Der Kraichtaler Bürgermeister Tobias Borho spricht über fehlenden Wohnraum, Finanzen und Gewerbeansiedlungen
"Wir sind auf einem Hardcore-Sparkurs"
Kraichtal (swiz) Der neue Bürgermeister der Stadt Kraichtal, Tobias Borho, hat es in seiner ersten Amtszeit mit einigen Mammutaufgaben zu tun. Themen wie die prekäre Finanzlage, die zunehmende Verkehrsbelastung und das Fehlen von Wohnraum fordern von dem 28-Jährigen teils auch unpopuläre Entscheidungen, wie er im Gespräch mit der Brettener Woche betont.
Im Wahlkampf haben Sie Ihre Stadt als „Baustelle Kraichtal“ tituliert, die noch nicht beendet ist. Welche Themen haben Sie in den Stadtteilen als besonders „sanierungsbedürftig“ ausgemacht?
Das sind drei klare Punkte: Zum einen ist der Verkehr eine Dauerbaustelle, dann gibt es das Thema fehlende Wohnbebauung und die Notwendigkeit der Ausweisung von neuen sowie die Erweiterung von bestehenden Gewerbegebieten.
Das Schaffen und das aktuelle Fehlen von Wohnraum sind in vielen Städten und Gemeinden ein Dauerbrenner. Wie wollen Sie diesem Problem Herr werden?
Zuerst einmal haben wir bei uns das Problem, dass beim Thema Wohnbebauung in der Vergangenheit viel zu wenig gemacht wurde. Das wollen wir jetzt ändern. Zum einen, indem wir in die Innenverdichtung gehen, zum anderen, indem wir neue Wohngebiete ausweisen. Dies ist dringend notwendig, weil die Innenverdichtung schnell an ihre Grenzen stößt. Das Problem ist unter anderem die mangelnde Bereitschaft von Besitzern, ihre Grundstücke oder leerstehenden Häuser zu verkaufen. Dazu kommt, dass bei der Schaffung von neuem Wohnraum innerhalb der Stadtteile auch Parkraum geschaffen werden muss, was ein zusätzliches Problem darstellt. Daher favorisiere ich eher das „Bauen auf der grünen Wiese“ und das wollen wir in den kommenden Jahren forcieren. Der Plan ist dabei, dass wir jedes Jahr ein neues Wohngebiet ausweisen.
Wollen Sie ein ähnliches Tempo bei der Schaffung von neuen Gewerbeflächen an den Tag legen?
In jedem Fall. Wir haben schon einige Anfragen von bereits ansässigen Firmen, die am Standort expandieren wollen. Genauso gibt es aber auch Anfragen von externen Unternehmen, die sich in Kraichtal ansiedeln wollen. Daher muss es bei den Gewerbeflächen einen Gleichklang von Erweiterung bestehender und Ausweisung neuer Flächen geben.
Ein Thema, das für viele Diskussionen sorgt, ist der mögliche Bau von Windkrafträdern in Kraichtal, speziell auf dem Landskopf. Sie hatten sich im Wahlkampf nicht kategorisch gegen die Errichtung dieser Anlagen gestellt, aber eine gewisse Skepsis an den Tag gelegt. Wie stehen Sie heute dazu?
Ich habe in der Thematik Windkraftanlagen auf dem Landskopf keine neuen Erkenntnisse oder Fakten. Daher warten wir nun alle sehr gespannt auf die neue Teilfortschreibung Windkraft des Regionalplans. Eines ist aber nach wie vor klar: Wenn die neuen Fakten vorliegen, dann müssen wir die Bürger bei der Entscheidungsfindung eng mitnehmen und zudem die Rechtsposition genau abklopfen. Die muss einwandfrei sein. Dennoch ist für mich ein möglicher Ausschluss des Landskopfes für Windkraft nicht gleichbedeutend mit dem Aus für die Windkraft in Kraichtal. Es gibt bei uns auch noch andere mögliche Standorte für Windräder. Aber, ein Windrad muss sich in erster Linie in ökologischer Hinsicht lohnen. Es macht für mich keinen Sinn, ein Windrad aufzustellen, das nur durch die Förderung des Bundes profitabel ist. In der Zwischenzeit sind wir in Kraichtal aber auch auf anderen Gebieten des Umwelt- und Klimaschutzes aktiv. Ich selbst werde zum Beispiel meinen Dienstwagen abschaffen und mit dem Fahrrad, unseren gemeindeeigenen Carsharing-Elektroautos oder der Bahn unterwegs sein.
Ein anderes wichtiges Thema ist der zunehmende Auto- und Schwerlastverkehr in Kraichtal und seinen Stadtteilen. Wie wollen Sie dieses Problem lösen, welche Schritte müssen gegangen werden?
Es gibt zwei Punkte, die wir in Kraichtal für eine dringend notwendige Verkehrsentlastung tun können. Zum einen ist das eine stetige Lobbyarbeit. Ich stehe in ständigem Austausch mit dem Landratsamt, dem Regierungspräsidium sowie unseren Bundes- und Landtagsabgeordneten und meinen Bürgermeisterkollegen, um diese für unsere Belange wachzurütteln. Zum anderen müssen wir – und das wird nicht jedem gefallen, weil es jeden trifft – die Strecken durch Kraichtal unattraktiv machen. Das geht unter anderem durch Blitzer, Fahrbahnverengungen oder auch Rüttelschwellen. Damit wollen wir aber eines klarmachen: Wir sind keine Entlastungs- und erst recht keine Rennstrecke. Dennoch ist es für mich auf lange Sicht unumgänglich, dass die B35 Ortsumfahrung Bruchsal/Ostast gebaut wird, um auch Kraichtal eine dauerhafte Verkehrsentlastung zu bringen.
Aktuell laborieren wir auch an der völlig untragbaren Verkehrssituation an der Baustelle des Kreisverkehrs an der L554. Wir befinden uns aber bereits in der Absprache mit dem Regierungspräsidium, als zuständigem Bauherren, um hier eine Lösung zu finden. Um auf die Situation aufmerksam zu machen und unverzüglich eine Erleichterung zu erreichen, habe ich mich heute früh in einem offenen Brief an die Regierungspräsidentin gewandt und die Umsetzung von Lösungsmaßnahmen verlangt.
Kommen wir zum Thema Finanzen. Kraichtal ist und war finanziell nicht auf Rosen gebettet. Die Corona-Pandemie hat dieses Problem noch verschärft. Wie sehen Sie die wirtschaftliche Lage der Stadt?
Fakt ist, wir haben in Kraichtal nur noch eine sehr geringe finanzielle Bewegungsfreiheit und die wird in den nächsten Jahren eher kleiner als größer. Um uns wieder ein wenig freizuschwimmen, haben wir nun begonnen, radikal Projekte zu streichen, deren Verwirklichung eher unrealistisch ist oder die von externen Faktoren abhängen, die wir nicht beeinflussen können. Das sind unter anderem Straßenbauprojekte oder der geplante Umbau von Immobilien. Ebenso wird der Sanierungsstau in vielen Feuerwehrhäusern und im Rathaus weiter bestehen bleiben. Um es mal ganz deutlich zu sagen: Wir sind auf einem Hardcore-Sparkurs. Das bedeutet auch, dass wir uns in den nächsten Haushaltsplänen komplett nackig machen und eruieren müssen, was die Mindestsumme an Finanzmitteln ist, mit denen wir auskommen. Danach müssen wir schauen, wo wir investieren. Da wird es dann eine Prioritätenliste geben, welche Investition uns in der Zukunft finanziell entlastet, siehe Wohnen und Gewerbe. Wir können und müssen jetzt einfach den finanziellen Turnaround schaffen.
Glauben Sie, dass die Bürger Ihnen diesen Hardcore-Sparkurs negativ auslegen?
Natürlich sind das unpopuläre Maßnahmen, die wir da treffen müssen. Aber ich kann nicht die ganze Zeit nur Entscheidungen fällen, für die ich eventuell in acht Jahren wiedergewählt werde. Natürlich will ich dann wieder als Bürgermeister antreten, aber eine mögliche Wiederwahl darf und wird nie die Grundlage meines Handelns sein. Ich werde die Ziele verfolgen, die Kraichtal in acht Jahren besser dastehen lassen als heute. Auch wenn die Maßnahmen, die dort hinführen, vielleicht manchmal unpopulär sind.
Ihr Vorgänger Ulrich Hintermayer hat in einem Interview mit der Brettener Woche betont, er habe zuletzt das konstruktive Miteinander von Gemeinderat und Verwaltung vermisst. Wie beurteilen Sie dieses Verhältnis?
Ich habe die tiefe Überzeugung, dass der Gemeinderat, die Verwaltung und ich, die Stadt Kraichtal gemeinsam nach vorne bringen wollen. Dafür gibt es eine gute Basis, aber natürlich auch unterschiedliche Denkweisen. Von daher ist man nicht immer einer Meinung, aber es braucht auch einen Diskurs, um Lösungen zu finden.
Die Fragen stellte Redaktionsleiter Christian Schweizer.
Autor:Christian Schweizer aus Bretten |
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