"Es bleibt dunkel"
Brettener Tattoostudio kann EU-Farbenverbot nicht nachvollziehen

Bunte Motive lassen sich aktuell nicht umsetzen, schwarze Tattoofarbe ist aber erlaubt. Foto: Palim Palim Tattoo/Artist: Stefan Miechkowski
  • Bunte Motive lassen sich aktuell nicht umsetzen, schwarze Tattoofarbe ist aber erlaubt. Foto: Palim Palim Tattoo/Artist: Stefan Miechkowski
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Bretten (hk) Nach den herben wirtschaftlichen Verlusten durch die Corona-Pandemie steht der Tattoo-Szene die nächste Herausforderung bevor. Über 4.000 bedenkliche Substanzen hat die EU zum Stichtag 4. Januar 2022 verboten. Das geht aus der neuen „REACH“-Verordnung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) hervor. REACH steht auf Deutsch für Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe. Das Problem: Unter das Verbot fallen auch Farbpigmente und Konservierungsstoffe, die in bewährten Tattoo-Farben enthalten sind. Sie seien nicht ausreichend erforscht und könnten wegen gefährlicher Stoffe Allergien oder Krebs auslösen, heißt es seitens der zuständigen Chemikalienagentur. Beschlossen wurde das Verbot 2020.

„Neu gekaufte Farben wieder entsorgen“

Und so steht jetzt eine ganze Branche ohne ihr bisheriges Werkzeug da. Das Aus für viele Farben macht Claudia Zöller, Geschäftsführerin des Brettener Tattoo- und Piercingstudios „Palim Palim“ nachdenklich. „Nach dem letzten Lockdown, der für uns sieben Monate gedauert hat, mussten wir sowieso unseren Bestand entsorgen und neue Farben kaufen“, beginnt sie zu erzählen. „Nun mussten wir auch die neu gekauften Farben wieder entsorgen“, ärgert sie sich. Man würde sich strafbar machen, würde man die Farben lagern. „Wir wussten, dass die Farben verboten werden, aber haben nicht damit gerechnet, dass es so schnell umgesetzt wird.“ Weil es noch kein Angebot für "Reach-konforme" Farbalternativen gibt, werden Tätowiererinnen und Tätowierer auf unbestimmte Zeit nicht farbig tätowieren können, bedauert Zöller. „Für Liebhaber von Farbrealismus oder überhaupt von bunten Tattoos ist das Verbot natürlich absolut schade.“

Schwarze Tattoo-Farbe ist nach wie vor erlaubt

Das Team um Zöller hatte sich in Folge des Verbots bemüht, bereits angefangene, ganze Körperzonen betreffende, farbige Tattoo-Projekte, in Überstunden weitestgehend fertigzustellen. „Denn man kann noch nicht absehen, ob die neuen Farben die gleiche Farbbrillanz haben werden, wie die bisherigen Farben“, erklärt sie. Da könnte es auch durchaus auffallen, dass andere Farbpigmente verwendet wurden, obwohl es der gleiche Farbton ist. „Ich gehe davon aus, dass man den Unterschied sehen wird. Selbst von Hersteller zu Hersteller sind die Farbtöne sehr unterschiedlich“, weiß die erfahrene Tätowiererin. Die am häufigsten verwendete schwarze Tattoo-Farbe ist nach wie vor erlaubt und auch diverse Grautöne sowie die Farbe Weiß sei aktuell noch "REACH-konform". Diverse Hersteller würden aber schon mit Hochdruck an neuen Farbpigmenten arbeiten. Die Herstellung von Alternativen in der Kürze der Zeit und die aufwändigen sowie teuren Testverfahren würden es aber nicht einfach machen.

„Einige neue Farben sind sogar schon auf dem Markt, aber ich bin da noch vorsichtig“, sagt Zöller. Denn die Farben, die aktuell zu erwerben wären, seien nach aktuellem Stand noch nicht vereinbar mit REACH. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum neue Farben in Deutschland produziert würden und der Verkauf aus der Schweiz erfolge. Somit würde die Haftungsfrage weg vom Hersteller und hin zum verarbeitenden Tätowierer gehen. „Aus diesen Gründen nehmen wir von diesen Farben Abstand“, betont sie. Bis jetzt gebe es für sie keine Farben, die für die Verwendung infrage kämen. „Es bleibt dunkel“, sagt Zöller betrübt.

„Wir wissen, es kommen irgendwann neue Farben“

Etwa 20 bis 30 Prozent ihrer Kunden würden sich farbige Tattoos stechen lassen. Das Brettener Tattoostudio habe sich bemüht, möglichst viele Kunden dahingehend zu informieren, dass farbige Tattoos im ersten Jahresquartal nicht realisierbar sind. Zöller schätzt sich glücklich über ihre Kundschaft: „Wir haben sehr verständnisvolle Kunden. Viele haben ihr Mitgefühl zum Ausdruck gebracht“, betont die Geschäftsführerin. „Wir wissen, es kommen irgendwann neue Farben – bis dahin müssen wir das Ganze aussitzen.“ Bis "Reach-konforme" Alternativen auf dem Markt sind, sollte man aber bloß nicht selbst Hand anlegen oder zu unseriösen Tätowierern gehen, die trotz Verbots Farben tätowierten. Dadurch könne es zu erheblichen Qualitätsschwankungen kommen, warnt Zöller. Außerdem könnten in den wenigsten Fällen die hygienischen Maßnahmen eingehalten werden. Auch von Kunden mitgebrachte Farben würden im Tattoostudio nicht akzeptiert. „Da kann ich mich aber auf unsere Kunden verlassen, dass sie das nicht tun. Aber es stimmt schon, dass das Tätowieren dadurch wieder in den Untergrund gedrückt wird“, meint Zöller.

„Werkzeug weggenommen"

Nachvollziehen kann sie das Verbot nicht. „Nachweislich ist keinem durch die Farben der Arm abgefallen, ist keiner daran gestorben, hat keiner dadurch Krebs bekommen.“ Zudem seien die Verordnungen bezüglich der bisher verwendeten Farben und auch die Hygienebestimmungen, die für Tattoostudios gelten würden, sowieso sehr streng. In ihrem Tattoostudio gebe es viele Tätowiererinnen und Tätowierer, auch aus ganz Europa, die auf Farbtattoos spezialisiert seien. Die treffe es besonders hart: „Denen wurde praktisch das Werkzeug weggenommen".
Für Tätowierer und Tattoo-Fans hat das neue Jahr mit viel Unsicherheit begonnen. Zöller bleibt dennoch optimistisch. Und auch wenn noch unklar ist, wann neue Farben auf den Markt kommen, ist die Tätowiererin froh, dass sie trotz Pandemie überhaupt weiterarbeiten darf.

Autor:

Havva Keskin aus Bretten

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