RKH schlägt Alarm wegen Pflegepersonal-Untergrenzenverordnung
Sorge um die Sicherheit der Notfallversorgung

Bretten/Bruchsal (kn) In einem Schreiben an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Regionale Kliniken Holding (RKH), zu der unter anderem die Rechbergklinik Bretten und die Fürst-Stirum-Klinik in Bruchsal gehören, ihre "große Sorge um die künftige Sicherheit der klinischen Notfallversorgung" ausgedrückt. Insgesamt betreibt die RKH neun Kliniken in den Landkreisen Karlsruhe und Ludwigsburg sowie dem Enzkreis. Das Problem ist laut RKH-Geschäftsführer, Professor Dr. Jörg Martin, die am 6. Oktober 2018 in Kraft getretene  sogenannte "Pflegepersonal-Untergrenzenverordnung (PpUGV)". Mit dieser Verordnung wird die Höchstzahl der Patienten festgelegt, die von jeweils einer examinierten Pflegekraftbetreut werden dürfen.

Der Arbeitsmarkt ist leergefegt

„Grundsätzlich begrüßen wir eine solche Regelung im Sinn eines trägerübergreifenden Qualitätsstandards ausdrücklich“, betont Professor Martin im Schreiben an Spahn. Die gegenwärtige Realität stelle sich jedoch ganz anders dar: "Praktisch jedes Krankenhaus hatte und hat zur Umsetzung der PpUGV personellen Aufstockungsbedarf, und dies bei einem de facto leer gefegten Arbeitsmarkt, was dazu führt, dass die erforderliche Zahl von Gesundheits- und Krankenpflegerinnen flächendeckend kurzfristig überhaupt nicht rekrutierbar ist", so Martin. Da die Einhaltung der PpUGV für die Krankenhäuser bindend, und Verletzungen ohne Berücksichtigung von Gründen sanktionsbewehrt seien, "ist die hoch prekäre Folge letztendlich, dass bei Erreichen der PpUGV-Grenzen weitere Patienten trotz vorhandener und verfügbarer Betten nicht mehr aufgenommen werden dürfen, wenn die Kliniken eine zusätzliche wirtschaftliche Beschädigung aufgrund drohender Strafzahlungen vermeiden wollen".

RKH stellt eigene Richtlinien auf

Die Kliniken der RKH arbeiteten aktuell an der absoluten Auslastungsgrenze, um ihrem wichtigsten und vornehmsten Auftrag, der Versorgung medizinischer Notfälle, gerecht zu werden, so Professor Martin weiter. Jede weitere Eskalation des Notfallaufkommens wie etwa durch die saisonale Grippewelle oder Corona, werde unweigerlich dazu führen, dass Patienten trotz noch vorhandener Restkapazitäten nicht behandeltwerden könnten. Um auf diesen Notstand zu reagieren, hätten die RKH-Kliniken folgende Richtlinien für sich aufgestellt:

1. Erreicht eine Klinik die nach PpUGV mögliche Belegungs-Höchstgrenze, meldet sie sich bei der zuständigen Rettungsleitstelle für die Notfallversorgung ab.

2. Notfallpatienten, die die Klinik dennoch (fußläufig oder rettungsdienstlich) erreichen, werden ohne Ausnahme gesichtet und erstbehandelt.

3. Zur Einhaltung der PpUGV wird die Verlegung dieser Patienten in ein anderes Krankenhaus angestrebt. Ist diese nicht möglich, wird dies dokumentiert und die Patienten werden trotz Verletzung der PpUGV aufgenommen. Alles andere wäre unterlassene Hilfeleistung und ethisch nicht zu vertreten. Was dann wiederum bedeutet, dass es zu Strafzahlungen kommen kann.

4. Auch eine Verlegung von Intensivpatienten oder Frühchen ist medizinisch und ethisch nicht zu vertreten, da es nachgewiesen ist, dass gerade Transporte kritisch kranker Patienten oder Frühchen zu schweren Zwischenfällen kommen kann. Auch das Abweisen von Schlaganfall- oder Herzinfarktpatienten ist aus unserer Sicht medizinisch nicht zu vertreten.

5. Die schnellstmögliche Heilung des PpUGV-Verstoßes wird durch zeitnahe zusätzliche Entlassvisiten, Ausschöpfung interdisziplinärer Belegungsmöglichkeiten und Terminverschiebung von Elektivpatienten angestrebt und auf geeignete Art dokumentiert

Guter Personalmix nicht möglich

Aus den dargelegten Gründen halte es die RKH  für dringend erforderlich, durchVeränderung der Verordnung sicher zu stellen, dass eine deutliche Verschlechterung der Versorgung von Notfallpatienten und eine weitere Eskalation des ohnehin grassierenden „Notfalltourismus“ vermieden würden, betont Martin im Brief an Spahn. "Ein Personalmix und innovative Personalkonzepte sind mit der PpUGV nicht möglich, da im Rahmender Personaluntergrenzen fast nur examinierte Pflegekräfte angerechnet werden. Der Einsatz von anders qualifiziertem Personal in der Pflege, zum Beispiel Pflegehelfer, Stationssekretärin oder Assistenten ist zwar möglich, wird aber nicht angerechnet."

"Situation erfordert ein schnelles Umdenken in der Politik"

Die Folge sei eine stark verminderteFlexibilität im Personaleinsatz der Kliniken, um beispielsweise Phasen mit erhöhtem oder stark schwankendem Patientenaufkommen (zum Beispiel Grippe, Corona) zu bewältigen. "Diese Situation erfordert ein schnelles Umdenken in der Politik, um die Versorgung insbesondere von Notfallpatienten, Intensivpatienten aber auch von Frühchen nicht zu gefährden", plädiert Professor Martin. Und weiter: "Es muss den Kliniken wieder die Möglichkeit gegeben werden durch einen sinnvollenPersonalmix, eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung sicherzustellen." Es sei einfach zu sagen, dass jede Pflegekraft finanziert werde, wenn man wisse, dass es keine Pflegekräfte am Markt gebe.  Gleichzeitig müssten die Ausbildungskapazitäten für die Pflegeberufe durch Anreize erhöht werden. 

Ein Statement von Minister Jens Spahn zu den von Professor Martin angeführten Missständen war bislang nicht zu erhalten. Die Pressestelle des Ministers ließ lediglich ausrichten, "ein Statement von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn können wir nicht zur Verfügung stellen". Man bitte um Verständnis.

Mehr finden Sie auf unserer Themenseite Coronavirus.

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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