Ein Kohleherd und seine Geschichte
Marc Wertheimer, USA, besuchte zusammen mit seiner Frau Roni im Jahr 2016 Bretten, die Stadt seiner Vorfahren. Seine Großeltern väterlicherseits stammen beide aus Bretten. Seine Begeisterung war sehr beeindruckend, und er erklärte, er komme wieder, und zwar mit seinen Kindern und Schwiegerkindern. So bestand permanenter Kontakt mit Marc, denn auch auf dem Weg zu einem deutschen Pass durfte Heidemarie Leins ihn begleiten. Die Trumpregierung ist der Anlass.
Und dann kam eines Tages der Anruf einer aufmerksamen Zeitungsleserin. Im Haus der Schwiegermutter in Bauerbach steht ein Kohleherd, der die Aufschrift „Sally Wertheimer“ trage.
Sally Wertheimer war der erste Mann von Marcs Großmutter Bianca. Er starb 1932 in jungen Jahren und liegt auf dem Brettener Friedhof begraben. Schon der Großvater Salomon – die Familie stammte aus Bauerbach - handelte mit Tafel- und Spiegelglas und vielem anderen mehr. Darunter auch Öfen, Herde, Obstmühlen, Futterschneidmaschinen und hatten eine Fabrikation in Pfuhl- und Wasserpumpen. Das alles kann auf den schön gestalteten Rechnungsbögen abgelesen werden.
Das Ereignis wurde sogleich nach New York gemeldet. Es löste größte Freude aus. Der Kohleherd müsse unbedingt verschifft werden. Nun galt es für Leins, diesen Wunsch umzusetzen. Vielfältige Bemühungen der Spedition Wolfmüller brachten dann letztendlich einen Betrag von ca. 3.500 € ins Spiel. Beim Zusammentragen der Fakten für die Familie Wertheimer, sah Leins, dass Friedrich Wolfmüller, Fuhrunternehmer, das große Anwesen in der Wilhelmstraße von Bianca Wertheimer, verheiratete Gideon, 1939 kaufte. Es hätte eine echte Allianz geschmiedet werden können.
Aber der Betrag war nun definitiv zu viel, zumal nicht klar war, wohin der Herd hätte in Amerika platziert werden sollen. Florida, New York, Maryland? „Wie wäre es mit dem Halbieren?“, war eine Idee. Das wäre absolut schade. So zog der Herd zwischenzeitlich von Bauerbach nach Oberderdingen um. Eine Lösung war nicht in Sicht, aber er sollte auf jeden Fall nicht auf den Sperrmüll, zumal es kaum Stücke gibt, die auf die vielen jüdischen Geschäftsleute in Bretten hinweisen. So die einhellige Meinung.
Nun warteten Gunter und Lidija Bechtold auf den Besuch der Familie Wertheimer, um sich weiter mit ihnen zu besprechen. Es war ein erhebender Moment, als Marc mit seiner Familie den Schriftzug auf der Backofentür las. Fotografiert von allen Seiten, aber es war klar, dieser Herd kann nicht mitgenommen werden.
Eine Möglichkeit gab es, die Wertheimers bekommen die Backofentür. Bedenkzeit, noch einmal darüber schlafen. Wertheimers könnten am nächsten Tag noch einmal kommen. Aber jetzt nahm die Geschichte einen rasanten Verlauf. Die Entscheidung von Bechtolds war dann ganz spontan. Die Männer machten sich daran, die Backofentür abzuschrauben. Marc Wertheimer sah sprachlos staunend und überglücklich zu.
Die großartige Geste von Lidija und Gunter Bechtold berührt, denn es war nicht selbstverständlich, zu bewahren und den Herd nicht zu verkaufen. Was ist ein Herd ohne Backofentür noch „wert“? Ganz viel, denn damit machten Bechtolds noch jemanden glücklich. Jemanden, der sich schon immer einen alten Herd wünschte, um ihn zu dekorieren.
Autor:Heidemarie Leins aus Bretten |
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