Versorgung akut gefährdet
Chefärzte warnen vor Schließung von Frühgeborenen-Stationen

Die Chefärzte der Kinderkliniken in Baden-Württemberg befürchten, dass ab kommendem Jahr viele Stationen zur Versorgung von sehr kleinen Frühgeborenen schließen müssen.  | Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild
  • Die Chefärzte der Kinderkliniken in Baden-Württemberg befürchten, dass ab kommendem Jahr viele Stationen zur Versorgung von sehr kleinen Frühgeborenen schließen müssen.
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Stuttgart (dpa/lsw) Die Chefärzte der Kinderkliniken in Baden-Württemberg befürchten, dass ab kommendem Jahr viele Stationen zur Versorgung von sehr kleinen Frühgeborenen schließen müssen. Die Versorgung sei akut gefährdet, sagte Christian von Schnakenburg, Vorsitzender des Verbands leitender Kinder- und Jugendärzte Baden-Württemberg der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. «Die Versorgung von Frühgeborenen wird qualitativ deutlich schlechter werden. Ich bin hochgradig besorgt», sagte er.

Problem der Mindestmengenregelung

Hintergrund ist eine Änderung der sogenannten Mindestmengenregelung, die der gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen (G-BA) beschlossen hatte. Demnach müssen Kinderkliniken in ganz Deutschland ab 2024 pro Jahr mindestens 25 Frühgeborene unter 1250 Gramm Geburtsgewicht behandeln, um auch weiter die Versorgung der kleinen Frühgeborenen von den Krankenkassen bezahlt zu bekommen. Bislang lag die Mindestmenge bei 14 Frühgeborenen pro Jahr, in diesem Jahr gilt eine Übergangsregelung von 20.

Elf von 21 Kliniken betroffen

Einer Analyse des Chefarzt-Verbandes zufolge hätten die neuen Mindestmengen massive Auswirkungen auf die Versorgungslage in Baden-Württemberg. Bislang gibt es im Südwesten 21 Kinderkliniken, die der höchsten Versorgungsstufe Level 1 zugeordnet sind. In diesen Krankenhäusern, auch Perinatalzentren genannt, können auch besonders früh geborene Kinder versorgt werden. «Bleibt es bei der neuen Mindestmenge, würde das bedeuten, dass elf der 21 Kliniken Kinder unter 1250 Gramm nicht mehr versorgen dürften», sagte von Schnakenburg, der auch Chefarzt am Klinikum Esslingen ist.

Künftige Versorgung noch völlig offen

In den vergangenen beiden Jahren versorgten diese elf Kliniken knapp ein Drittel aller Frühgeborenen unter 1250 Gramm. Das geht aus einer Erhebung des Verbandes hervor. Wo und von wem diese Kinder künftig versorgt werden sollen, sei völlig offen, warnte von Schnakenburg. «Diese Kinder können nicht einfach auf die zehn verbleibenden Kliniken verteilt werden. Dort gibt es gar nicht ausreichend Kapazitäten, hinzu kommt der große Pflegemangel», sagte von Schnakenburg.

Rechnung nicht realistisch

Das sieht auch das Sozialministerium so. Eine rein rechnerische Betrachtung, wie sie der Bundesausschuss vornehme, halte man für nicht realistisch, sagte ein Sprecher. «Vor allem ist nicht berücksichtigt, ob die «verbliebenen» Perinatalzentren weitere Kapazitäten haben.»

Hoffnung auf Krankenhausreform

Die neuen Mindestmengen stellten das Land «vor Herausforderungen», sagte der Sprecher. Man wolle sich deswegen dafür einsetzen, beim G-BA die Aussetzung von Sanktionen zu erwirken. Langfristig setze man auf die Krankenhausreform, die Bund und Länder derzeit aushandeln. Diese könnte auch bei der Frühchenversorgung «sinnvolle Lösungen anbieten», etwa durch eine Vergütung für das Vorhalten bestimmter Strukturen.

Auswirkungen auf Notfallversorgung

Auch auf die Notfallversorgung habe die Neuregelung Auswirkungen, erklärte Chefarzt von Schnakenburg. Die Notfallversorgung für Schwangere und Frühgeborene bleibe zwar weiter gesichert, Mütter könnten ihre Kinder also auch weiter in einer der elf bedrohten Kliniken auf die Welt bringen. «Direkt nach der Geburt müssten wir das Kind aber so schnell wie möglich in eine andere Klinik verlegen», sagte von Schnakenburg. Das sei mit großen Risiken für die kleinen Frühgeborenen verbunden. «Eigentlich sollte man die Kinder in den ersten drei Tagen nicht herumfahren, weil das Risiko für Hirnblutungen in dieser Zeit sehr hoch ist.»

"Kollateralschäden, die überhaupt nicht bedacht werden"

Unklar sei zudem, was der Wegfall vieler Frühgeborenen-Stationen für die Notfallversorgung in anderen Kliniken bedeute. Bislang müssen nur Perinatalzentren einen sogenannten Babynotarzt vorhalten. Mit diesem fahren Kinderärzte aus den Zentren bei Notfällen in Geburtskliniken ohne Kinderklinik, um dort Kinder nach der Geburt zu versorgen. «Es gibt viele Kinder, die wegen einer Nabelschnurumschlingung oder einer Anpassungsstörung maximal intensivmedizinisch versorgt werden müssen», sagte von Schnakenburg. Diese Kinder müssten bei einem Wegfall vieler Frühgeborenen-Stationen deutlich länger auf Hilfe warten, warnte der Chefarzt. «Das sind Kollateralschäden, die überhaupt nicht bedacht werden.»

Autor:

Kraichgau News aus Bretten

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