Erneut steigende Flüchtlingszahlen in den Kommunen
Lösungen könnten zu Konflikten führen

Bei der Unterbringung von Flüchtlingen stoßen Kommunen zunehmend an ihre Grenzen. Foto: hk
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Bretten/Region (hk) Die gute Nachricht vorweg kommt aus Knittlingen: Dort ist mittelfristig gemeinsam mit dem Enzkreis der Bau einer größeren Unterkunft für geflüchtete Menschen geplant. „Hier sind wir aber erst am Beginn der Konzeption“, sagt Bürgermeister Alexander Kozel auf Nachfrage der Brettener Woche/kraichgau.news. Der Großteil der in Knittlingen ankommenden Flüchtlinge, sei in städtischen Gebäuden untergebracht, etwa in den beiden Gebäuden im Pflegmühleweg 84 und 86 (Foto). Weitere geflüchtete Menschen leben in von der Stadt angemieteten Privatwohnungen. Insgesamt seien in Knittlingen derzeit etwa 130 Flüchtlinge untergebracht. „Noch können wir für alle Geflüchtete, die wir unterbringen müssen, einen Platz finden“, sagt Kozel. Allerdings seien diese Unterkünfte oft nicht mit dem normalen Wohnungsmarkt vergleichbar. Angesichts der erneut steigenden Flüchtlingszahlen stoße man in der Fauststadt langsam an die Grenzen der Aufnahmekapazität, beschreibt Kozel die momentane Situation. Es sei eine große Herausforderung, auf dem nach wie vor angespannten Wohnungsmarkt, geflüchteten aber auch obdachlosen Menschen sichere Unterkünfte bieten zu können – ein Problem, mit dem Knittlingen nicht alleine dasteht.

Kapazität nahezu ausgeschöpft

Aus Walzbachtal ist zu erfahren, dass die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine dort seit März 2022 bei circa 50 Personen und mittlerweile bei über 110 Personen liege. Damit habe sich die Zahl innerhalb von knapp sieben Monaten mehr als verdoppelt. Nach Oberderdingen seien jüngst erneut ukrainische Flüchtlinge gekommen, so dass sich derzeit 125 ukrainische Kriegsflüchtlinge und 134 Flüchtlinge aus anderen Ländern dort aufhalten, teilt die Gemeindeverwaltung mit. Obwohl Oberderdingen seinen Soll bereits erfüllt habe, belege man aktuell noch freie Plätze in der Anschlussunterbringung mit Flüchtlingen, wobei auch dort die Kapazität der Gemeinde nahezu ausgeschöpft sei, heißt es von der Verwaltung.

Halle als Notfalltreffpunkt und Wärmehalle

Den Bürgermeister in Gondelsheim, Markus Rupp, stimmt die Frage nachdenklich, wie es den Kommunen gelingen kann, Unterkünfte zu schaffen und gleichzeitig soziale Spannungen zu vermeiden. „Wir sind momentan in der guten Lage, dass wir die geflüchteten Menschen unterbringen können – noch“, betont Rupp. Sorge bereite ihm das Szenario, wenn etwa Hallen zu Flüchtlingsunterbringungen umfunktioniert werden müssten, weil sonst kein Wohnraum geschaffen oder nichts mehr angemietet werden kann. Rupp spricht in diesem Zusammenhang von „sozialem Sprengstoff“ und erklärt: „Schon wegen der Corona-Pandemie konnten Hallen zwei Jahre lang nicht genutzt werden. Wenn wir die Saalbachhalle wegen der steigenden Flüchtlingszahlen für eine Umnutzung belegen würden, wäre das eine Katastrophe für die Vereine", beschreibt Rupp das „Worst-Case-Szenario“. Und darunter würde „das Verständnis für die Flüchtlinge stark leiden“, ist sich der Gondelsheimer Bürgermeister sicher, der die Flüchtlingshilfe in seiner Gemeinde vor allem wegen der guten Integrationsarbeit durch Ehrenamtliche wie Petra Schalm schätzt. Zudem sei zu bedenken, dass die Saalbachhalle im Bedarfsfall als Notfalltreffpunkt und Wärmehalle für Bürger oder auch als Impfzentrum eingesetzt werden könne.

„Diese Quadratur des Kreises zu schaffen, ist schier unmöglich“

Auch in Knittlingen beschäftigt man sich mit der Problematik, Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete zu finden, ohne dem Wohnungsmarkt oder den Vereinen etwas wegzunehmen. „Diese Quadratur des Kreises zu schaffen, ist schier unmöglich“, bringt es der Knittlinger Bürgermeister Kozel auf den Punkt. Deshalb, da ist sich Kozel sicher, werde es Lösungen geben, die zu Konflikten führen werden, denen man sich in Knittlingen aber stellen werde. „Kurzfristig werden wir unsere Aufgabe durch eine sehr dichte Belegung unserer Flüchtlingsunterkünfte im Pflegmühleweg schaffen.“

„Werden ohne Hallenbelegungen nicht auskommen“

Laut Frank Bohmüller, Amtsleiter Wirtschaftsförderung und Liegenschaften in Bretten, befinden sich derzeit rund 250 Flüchtlinge aus der Ukraine in Gebäuden der Stadt sowie in privaten Wohnungen, die überwiegend von der Stadt angemietet wurden. Bis Ende des Jahres seien zudem weitere Zuweisungen von circa 150 Flüchtlingen aus der Ukraine angekündigt. Darüber hinaus rechne die Stadt mit der Aufnahme weiterer Flüchtlinge, vor allem aus Syrien und Afghanistan. Durch die Anmietung von Wohnungen werde es in der Melanchthonstadt möglich sein, die aktuell angekündigte Zahl von Flüchtlingen unterzubringen, ohne auf Hallen zurückgreifen zu müssen. Sollte jedoch 2023 eine ähnliche Anzahl an Zuweisungen erfolgen, „dann werden wir ohne Hallenbelegungen nicht auskommen können“, glaubt der städtische Wirtschaftsförderer. Er gibt zudem zu bedenken, dass zu den Herausforderungen der Flüchtlingsunterbringung im nächsten Schritt die Herausforderungen der Sozialbetreuung und Integration hinzukommen. Auch in Walzbachtal werde man durch die Anmietung von Wohnungen und Häuser von Privatpersonen "so lange wie irgendwie möglich, die Umwandlung der Hallen in Unterkünfte für Flüchtlinge vermeiden", sagt Bürgermeister Timur Özcan. Derzeit gebe es noch keinen Bedarf in dieser Hinsicht. Eine große Hilfe bei all den Herausforderungen sei die ehrenamtliche Unterstützung aus der Bevölkerung, wie beispielsweise dem Helferkreis "Walzbachtal hilft". Als Kommune wünsche und fordere man eine finanzielle, aber auch eine allgemein bessere Unterstützung seitens des Bundes, um die Schaffung von Wohnraum und auch die Integration anständig erfüllen zu können. "Durch die steigenden Baukosten und Zinsen ist es uns nicht möglich, eigenständig Wohnraum zu realisieren", erklärt Özcan.

"Gebot der Nächstenliebe und Menschlichkeit"

Die momentane Situation wird durch unterschiedliche Faktoren weiter verschärft. „Es ist leider ein trauriger Fakt, dass Menschen, die bereits seit längerem über Asylverfahren zu uns gekommen sind und ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erhalten haben, Probleme haben, im normalen, sehr angespannten Markt, Wohnungen zu finden“, so Kozel. Die Kommunen blieben dann in solchen Fällen zuständig. In Bretten leben laut Bohmüller circa 260 Flüchtlinge, die nicht aus der Ukraine stammen und wovon die meisten bereits 2015 und 2016 nach Bretten gekommen sind.
Kozel sieht die Ursache für die hohe Zahl der Menschen, die nach Europa fliehen, aber nicht nur darin, dass Menschen Kriegsgebieten oder autoritären Regimen entkommen wollen. Durch den Klimawandel werde für viele Millionen Menschen auf der Welt ihre Heimat unbewohnbar: „Es geht um Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, weil sie dort aus welchen Gründen auch immer keine Zukunft mehr für sich und ihre Kinder sehen. Es ist ein Gebot der Nächstenliebe und der Menschlichkeit, dass wir hier unser Bestes geben.“

Autor:

Havva Keskin aus Bretten

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