"Chance wurde nicht genutzt"
Landtag lehnt „Ländle leben lassen“ ab
Bretten/Region (hk) Der Volksantrag „Ländle leben lassen“ wurde kürzlich im Landtag von Baden-Württemberg abgelehnt. Trotz der Unterstützung von über 53.000 Menschen, weit mehr als die erforderlichen Unterschriften, fand der Antrag keine Mehrheit. Das zentrale Anliegen war es, den Flächenverbrauch im Land zu reduzieren und die im Koalitionsvertrag festgelegten Flächensparziele umzusetzen.
Diese Entscheidung wird von den Initiatoren, einem Bündnis aus über 20 Naturschutz- und Landwirtschaftsverbänden, darunter der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), kritisch gewertet. Norbert Fleischer vom NABU Bretten bringt seine Enttäuschung deutlich zum Ausdruck: „Unsere Erwartungen an die Kompromissbereitschaft der Regierung und an die Anzahl der Unterschriften lag viel höher.“ Für ihn stellt sich die Frage, wie die Regierung entschieden hätte, wenn statt 53.000 beispielsweise 500.000 Unterschriften zusammengekommen wären. In diesem Fall, so vermutet er, wäre der öffentliche Druck wesentlich größer gewesen und die Chance auf einen Kompromiss zwischen den Forderungen der Verbände und denen der Regierung hätte bestanden.
Letztlich sei es offenbar nicht gelungen, die Bürger von einer Notwendigkeit der Unterschrift zu überzeugen. „Mein Eindruck ist, dass sich viele Bürger über den Flächenverbrauch aufregen, allzu scharfe Regeln wollen sie dann aber häufig doch nicht“, so Fleischer.
„Alles nur Lippenbekenntnisse“
Auch Gerhard Dittes vom BUND Bretten zeigt sich frustriert über die Ablehnung: „Über die Entscheidung des Landtages sind wir natürlich sehr enttäuscht.“ Man habe die Landesregierung in die Pflicht nehmen wollen, ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag von 2021 zur Reduktion des Flächenverbrauchs einzulösen und Obergrenzen für den Neuverbrauch gesetzlich zu verankern.
"Als Schutzziel ist festgelegt, den Flächenverbrauch zunächst auf 2,5 Hektar pro Tag und bis 2035 auf Netto-Null zu begrenzen", erklärt Dittes. Aber auch drei Jahre später würden in Baden-Württemberg immer noch 4,6 Hektar Fläche pro Tag bebaut. „Es geht also kurz- und langfristig weiter wie bisher, das heißt der Flächenverbrauch in Baden-Württemberg und damit auch in Bretten kann unbegrenzt weitergehen“, zeigt sich auch Fleischer ernüchtert. Eine feste Obergrenze als Steuerungsmöglichkeit, die Einfluss auf den Landesentwicklungsplan und damit auf alle Regionalpläne – und damit auch auf den Flächennutzungsplan in Bretten – gehabt hätte, wurde nicht genutzt.
Der Landtagsbeschluss stehe auch im Widerspruch zu den Grundsätzen der Landesregierung, insbesondere des Umweltministeriums, wonach Natur und biologische Vielfalt im Land zu schützen seien, so Dittes. Er fasst zusammen, dass diese Diskrepanz „alles nur Lippenbekenntnisse“ seien und die Nachhaltigkeit „weiterhin mit Füßen getreten“ werde.
Auch wenn dem Trägerbündnis laut Dittes bewusst gewesen sei, dass es sich mit seinen Forderungen nicht vollständig durchsetzen könne, habe man zumindest erwartet, dass die Landesregierung – ähnlich wie beim Volksbegehren „Rettet die Bienen“ – Kompromissvorschläge unterbreiten würde. Aber: "Nichts dergleichen geschah."
Die Brettener Naturschützer warnen vor den dramatischen Folgen dieser Entwicklung. Durch die fortwährende Versiegelung von Böden würden Lebensräume und damit Biotope unwiderruflich verloren gehen. Und den Bauern fehlten landwirtschaftlich nutzbare Böden. "Der Boden ist eine endliche Ressource, mit der verantwortungsbewusst und sparsam umgegangen werden muss", appelliert Dittes. Insbesondere jahrhundertealte, artenreiche Biotopstrukturen wie Streuobstwiesen gingen zunehmend verloren. Räumliche Korridore, insbesondere für die heimische Tierwelt, würden langfristig eingeschränkt werden. Als konkretes Beispiel für die Zerschneidung von Lebensräumen nennt Dittes die geplante Südwestumfahrung in Bretten.
Schon jetzt breiten sich wärmeliebende Tierarten aus – mit noch nicht absehbaren Folgen für den Naturhaushalt: Kräuseljagdspinne, Marmorzitterspinne, Asiatische Mörtelbiene, Asiatische Hornisse, Grüne Reiswanze und die Spinnenassel seien hier bereits heimisch geworden.
Viele gute Ansätze, um dem Flächenverbrauch entgegenzuwirken
Versiegelte Flächen heizen sich auf und tragen so zur Klimaerwärmung bei. „Beton, Asphalt, Pflastersteine, Hausfassaden und Dachziegel wirken bei Sonneneinstrahlung wie Heizplatten“, erklärt Dittes. Wetterextreme wie Hochwasser, Stürmen und Trockenheit würden zunehmen. Gleichzeitig werde weniger Grundwasser neu gebildet, da Regenwasser nicht oder nur schwer in den Boden eindringen könne. „Schaut man in Baden-Württemberg auf die letzten 50 Jahre, so haben die letzten zwei Generationen so viel neue Siedlungsfläche in Anspruch genommen, wie 80 Generationen zuvor“, verdeutlicht Dittes. "Die Lebensqualität nimmt ab", fasst es auch Fleischer zusammen. Trotz des Wissens um die gravierenden Folgen fehle die Bereitschaft zur Veränderung.
Dabei gibt es, wie Dittes erklärt, bereits viele gute Ansätze, um dem Flächenverbrauch entgegenzuwirken. „Ein wichtiger Schritt ist die Bebauung der noch vorhandenen Bauplätze in bestehenden Baugebieten“, meint er. Darüber hinaus gebe es viele leerstehende Wohnungen und Gebäude, auch in Bretten und seinen Stadtteilen. Einige Kommunen würden gezielt darauf setzen, Hauskäufer und -verkäufer zusammenzubringen. „Und beim Kauf alter Gebäude gibt es einen Zuschuss für den Käufer“, erläutert Dittes.
Auch die Aufstockung und Umnutzung von Bestandsbauten bieten flächenschonende Alternativen zur Schaffung von Wohnraum. Darüber hinaus spielen Entsiegelungsmaßnahmen gerade in verdichteten urbanen Gebieten eine zentrale Rolle. Beispielsweise könnten Parkflächen entsiegelt und begrünt werden. Ein Entsiegelungskataster könnte helfen, bereits entsiegelte oder potenziell entsiegelbare Flächen zu identifizieren. Für jede zusätzliche Neuversiegelung könnte dann eine entsprechend große Fläche entsiegelt werden. Ein weiterer Ansatz liege in der Förderung von Mehrfamilien- und Reihenhäusern anstelle von Einfamilienhäusern. In einigen Kommunen Deutschlands sei der Bau von Einfamilienhäusern bereits stark reglementiert oder gar verboten, berichtet der Vorsitzende der BUND-Ortsgruppe.
"Ein Aufgeben gibt es nicht"
Auch wenn die Arbeit für die Naturschützer jetzt nicht leichter wird, entmutigen lassen wollen sie sich keinesfalls. "Wir waren viele Stunden auf dem Marktplatz und diversen anderen Plätzen präsent, aber der gewünschte Erfolg ist leider ausgeblieben. Trotzdem: Es geht weiter, ein Aufgeben gibt es nicht. Und auch die Arbeiten in unseren Arbeitskreisen gehen weiter", stellt Fleischer vom NABU klar, wobei der Schwerpunkt der Brettener Ortsgruppe bei der Teilfortschreibung des Regionalplans zur Windenergie mehr auf dem speziellen Artenschutz als auf dem Flächenschutz liege.
Und der Vorstand der BUND-Ortsgruppe, Gerhard Dittes, fragt rhetorisch: „Stecken wir jetzt den Kopf in den Sand?“ Für ihn ist die Antwort klar: „Nein, natürlich nicht.“ Zudem soll von der Landesregierung in absehbarer Zeit der Entwurf des „Aktionsplans Flächensparen“ veröffentlicht werden. Der BUND werde diesen Entwurf kritisch prüfen, sich in dessen Weiterentwicklung einbringen und die Ergebnisse genau beobachten. Der Vorstand der NABU-Ortsgruppe hat hier noch einige Bedenken. Fleischer befürchtet, dass dieser Aktionsplan – ähnlich wie der im Jahr 2020 eingeführte Paragraph 33a zum Schutz der Streuobstwiesen – nicht viel bewirken wird. Ohne konkrete Obergrenzen für den Flächenverbrauch sehe er keine Aussicht auf Verbesserungen. "Die Chance auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den über 20 Verbänden sowie der Landesregierung war da, wurde aber von der Landesregierung nicht genutzt", kritisiert er. Für Dittes zeichnet sich derweil ab, dass der Volksantrag durchaus Wirkung gezeigt hat: „Ohne unsere Initiative wäre vom Thema Flächensparen in diesen angespannten Zeiten gar nichts mehr in den aktuellen Debatten um den Landesentwicklungsplan übriggeblieben.“
Autor:Havva Keskin aus Bretten |
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