Kulturschaffende aus der Region erzählen von den Auswirkungen der Corona-Krise
„Angst, dass wir vergessen werden“
Bretten/Neulingen (hk) Das Coronavirus hat, wie viele andere Branchen auch, die Kulturschaffenden in der Region hart getroffen. Durch Schließungen von Kulturstätten, dem Wegfall von Honoraren oder Angeboten von kultureller Bildung und dem Ausfall von Ausstellungen war es nur eine Frage der Zeit, bis viele Künstler ihren Lebensunterhalt nicht mehr selbst bestreiten können. Wie es um die Kulturszene in Bretten und darüber hinaus in Zeiten des Coronavirus steht, erzählen Judith Fritz, Peter Gropp und Paul Negele im Gespräch mit der Brettener Woche/kraichgau.news.Die freie Zeit, so die Künstlerin Judith Fritz, nutze man, um zu planen und sich neuen Projekten zuzuwenden. Gleichzeitig würden aktuell über vielen Themen Fragezeichen stehen. „Wie hat sich das Zusammenleben verändert? Wie wird es künftig möglich sein, zusammen auf unserer kleinen Bühne, in unserem kleinen Theater zu arbeiten?“, sagt die künstlerische Leiterin des Gugg-e-mol-Theaters.
„Die Auftritte vor Publikum fehlen“
Dem „gefühlten Stillstand“ stehe der immer dringender werdende Wunsch entgegen, aktiv zu werden. „Wir arbeiten sonst sehr straff mit zeitlichen Limits. Es ist schwer, keine konkreten Termine zu haben und etwas auch in die Tat umzusetzen“, berichtet sie. Das Publikum vermisse, wie auch die Künstlerinnen und Künstler, die regelmäßigen Vorstellungen. „Viele Menschen fragen nach, rufen an oder haben über Weihnachten geschrieben“, so Fritz. Auch Paul Negele, Vorstand der „Backkörb“ in Neulingen, spricht von einer trostlosen Situation: „Die Auftritte vor Publikum fehlen. Die Angst kommt, dass wir vergessen werden“, sagt er bedrückt. Die Schauspieltruppe kann sich nicht treffen, schon gar nicht proben, ebenso wie das Kindertheater der Neulinger Theatergruppe. „Ohne Zweifel“, sagt der Vorsitzende des Jazzclubs Bretten, Peter Gropp, kurz und knapp, würden Publikum und Künstler unter dem „Entzug“ leiden, auch wenn sich einiges zwischenzeitlich ins „Netz“ verlagert habe. Immerhin gab es im Jazzclub bisher keine Mitgliedsaustritte, sondern sogar zwei Neuzugänge.
„Wichtig, vollkommen unabhängig zu bleiben“
Für die Künstler ist die Corona-Krise nicht nur mit emotionalen Ängsten verbunden, auch finanzielle Sorgen bleiben ihnen zumeist nicht erspart. Das „Gugg-e-mol“-Theater ist ein gemeinnütziger Verein und trage sich, laut Fritz, ausschließlich durch den Kartenverkauf und die Theken-Einnahmen bei Vorstellungen. „Wir arbeiten alle rein ehrenamtlich, bezahlen aber keine Mitgliedsbeiträge“, sagt sie. Natürlich seien durch fehlende Einnahmen finanzielle Nachteile entstanden. Durch den Ausfall betroffen war zum Beispiel eine Produktion für Kinder – ausgestattet mit Bühnenbild und Kostümen – die vor dem „Lockdown“ im März 2020 eine Woche vor der Premiere stand. Auch eine Abendproduktion musste abgebrochen werden. „Wir haben uns über gespendete Karten für diese ausverkauften Stücke sehr gefreut. Und aus den letzten Jahren konnten wir einen Notgroschen zurücklegen, von dem wir noch zehren“, so Fritz. Außerdem hätten verschiedene Institutionen und Privatpersonen Spenden angeboten, auf die der Verein zukommen kann, wenn er in Not gerate. Fritz betont: „Es war uns aber immer sehr wichtig, vollkommen unabhängig zu bleiben.“ Auf die staatliche Corona-Soforthilfe warte man aktuell noch. „So ganz unbürokratisch lief es dann doch nicht. Aber bei anderen Theatern ist die Lage wirklich dramatisch“, weiß Fritz.
„Wir wissen nicht, ob wir und wann wir auftreten können“
Und Jazzclub-Vorsitzender Gropp ergänzt: „Die, die sich auf die Musik eingelassen haben, denen geht es jetzt sehr schlecht.“ Bei den Neulinger Backkörb ist laut Negele durch die Corona-Pandemie ein Finanzloch entstanden, das nicht aus den Mitgliedsbeiträgen gedeckt werden könne. „Unser Mitgliedsbeitrag ist sehr niedrig, weil unsere Einnahmen aus den Theaterabenden kamen“, erklärt er. Nun müssten aber Kredite, die zum Beispiel für das neue „Theaterhäusle“ aufgenommen wurden, abbezahlt werden – ein schwieriges Unterfangen ohne Einnahmen. Unglücklich ist Negele auch darüber, dass Theaterabende abgebrochen werden mussten, obwohl viele Besucher schon Eintrittsgelder bezahlt hatten. Glücklicherweise hätten nur wenige die Eintrittsgelder zurückverlangt. „Bisher konnten wir darauf verweisen, dass die bezahlten Eintrittskarten auch 2021 gültig sind. Wir wissen jedoch nicht, ob wir und wann wir tatsächlich auftreten können und wie wir dann diese Gelder zurückbezahlen sollen“, so Negele pessimistisch.
„Warten sehnlichst auf Live-Auftritte“
Peter Gropp erklärt, dass der Jazzclub Bretten zwar aktuell nicht in finanziellen Nöten sei, ihn aber eine andere Sorge umtreibe: „Die Vereinsarbeit leidet extrem unter der Corona-Krise. Ich stelle mir die Frage, wie wir weitermachen.“ Zumindest über das Internet ist der Jazzclub mit selbst gedrehten Videos mit dem Publikum in Kontakt getreten. Hierzu habe man sogenannte zweckgebundene Förderungen des Landes für beispielsweise Kameras und Mikrofone erhalten, um Streaming-Angebote umzusetzen. „Über die große und überregionale Resonanz haben wir uns sehr gefreut, aber das Netz ist nicht für jeden etwas. Wir alle warten sehnlichst auf Live-Auftritte“, so Gropp.
„Müssen uns übergangsweise nach anderen Aufführungsorten umsehen“
Auf die Unwägbarkeiten der kommenden Veranstaltungssaison bereiten sich die Kulturschaffenden so gut wie möglich vor, zum Beispiel mit Hygienekonzepten. „Das funktioniert, wenn die Situation sich wieder etwas verbessert, um Proben aufzunehmen. Wann wir in unseren Räumlichkeiten wieder aufführen können, steht in den Sternen. Wir müssen uns übergangsweise nach anderen Aufführungsorten umsehen“, berichtet Fritz. Die „Backkörb“ hoffen, das Theaterstück „Goldrausch in Nussbe“ zu zeigen und laut Negele „gleich danach ein neues Theaterstück aufzuführen. Aber wir können nicht proben und dürfen auch nicht zu unserer noch aufgebauten Theaterbühne in der Weiherhalle in Nußbaum.“ So benötige die Theatergruppe, nachdem die Auflagen der Pandemie aufgehoben worden sind, erst eine Anlaufzeit. „Dann benötigen wir Geld, um zum Beispiel auf unser Theater neu aufmerksam zu machen – und dieses Geld fehlt uns.“
„Kunst lässt sich nicht auslöschen aus unserem Leben“
Inzwischen, so Fritz, mache sich teilweise Bitterkeit unter den Künstlern breit, „weil eine Rückkehr zum Theaterspielen, zum engen, sehr familiären Umgang miteinander, wie wir es kennen und lieben, nicht absehbar ist.“ Negele weist auch darauf hin, dass die Nachwuchssuche unter den aktuellen Umständen nicht möglich sei und dass viele Vereine auf der Strecke bleiben könnten. „Falls wir das ganze nicht durchstehen, werden hoffentlich andere wieder dazu beitragen, dass Theater und Kunst auch im kleinen weiter bestehen wird – eventuell etwas verändert, aber Kunst lässt sich nicht auslöschen aus unserem Leben.“ Jazzclub-Vorsitzender Gropp appelliert an die Bevölkerung, sich bei den Kulturschaffenden mit Ideen oder aber auch Spenden einzubringen: „Wir sind für jede Anregung offen.“
Autor:Havva Keskin aus Bretten |
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