Knappe Medikamente: Vom Lieferengpass zum Versorgungsengpass
Regionale Apotheken beklagen viele fehlende Präparate

Region (bea) Es gibt immer mehr Lieferengpässe bei Medikamenten, darin sind sich die Apotheker in der Region einig. Einstimmig sagen sie aber auch, dass die Medikamentenversorgung noch zu gewährleisten ist. Dennoch klingt in ihren Ausführungen die Besorgnis über eine ungewisse Zukunft durch. Die Situation hat sich im vergangenen halben Jahr sehr zugespitzt. Inzwischen müssen Apotheker ihre Kunden mehrfach am Tag über Lieferengpässe gewisser Medikamente aufklären. Quer durch die Palette fehlen Präparate von A wie ACC Akut bis Z wie Zaditen. Betroffen sind unter anderem Antidepressiva, Antibiotika, Antidiabetika, Medikamente für Kreislauferkrankungen, die Psyche, Schmerzmittel, Impfstoffe, Magenmittel und Schilddrüsenpräparate.

"Verwaltung des Mangels“

„Eigentlich ist es eine Verwaltung des Mangels“, beklagt Apothekerin Susanne Wild von der Rathaus Apotheke in Eisingen. Sie vermisst rund 50 Wirkstoffe, die von ihren Kunden benötigt werden. Teilweise sind diese nur sporadisch zu bekommen, andere Mittel seit längerer Zeit gar nicht mehr verfügbar.
Ebenfalls betroffen sind die sogenannten Generika. Das sind Arzneimittel von Mitbewerbern, die wirkstoff mäßig mit einem bereits zugelassenen Arzneimittel übereinstimmen. So sind bei bestimmten Erkrankungen momentan nur noch Originalmedikamente erhältlich, die aufgrund der Rabattverträge der Krankenkassen durch Mehrkosten vom Patienten zu finanzieren sind, erklärt Wild.

Nur bestimmte Kontingente möglich

Das Problem ist, dass verschiedene Hersteller die Wirkstoffe für ihre Präparate bei den gleichen Lieferanten im Ausland einkaufen, sagt Patrick Brauch von der Melanchthon-Apotheke in Wössingen. Fällt eine Charge eines Wirkstoffs aus, können gleich mehrere Tablettenhersteller ihre Präparate nicht an die Apotheken ausliefern. In anderen Fällen sind knappe Medikamente für jede Apotheke beim Großhandel nur in einem bestimmten Kontingent erhältlich, erläutert der Apotheker. Auch bestellen viele Hersteller bereits fertig gepresste Tabletten im Ausland und verpacken sie in Deutschland, sagt Brauch. Wenn der Wirkstoffgehalt nicht stimmt, darf die verunreinigte Charge nicht auf den Markt gebracht werden und weitere Medikamentenlieferungen fallen aus.

„Es ist fast wie ein Horten und es wird monatlich schlimmer“

Einige Präparate können durch Medikamente anderer Firmen ersetzt werden, sagt der Apotheker. Bei anderen muss der Patient zurück zum Arzt geschickt und von diesem bei einem längeren Lieferengpass von aktuell bis zu einem halben Jahr auf ein anderes Medikament umgestellt werden. Bei einigen Medikamenten sind lediglich gewisse Wirkstoffstärken oder Packungsgrößen nicht erhältlich. Für diesen Fall können die Apotheker in dringenden Fällen auch mal zwei niedrigere Wirkstoffdosen zusammenstückeln, die zusammen die verschriebene Dosis ergeben. Die Strategie von Marco Keller von der Burg Apotheke in Sulzfeld ist eine gute Bevorratung, zu der er viel Kapital in die Hand nehmen muss. „Es ist fast wie ein Horten und es wird monatlich schlimmer“, sagt Keller. Dennoch gibt er eine gesamte Lieferfähigkeit von rund 95 Prozent der Medikamente an. Für ihn sind die gesunkenen Preise für einige Medikamente auffällig, während andere, neue Medikamente sehr hochpreisig sind.

Auch Brexit spielt eine Rolle

Kann ein Präparat durch den gleichen Wirkstoff eines anderen Herstellers ersetzt werden, müssen die Apotheken einen Verfügbarkeitsnachweis bei den Krankenkassen vorlegen, erklärt Keller. Denn um Geld von der Krankenkasse zu erhalten, müssen die Apotheken die gültigen Rabattverträge einhalten. Das sind Verträge, die jede Krankenkasse mit einem bestimmten Hersteller vereinbart. Auch der Brexit trägt seinen Teil bei, sagt Keller. Da hier Unklarheiten wegen Mehrwertsteuer, Zollverhandlungen und Einfuhr herrschen, haben sich dortige Apotheken bereits mit Medikamenten eingedeckt. Grundsätzlich können Hersteller im Ausland höhere Preise für ihre Medikamente erzielen, da es keine Rabattverträge wie in Deutschland gibt, so der Apotheker. Im Ausland ist auch aufgrund des fehlenden Mindestlohns eine günstigere Produktion möglich, sagt Martin Bratzler von der Kraichtal Apotheke in Menzingen. Die Firmen seien preismäßig gebunden und ihren Aktionären verpflichtet, daher würden sie auch Medikamente im Ausland günstiger produzieren lassen, dort wo die Gewinnspanne größer ist, sagt der Apotheker.

„Unsere Kunden sind verunsichert"

„Unsere Kunden sind verunsichert, wenn sie die gewohnten Medikamente nicht bekommen“, so Bratzler. Dabei leiden häufig ältere Patienten, die die Größe und Farbe ihrer Präparate gewohnt sind. „Es ist alles schon da gewesen, auch dass ein Patient dreimal das gleiche Mittel eingenommen hat, da unterschiedliche Firmen unterschiedliche Formen und Farben für ihre Medikamente haben“, sagt er. Die Bestellung bei Versandapotheken trage ebenfalls dazu bei.

Produktion der Wirkstoffe wieder nach Europa holen

Bei Ariane Maaß von der Hirsch Apotheke in Bretten sind derzeit 212 Positionen nicht lieferbar. Selbst die Bestellung bei den Herstellern ist nicht immer erfolgreich. Mehrfach am Tag überprüft sie, wann Nachschub eintreffen könnte. Die Apothekerin befürchtet, dass der Engpass durch den Corona Virus in China noch weiter verstärkt werden könnte. Das Gesundheitsniveau steige weltweit, die Menschen werden älter und somit auch der Bedarf an Medikamenten, erklärt sie. So ist in ihren Augen die Politik stärker gefragt. „Die Produktion der Wirkstoffe sollte wieder nach Europa geholt werden“, sagt Maaß. Die Firmen müssten durch eigene Bevorratung garantieren können, dass Medikamente immer lieferbar sind. Dazu müssten sie vom vorherrschenden Produktionsprozess mit seiner „Just-in-time“ (gerade rechtzeitig) Lieferung zurücktreten. Ebenfalls sollen die Krankenkassen mehr für die Medikamente zahlen, fordert Maaß. Subventionierung und Wirtschaftsförderung könnten Mittel und Wege sein, um Wirkstoffhersteller wieder in Europa anzusiedeln. Das eigentliche Problem ist in ihren Augen ein mangelndes Angebot an Wirkstoffen. Über Joachim Kößler, MdL, hat sie daher bereits eine Anfrage an Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit, stellen lassen. Noch vor einem halben Jahr hat es Lieferengpässe gegeben, inzwischen seien diese jedoch zu Versorgungsengpässen geworden, sagt Maaß.

Die Apotheke in Ihrer Nähe finden Sie im Übrigen auf unserer großen Themenseite Apotheken vor Ort.

Autor:

Kraichgau News aus Bretten

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