"Vielfalt, die Kraichtal ausmacht"
Bürgermeister Tobias Borho im großen Jahresinterview
Wie in vielen anderen Kommunen stehen auch in Kraichtal Bildung, Verkehr und Schaffung von Wohnraum im Mittelpunkt. Über diese und weitere Themen sprach Brettener Woche-Redakteurin Havva Keskin mit Bürgermeister Tobias Borho.
Herr Borho, wie sieht es mit der neuen Kindertagesstätte am Gaisberg in Unteröwisheim aus, wie ist dort der aktuelle Stand?
Da hat uns das Bundesverwaltungsgericht mit dem 13b-Urteil leider einen Knüppel zwischen die Beine geworfen. (Anm. d. Red.: Das Bundesverwaltungsgericht hat im Juli entschieden, dass beschleunigte Bauverfahren nach Paragraf 13b Baugesetzbuch gegen Europarecht verstoßen. Als Konsequenz des Urteils müssen alle noch nicht abgeschlossenen Paragraf 13b-Bebauungspläne ins Regelverfahren überführt werden.) Deshalb wurde das Projekt vorübergehend auf Eis gelegt, bis es rechtlich auf sicheren Füßen steht. Der Gemeinderat hat uns, also die Stadtverwaltung, außerdem beauftragt, mögliche Alternativen zu prüfen. Im Januar werden wir die Ergebnisse dem Gemeinderat vorstellen, der dann über den weiteren Verlauf entscheidet.
Mit Alternativen meinen Sie ...?
Das betrifft die Anzahl der Betreuungsplätze und den zeitlichen Horizont.
Aber zurück zum 13b-Urteil: Das ist genau ein Beispiel dafür, wie ein Urteil oder eine Entscheidung aus Berlin uns auf kommunaler Ebene erhebliche Probleme bereitet. Dieses Urteil war, freundlich ausgedrückt, eine große Wohnraumvernichtungsmaschine.
Aus welchen Gründen wurde das ehemalige Schul- und Rathausgebäude in Landshausen an die Campus Impact gGmbH aus Stuttgart verkauft? Welche Überlegungen spielten dabei eine Rolle?
Nach der Schließung der Grundschule Landshausen und der Zusammenlegung mit der Grundschule "Am Wasserschloss" in Menzingen stand das Schulgebäude einige Jahre leer. Auf meinen Vorschlag hin beauftragte der Gemeinderat uns, für das leerstehende Gebäude Nutzungskonzepte zu finden. Nach Gesprächen mit dem privaten Schulbetreiber, der als gemeinnütziges Bildungsunternehmen ein größeres Gelände und Gebäude suchte, sowie mit den Fachbehörden, haben wir dem Gemeinderat vorgeschlagen, das Gebäude zu verkaufen.
Es ist schön, dass das Gebäude wieder belebt wird und nicht mehr leer steht. Zum anderen ist es erfreulich, dass wir hier eine in der Region bekannte Schule ansiedeln – in diesem Fall eine Grund- mit Realschule. Die private Betreibergesellschaft freut sich über mehr Platz für ihre Schüler und über die schöne Lage. Die Schule und damit die Schülerinnen und Schüler, welche aus der ganzen Region nach Landshausen kommen werden, bringen natürlich auch Leben, Veränderungen und neue Ideen in den Ort. Bereits jetzt gibt es schon Überlegungen für Kooperationen mit Vereinen und lokalen Unternehmen. Es ist also eine Win-win-Situation für alle.
Besonders freut mich, dass die Betreibergesellschaft auf meinen Vorschlag eingegangen ist und das Schulgeld für Landshäuser Schüler erlassen hat.
Wie sieht der Zeitplan aus?
Nächstes Jahr nach den Sommerferien soll es losgehen. Ich bin zuversichtlich, dass die Schule in Landshausen gut angenommen wird – und dann auch lange bleibt. Das Schöne ist, dass wir dort jetzt einen Schulträger haben werden, der über 25 Jahre Erfahrung hat.
Angesichts der Herausforderungen durch die wiederholten Vandalismus-Vorfälle: Wie sehen Sie die Zukunft des Tante-M-Ladens in Menzingen?
Wir haben uns sehr gefreut, als im März 2023 der Tante-M-Laden in Menzingen eröffnet wurde. Als Stadt haben wir das nach Kräften unterstützt und sind froh, dass unsere Bemühungen und das Engagement vieler Menzinger Bürgerinnen und Bürger von Erfolg gekrönt waren. Aber diese wiederholten Vorfälle von Vandalismus sind nicht nur ärgerlich, sie sind schlichtweg als Schaden für die Allgemeinheit zu sehen. Auch viele Kraichtaler Bürgerinnen und Bürger sind verärgert.
Ich stehe in engem Kontakt mit dem Inhaber, Herrn Lauber, auch um ihm Mut zu machen. Und ich hoffe, dass es durch die neue Sicherheitstechnik, die eingebaut wurde, nachdem der Laden länger geschlossen war, gelingt, den oder die Täter zu fassen. Ich wünsche Herrn Lauber und unserem Ort, dass es mit dem Tante-M-Laden weitergeht. Leider stehen diese Vorfälle in einer Kette von landesweiten Ereignissen, die nach meiner Auffassung eher auf ein großes gesellschaftliches Problem hinweisen. Private und öffentliche Einrichtungen werden beschädigt oder zerstört. Die Liste der Vorkommnisse reicht von Beschädigungen in Kirchen bis zur Zerstörung von Parkbänken und lässt sich problemlos erweitern. Die neusten Ereignisse betreffen unsere erst vor Weihnachten aufgestellten Bücherschränke, von denen einzelne innerhalb einer Woche erheblich beschädigt wurden. Hier sehen wir landesweit einen Ungeist umgehen, denn wir so nicht dulden wollen und auch nicht dulden dürfen. Meine Bitte an alle Bürgerinnen und Bürger lautet daher: Bitte melden Sie Vorkommnisse den zuständigen Behörden und lassen Sie sich von solchen Ereignissen in Ihrem Engagement für unsere Stadt nicht entmutigen.
Ein nach wie vor drängendes Thema ist der Durchgangsverkehr in den Ortsteilen. Kürzlich gab es einen Termin mit Landtagsvizepräsident Daniel Born an der L554 in Unteröwisheim. Was ist dabei herausgekommen?
Das Thema ist in Kraichtal immer präsent. Das einseitige LKW-Durchfahrtsverbot in Gochsheim hat sich bewährt und funktioniert gut – zumindest nach Aussagen der Anwohner. Im Rahmen der Glasfaserverlegung werden in Oberacker Pförtnerampeln installiert, die gezielt den Begegnungsverkehr der LKW ausbremsen werden. Mein Bürgermeisterkollege Tony Löffler aus Ubstadt-Weiher und ich drängen auch immer wieder beim Regierungspräsidium auf die B35-Querspange von Ober-/Unteröwisheim beziehungsweise den Ausbau, also den B35-Ost-Ast, und lassen da auch nicht locker. Und im Zuge dessen führe ich auch immer wieder Gespräche mit vielen Politikern auf Landes- und Bundesebene. So waren schon die Regierungspräsidentin, der Landrat und die zuständige Staatssekretärin mit mir vor Ort. Daher habe ich mich sehr gefreut, als Landtagsvizepräsident Born in Kraichtal war, um ihn darüber zu informieren, welche Möglichkeiten wir sehen, dort etwas zu verändern.
Können Sie Konkreteres nennen?
Ich kann jetzt noch nichts Konkretes sagen, da hängen noch zu viele Schrauben dran, da hier viele Akteure im Boot sind und es sich nicht um eine Gemeindestraße, sondern um eine Landesstraße handelt. Ich kann aber versichern, dass ich in regelmäßigem Austausch stehe und jeder, der nicht auf drei auf dem Baum ist, von mir auf die Probleme hingewiesen wird. Zuletzt habe ich das Problem ganz direkt bei meiner Begrüßung des Kreistags in seiner Sitzung in Unteröwisheim angesprochen. Das gefällt natürlich nicht jedem Verantwortungsträger, aber weder ich noch der Gemeinderat werden hier locker lassen.
Beim Neujahrsempfang 2023, bei dem auch alle drei Landtagsabgeordneten anwesend waren, habe ich noch einmal bekräftigt, dass dringend eine Lösung für den Verkehr dort gefunden werden muss. Insofern ist das Thema immer präsent, aber wir sind auf das Entgegenkommen der Landes-#%politiker angewiesen, da es sich eben um eine Landesstraße handelt.
Neben dem Verkehr ist auch Wohnraum ein Thema, das die Bürger bewegt. Was ist in diesem Bereich in Kraichtal geplant – Stichwort Neubaugebiete und Nachverdichtung.
In diesem Jahr haben wir sowohl das Neubaugebiet in Neuenbürg als auch das in Menzingen eröffnet. Das Ortskernsanierungsprogramm in Menzingen läuft noch bis April.
Im Gemeinderat werden wir ein neues Stadtentwicklungskonzept diskutieren, um Wachstum und Nachverdichtung zu planen. In Münzesheim geht es zum Beispiel um den Bebauungsplan Schelmenäcker zur Nachverdichtung. Dort gibt es ehemalige Siedlungshäuser mit großen Grundstücken und kleinen Häusern, wo wir durch den Bebauungsplan ermöglichen wollen, dass auch in zweiter Reihe gebaut werden kann. In Oberacker ist die Erschließung „In den Brunnengärten“ mit Bauplätzen geplant. Für Unteröwisheim-Nordwest läuft außerdem eine Baulandentwicklungsstudie mit Planungen für Wohnen und Gewerbe.
Können Sie die „große Aufregung“ um Ihre Entscheidung, auf der Liste der Freien Wähler für den Kreistag zu kandidieren, nachvollziehen?
Ich glaube, die Aufregung hielt sich insgesamt in Grenzen (lacht). Was ich wahrnehme – und ich komme logischerweise viel herum – ist, dass es viele gar nicht interessiert. Die Grundaussage, die ich jedoch immer wieder höre, ist: Der Bürgermeister von Kraichtal gehört, als Oberhaupt der größten Flächengemeinde in der Region, in den Kreistag. Punkt. Und was ich auch relativ oft höre, ist: Das sei meine Sache. Und so sehe ich das, ehrlich gesagt, auch. Ich habe auch im Bürgermeister-Wahlkampf in Kraichtal mehr als deutlich gemacht, dass ich nicht als Parteikandidat der SPD antrete.
Mir geht es darum, dass Kraichtal im Kreistag vertreten ist – das ist mein Ziel. Über die Entscheidung, auf der Liste der Freien Wähler für den im kommenden Jahr zu wählenden neuen Kreistag zu kandidieren, habe ich die SPD frühzeitig informiert. Und natürlich war das keine Entscheidung aus dem Bauch heraus. Außerdem ist es ja nicht so, dass ich meiner Partei den Rücken kehren würde. Aber ich habe mir das gut überlegt und es ist meine Entscheidung. Ich werde dadurch keine andere Politik machen als bisher.
Was sind für Sie die großen Herausforderungen, denen sich die Stadt Kraichtal im Jahr 2024 stellen muss?
Die Kinderbetreuung, in diesem Zusammenhang auch bauliche Voraussetzungen. Auch die Suche nach qualifizierten Erzieherinnen und Erzieher zur Aufrechterhaltung der Betreuungszeiten ist eine ständige Herausforderung. Das gleiche Problem haben wir bei den Schulen - Stichwort Ganztagsbetreuung. Glücklicherweise haben wir hier in Münzesheim eine sehr gut laufende Ganztagsgrundschule.
Die Entwicklung von Neubaugebieten und die Nachverdichtung wird uns auch in 2024 weiter beschäftigen. Hier ist auch die Frage, wie wir qualifiziertes Personal bekommen, für uns als öffentliche Verwaltung sehr wichtig. Das wird auch in Zukunft immer wichtiger werden. Gutes Personal zu finden, gutes Personal zu halten, wird von Tag zu Tag schwieriger.
Auch der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Ich kenne die Klagen über die Taktung der neuen Buslinie 149 von Kraichtal nach Oberderdingen. Die Planung dieser Buslinie hat rund zweieinhalb Jahre gedauert, und wir sind froh, dass sie überhaupt zustande gekommen ist, denn auch hier fehlt es an Fahrern und Fahrzeugen. Man kann mit diesem Bustakt nicht alles auffangen, das ist mir bewusst. Aber wir reden hier immer noch vom ÖPNV. Das heißt, der Bus oder die Bahn fährt so, dass es möglichst gut mit der Taktung im Gesamtnetz zusammenpasst. Das Problem, das mir geschildert wurde, ist, dass der Bus in Oberderdingen ankommt, nachdem die S-Bahn nach Bretten abgefahren ist. Der Bus ist aber so getaktet, dass man mit dem Regionalexpress nach Heilbronn kommt. Und wir mussten uns irgendwie entscheiden und der Regionalexpress fährt eben seltener. Vorher war die Anbindung nach Heilbronn quasi nicht vorhanden. Und das sind zum Beispiel für Pendler ganz andere (Auto-)Fahrstrecken als von Kraichtal nach Bretten in 20 Minuten.
Wird es 2024 Sperrungen im Verkehr geben?
Das muss das Land kommunizieren (lacht). Das Problem ist, dass die Durchgangsstraßen meistens
Landstraßen oder Kreisstraßen sind. Insofern bin ich da etwas vorsichtig, eine Aussage zu treffen. Sobald uns hierzu belastbare Informationen vorliegen, werden wir natürlich über alle unsere Kanäle die Bürgerinnen und Bürger informieren.
Was gibt Ihnen in diesen Tagen Zuversicht im Hinblick auf die Entwicklung der Stadt?
Die vielen Gespräche mit den Kraichtaler Bürgerinnen und Bürger. Gerade in der besinnlichen Vorweihnachtszeit kommt man noch mehr ins Gespräch als sonst. (Anmerkung der Redaktion: Das Gespräch wurde vor Weihnachten geführt.) Zuversichtlich stimmt mich auch das hohe Engagement der Bürger, sich einzubringen, sich für die Stadt einzusetzen, das Beste für Kraichtal zu wollen. Denn ich glaube, solange die Menschen so eingestellt sind, brauchen wir keine Angst zu haben.
Ich habe neulich ein Foto aus den USA gesehen, aus einem Arbeiterviertel. Da stand drauf: Harte Zeiten kommen und gehen, aber starke Städte bleiben. Und ich glaube, so ist auch unsere Sichtweise im Kraichgau. Ein gutes Beispiel können wir beinahe jedes Wochenende bewundern. Dann nämlich, wenn Vereine aus ganz Kraichtal das Schlosscafé in Gochsheim betreiben. Eines von vielen Beispielen aus Kraichtal, das beweist, wie die Bürgerschaft sich einbringt, um für alle einen Mehrwert zu schaffen.
Gibt es besondere Eigenarten, die Sie jedem Stadtteil zuordnen würden?
Jeder Stadtteil hat seine ganz besonderen Eigenheiten. Und das ist auch etwas Schönes. Das ist auch die Vielfalt, die Kraichtal ausmacht. Wir hatten vor Jahren den Slogan „Vereint in Vielfalt“ und ich finde, das passt unglaublich gut auf Kraichtal. Auch wenn die Stadtteile teilweise so unterschiedlich sind, auch was die Mentalität der Leute betrifft – wir raufen uns alle immer irgendwo zusammen. Und zusammenraufen heißt nicht, dass einer seine Integrität aufgibt, sondern dass man zueinander findet.
„In einer Landschaft zum Durchatmen“ heißt das Motto der Stadt. Wo ist das für Sie?
Zum einen hier in meinem Büro in Münzesheim mit Blick auf eine wunderschöne Hügelkette. Die Aussicht ist unbezahlbar und ich genieße sie sehr. Einer der Lieblingsplätze von meiner Frau und mir ist oben auf dem Wasserturm in Menzingen. Auch von dort hat man eine wunderbare Aussicht.
Die Fragen stellte Brettener Woche-Redakteurin Havva Keskin.
Autor:Havva Keskin aus Bretten |
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