Vereinen gehen Vorsitzende aus: Überalterung und der Wandel im Freizeitverhalten gefährden mancherorts den Fortbestand

Jugendarbeit zahlt sich aus: Das Vororchester „Wilde 13“ des MV Oberderdingen zusammen mit den Bläserklassen der Strombergschule bei der Jugendjahrfeier im Dezember 2017. | Foto: MVO
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Der eine steht kurz vor der Auflösung, andere fürchten sich davor, einige hoffen noch und viele wissen nicht, wie es auf lange Sicht weitergeht. Fast überall gibt es Vereine, die um die Besetzung ihrer Vorstandsämter bangen – und damit manchmal auch um ihren Fortbestand. Die Gründe sind vielfältig, aber es gibt auch Gemeinsamkeiten.

Kraichgau (ch) Der eine steht kurz vor der Auflösung, andere fürchten sich davor, einige hoffen noch und viele wissen nicht, wie es auf lange Sicht weitergeht. Fast überall gibt es Vereine, die um die Besetzung ihrer Vorstandsämter bangen – und damit manchmal auch um ihren Fortbestand. Die Gründe sind so vielfältig, aber es gibt auch Gemeinsamkeiten.

Keine Nachfolger in Sicht

„Ich habe lange mit mir gekämpft“, sagt Robert Stolz, ehemals erster Vorsitzender des Handballclub 95 Oberderdingen (HCO). „Jetzt versuchen wir, das Ganze ordentlich zu Ende zu bringen.“ In einer Woche, am 28. März, steht die zweite außerordentliche Hauptversammlung an. Auf der Tagesordnung: die Auflösung des Sportvereins. Seit Stolz´ regulärem Rücktritt von der Vereinsspitze vor drei Jahren gibt es nur noch einen zweiten Vorsitzenden. Ein Nachfolger war nicht aufzutreiben. Ähnlich beim Obst- und Gartenbauverein Oberderdingen (OGVO): Als vor drei Jahren der erste Vorsitzende verstarb, übernahm Stellvertreter Achim Schöttle die Leitung. Weil er zugleich die Aufgaben des Schriftführers erledigt, habe er inzwischen drei Ämter, sagt Schöttle. Bei der Jahreshauptversammlung am 23. März um 19 Uhr im SVO-Heim will der 63-Jährige nicht wieder antreten. Ausgang ungewiss. „Willens ist vielleicht schon der eine oder andere, aber die Gesundheit und das Alter lassen es nicht mehr zu“, meint Schöttle.

Amt klebt „wie Kaugummi“

Auch anderswo ringen Vereine ums Überleben, wenngleich das nicht immer öffentlich wird. Oft lassen sich Vorstandsmitglieder mangels Nachfolger breit schlagen, ihre Amtszeit zu verlängern. Im Wiederholungsfall kann sich das auf Jahrzehnte summieren. Einmal gewählt, klebe das Amt an einem „wie Kaugummi“, beschreibt Achim Schöttle den Zustand. Darauf will sich Alexander Kipphan nicht einlassen. Der zurückgetretene Vorsitzende des Vereins für Stadt- und Regionalgeschichte in Bretten hat sich zwar bereit erklärt, noch einmal für ein Jahr kommissarisch zu amtieren. Sollte sich jedoch bis November kein/e Bewerber/in finden, muss laut Kipphan auch über eine Vereinsauflösung nachgedacht werden. Unter kommissarischer Leitung, in diesem Fall des zweiten Vorsitzenden Manfred Mößner, steht seit einem dreiviertel Jahr auch der Brettener Tierschutzverein. Noch schwieriger ist die Lage bei der Knittlinger Stadtkapelle, die seit zwei Jahren weder einen ersten, noch einen zweiten Vorsitzenden hat. Die Ausschussmitglieder, die den Verein am Leben halten, setzen ihre ganze Hoffnung auf die nächste Hauptversammlung im April.

Will keiner mehr Verantwortung?

Fragt man nach, heißt es oft: „Es will keiner mehr Verantwortung übernehmen.“ Eine Aussage, die Stadtvogt Peter Dick als Vorsitzender der Vereinigung Alt-Brettheim (VAB), der Dachorganisation der das Peter- und Paul-Fest tragenden Vereine, in dieser Pauschalität nicht gelten lässt. In einem VAB-Mitgliedsverein habe kürzlich sogar eine Kampfabstimmung um den zweiten Vorsitz stattgefunden. Für Dick ein Zeichen, dass es noch Leute gibt, „die sich um eine verantwortliche Position bemühen.“

Beruflicher Druck und Nachwuchssorgen

Aber woran liegt es, dass manche Vereine Schwierigkeiten mit der Besetzung des Vorstands haben? „Eine Leitungsfunktion erfordert viel Zeit – und birgt zudem eine ganze Reihe rechtlicher Fallstricke“, stellt Volker Geisel fest, der aus privaten Gründen Ende 2016 den Vorsitz der Interessengemeinschaft der Ortsvereine Zaisenhausen abgab. Dass viele sich das „nicht antun“ möchten, liegt seiner Meinung nach auch am gewachsenen Druck in der Berufswelt.
Andere nennen Nachwuchsprobleme als Ursache. Dass sich damit viele Vereine herumschlagen, bestätigt der Vorsitzende der ARGE Untergrombacher Vereine, Ingo Günther. „Wenn man klassenmäßig nicht hoch genug spielt, kann man den Nachwuchs nicht halten“, hat zum Beispiel Robert Stolz erfahren müssen. Dann läuft ein Verein Gefahr, zu überaltern. „Die meisten unserer rund 150 Mitglieder sind schon über 70“, sagt Achim Schöttle über den OGVO.

„Vereine müssen sich mehr einfallen lassen“

Noch tiefer setzt bei der Ursachenforschung der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Gondelsheimer Vereine (AGG), Andreas Bürker, an. Er diagnostiziert eine generell gesunkene Bereitschaft, sich für einen Verein zu engagieren. Dabei sieht Bürker vor allem den gesellschaftlichen Wandel am Werk. Die moderne Arbeitswelt fordere Mobilität. Menschen, die wegen des Jobs den Wohnsitz wechseln, hätten keine Bindung an die örtlichen Vereine. Bürker mahnt: „Die Vereine müssen sich mehr einfallen lassen.“ Die Mobilität erleichtere auch Vereinswechsel, während man unter früheren Verhältnissen nicht so leicht aus dem Ort fortgekommen sei, ergänzt Robert Stolz. Neben einer Vielzahl konkurrierender Angebote macht er das verbreitete Anspruchsdenken für die mangelnde Bereitschaft, sich zu engagieren, mit verantwortlich. Auf die Frage nach Mithilfe habe er öfter zu hören bekommen: „Langt das nicht, wenn ich meine Kinder bringe?“

Experimente und Überlegungen

Hie und da gibt es auch Überlegungen und praktische Lösungsansätze. Beim Gesangverein Frohsinn Büchig hat man zum Beispiel ein Jahr lang mit einem „geteilten Vorsitz“ experimentiert. Bis letztes Jahr amtierte ein weibliches Dreier-Gremium, ein Lösungsversuch, der aber nach Ansicht von Beobachtern „nicht getragen“ hat. Danach wurde Marco Götz zum ersten Vorsitzenden gewählt. Beim OGVO erklärte sich ein junger Neuzugang bereit, für ein Jahr den Vereinsvorsitz „auf Probe“ zu übernehmen. Dem stehen jedoch laut Achim Schöttle die Vereinsstatuten entgegen. Sie zu ändern wäre nach seinen Worten „ein größerer Aufwand“. Robert Stolz wiederum ist der Meinung, der Staat müsste ehrenamtliches Engagement viel stärker fördern, zum Beispiel mit einem fixen Zuschuss von Land oder Bund. „Wer die Jugend motiviert, sportlich zu sein, wird zu wenig vom Staat honoriert“, findet er.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar "Kreative Ideen sind gefragt"

Autor:

Chris Heinemann aus Bretten

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