunantwort zu entwickeln. Lebendimpfstoffe sollten bei Immunschwäche hingegen eher vermieden werden. Sollte aus irgendeinem Grund die Impfung mit einem Lebendimpfstoff notwendig sein, müssen Nutzen und Risiko unter Beachtung des Immunstatus ärztlich abgewogen werden.
Welche Impfungen werden immungeschwächten Patienten von der STIKO noch empfohlen?
Dr. med. Ulrich Enzel: Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat aktuell zu allen Impf-Fragen für die Gruppe der Menschen mit Immunschwäche Stellung genommen. Dabei empfiehlt sie, alle Impfungen ihrer allgemeinen Empfehlung durchzuführen und führt die wenigen Impfungen auf, die bei Immunschwäche nicht verabfolgt werden sollen. Am dringlichsten empfiehlt die STIKO Impfungen gegen die bedrohlichen, durch Pneumokokken, Meningokokken, Hämophilus influenzae (Hib), Influenza und Hepatitis B verursachten Krankheitsbilder sowie gegen Herpes zoster.
Sollen sich auch die täglichen Kontaktpersonen der immungeschwächten Patienten impfen lassen?
Dr. med. Bettina Schraut: Ja, auch Personen, die in engem Kontakt zu Immungeschwächten stehen, wird von der STIKO ein vollständiger Impfschutz empfohlen. Dazu zählen neben den von der STIKO aufgeführten Standardimpfungen unter Umständen auch weitere Impfungen, zum Beispiel gegen Varizellen oder Influenza.
Was hat es mit den verschiedenen Serogruppen bei der Meningokokken-Impfung auf sich?
Dr. med. Ulrich Enzel: Zum einen sind die verschiedenen Gruppen in einzelnen Regionen der Welt äußerst unterschiedlich verteilt. So überwiegt nach Angaben des Robert Koch Instituts in Deutschland mit etwa 60 Prozent die Serogruppe B. Zum anderen führen die verschiedenen Gruppen zu Krankheitsbildern mit teilweise unterschiedlichem Schweregrad, die bei Immungeschwächten jedoch immer potenziell lebensbedrohlich sind. Nicht zuletzt erfordert jede Serogruppe einen eigenen, gegen sie speziell gerichteten Impfstoff. Gegen die Gruppen A, C, W, Y steht ein Kombinationsimpfstoff zur Verfügung; gegen Gruppe B muss getrennt geimpft werden.
Lässt sich die Wirksamkeit einer Impfung überprüfen?
Dr. med. Franziska Wiesent: Ja und nein. Bei einzelnen Impfungen können wir die Impfantwort überprüfen, indem wir die Konzentration der im Blut vorhandenen Antikörper gegen den jeweiligen Erreger messen – den so genannten Impftiter. Beispiele sind die Bestimmung der Impfantikörper nach Hepatitis B- oder Tetanusimpfung. Valide Tests stehen aber nur bei einem Teil der Impfungen zur Verfügung. Oft ist unklar, ab welchem Impftiter ein ausreichender Schutz besteht oder ob die gemessenen Antikörper auch funktionieren.
Die Expertinnen und Experten am Lesertelefon waren:
• Dr. med. Franziska Wiesent; Fachärztin für Innere Medizin, Schwerpunkt Rheumatologie, Zusatzbezeichnung Akupunktur, Endokrinologikum München
• Dr. med. Bettina Schraut; Fachärztin für Innere Medizin, Notfallmedizin, Diabetologin DDG, Aschheim
• Dr. med. Ulrich Enzel; Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Zusatzbezeichnung Allergologie, Autor von Fachpublikationen zum Thema Prävention u.a. im Bereich Impfwesen, Heilbronn
• Dr. med. Til Ramón Kiderlen; Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie, Onkologie, Infektiologie, Notfallmedizin, Oberarzt am Vivantes Klinikum Neukölln – Klinik für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin
Weitere Informationen unter:
www.rki.de (Robert Koch-Institut)
www.wirfuersimpfen.de (Pfizer)
www.impfen-info.de (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung)
Dieses Lesertelefon wurde durch die Pfizer Pharma GmbH unterstützt.
Autor:Kraichgau News Ratgeber aus Bretten |
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