ESG-Schülerinnen fordern funktionierenden Nahverkehr
„Wie ein Labyrinth“

Wenn die S4 am Schulzentrum nur wenige Minuten zu spät ist, erreichen die Schüler, die Richtung Bruchsal wollen, ihren Anschluss am Bahnhof nicht.  | Foto: ger
  • Wenn die S4 am Schulzentrum nur wenige Minuten zu spät ist, erreichen die Schüler, die Richtung Bruchsal wollen, ihren Anschluss am Bahnhof nicht.
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Bruchsal-Heidelsheim/Gondelsheim/Bretten (ger) „Eigentlich ist es normal, dass die Bahn in der Woche mehrmals nicht oder zu spät kommt“, sind sich vier Schülerinnen des Edith-Stein-Gymnasiums (ESG) in Bretten einig. Die Neuntklässlerinnen Sofie Hermann, Natalie Bauder und Anne Klingler aus Heidelsheim sowie Nara Kremb aus Gondelsheim gelangen mit der Bahn in die Schule. Dazu steigen sie in Heidelsheim-Nord bzw. Gondelsheim in die von Abellio betriebene RB 17c, fahren bis zum Bahnhof in Bretten und steigen dort in die S4 – Betreiber ist hier die Albtal-Verkehrsgesellschaft (AVG) –, die sie zum Schulzentrum am ESG bringt. Nach Schulschluss geht es in umgekehrter Richtung wieder nach Hause. Vorausgesetzt, die Bahn kommt überhaupt.

Beschwerdebrief an Verkehrsgesellschaften

Von den ganzen Verspätungen und Zugausfällen genervt, beschloss Sofie, dass jetzt etwas geschehen müsse. Wie in der Vergangenheit schon ihre vier Jahre ältere Schwester richtete sie einen Beschwerdebrief an die Verkehrsgesellschaften, ergänzt mit einer Unterschriftenliste von 23 anderen betroffenen Schülern verschiedener Klassenstufen, den sie auch an die Brettener Woche/kraichgau.news sandte. Darin schildert die 15-Jährige die allgemeine Situation und konkrete Erfahrungen: Am 6., 8. und 9. Juli war die Bahn um 7.04 Uhr ausgefallen und am Nachmittag des 7. und des 8. Juli verzögerte sich der Heimweg wegen Verspätungen um 20 Minuten. Auch in der Freizeit, nämlich am Sonntag, 4. Juli, „standen wir abends über eine Stunde am Bahnsteig, ohne zu wissen ob und wann eine Bahn fährt, denn es fehlte eine Durchsage mit Informationen.“

"Umsteigezeiten sind knapp"

AVG-Pressesprecher Nicolas Lutterbach bedauert die Verspätungen, versichert aber, dass es auf der Strecke im genannten Zeitraum keine Störung gegeben habe. „Die Umsteigezeiten sind mit drei oder vier Minuten recht knapp, da kann es etwa um 13 Uhr schon vorkommen, dass Anschlüsse nicht klappen“, erläutert er. Ein Grund sei dafür die Besonderheit des Karlsruher Modells, dass viele Bahnen durch Karlsruhe fahren. „Je länger die Strecke, desto eher kann es zu kleinen Verzögerungen kommen. Aber selbstverständlich ist jede Verspätung eine zu viel, wofür wir uns entschuldigen.“

"Infrastrukturbetreiber für Fahrgastinformationen zuständig"

Die Zugausfälle am Morgen, die Sofie in ihrem Schreiben geschildert hat, bleiben ein Rätsel. Auch Hannelore Schuster, Pressesprecherin der Abellio, teilt mit, dass im genannten Streckenabschnitt und Zeitraum keine Ausfälle zu verzeichnen seien. Am Sonntag, 4. Juli, sei es bedauerlicherweise „infolge eines Personenunfalls zwischen Bruchsal und Heidelberg“ zu einzelnen Zugausfällen gekommen. Für die Fahrgastinformationen an den Stationen sei der Infrastrukturbetreiber zuständig, dem Abweichungen vom Betriebsgeschehen „schnellstmöglich und vollumfänglich“ kommuniziert würden.

Widersprüchliche Angaben in Verkehrs-Apps

„Wenn man pünktlich wohin muss, wie wir in die Schule, ist das natürlich schlecht“, beurteilt Natalie die Situation. Diverse Apps, wie die KVV-Seite oder der DB-Navigator, seien auch keine Hilfe, um sich rechtzeitig über Zugausfälle und Verspätungen zu informieren. Die Angaben seien nicht zuverlässig und stimmten oft nicht überein. Es komme vor, dass eine Bahn laut App pünktlich ist, dann aber gar nicht kommt. Oder auch dass sie laut Internet ausfällt und dann doch kommt. Auch Infos am Bahnsteig fehlten. In Heidelsheim-Nord gibt es höchstens eine Durchsage, aber das haben die Mädchen noch so gut wie nie erlebt. Der Bahnhof in Bretten ist mit digitalen Anzeigen ausgestattet, aber auch die halten oft eher Verwirrendes bereit. „Wenn die Bahn kommt, steht da, man soll nicht einsteigen. Aber es ist eindeutig unser Zug, also steigen wir ein“, so Nara, auf die der Personennahverkehr bisweilen „wie ein Labyrinth“ wirkt.

Probleme mit Software und fehlende Fahrzeuge

Schuster, Pressesprecherin von Abellio – die Verkehrsgesellschaft betreibt die Strecke Stuttgart-Bruchsal seit Juni 2019 –, räumt ebenfalls ein, dass „die Betriebsqualität auf der Linie RB 17 noch nicht den Erwartungen entspricht“, wofür sich Abellio entschuldige. Hintergrund seien „verschiedenste Herausforderungen“: So fehlten noch immer fünf Neufahrzeuge vom Hersteller Bombardier. Die Fahrzeugsoftware sei noch nicht auf finalem Stand, weshalb die „Bestandsflotte nicht wie geplant eingesetzt werden kann.“ Außerdem sorge eine hohe Fehleranfälligkeit der Neufahrzeuge für betriebliche Störungen, und auch das hohe Zugaufkommen und infrastrukturelle Störungen wirkten sich negativ aus. Um die stündlichen Pendelverkehre für die Schülerverbindungen erbringen zu können, „verbleiben nur recht knappe Wendezeiten zwischen den einzelnen Fahrten.“ Verzögerungen oder Ausfälle eines Zuges wirkten sich so unmittelbar auf den nachfolgenden Zug aus. Aber man sehe auch Fortschritte: Der Pünktlichkeitswert sei auf 92 Prozent angestiegen und die Ausfallquote bewege sich zwischen null und zwei Ausfällen am Tag. Man sei zuversichtlich, bei Lieferung der Neufahrzeuge die Qualität weiter verbessern zu können.

Schüler sollen nicht allzu früh in Schule sein

Um auf Nummer Sicher zu gehen, könnten die Schülerinnen auch eine frühere Bahn nehmen. „Das machen wir, wenn wir in der ersten Stunde eine Klassenarbeit schreiben. Aber – ganz ehrlich – wir sehen es auch nicht ein, immer 20 Minuten früher aufzustehen“, sagen sie. Zumal sie in Pandemiezeiten auch den Aufenthalt in der Schule vor Unterrichtsbeginn möglichst kurz halten sollen, untermauert Klassenlehrer Thomas Niesenhaus die Argumentation. Er hat als von den Verspätungen der Schüler betroffener Lehrer ebenfalls die Liste unterzeichnet.

"Mit dem Auto 40 Minuten unnötig durch die Gegend fahren"

Oft bleibt den Schülerinnen gar nichts anderes übrig, als auf das „Eltern-Taxi“ zurückzugreifen. Aber die Eltern haben, weil sie berufstätig sind, natürlich auch nicht immer Zeit. Auch finden Sofie, Natalie, Anne und Nara, dass das nicht umweltfreundlich sei, denn – wie Sofie es in ihrem Schreiben formuliert hat – fahren die Eltern dann „40 Minuten unnötig durch die Gegend und verbrauchen unnötig CO2.“ Und Anne fügt hinzu: „Ich fahre wirklich gerne mit der Bahn. Aber wenn ich mal studiere oder arbeite und es funktioniert dann immer noch so schlecht, werde ich auch mit dem Auto fahren.“
Inzwischen hat sich auch Christian Jung, FDP-Landtagsabgeordneter im Wahlkreis Bretten und verkehrspolitischer Sprecher der FDP/DVP-Landtagsfraktion, mit Sofie getroffen und versprochen, sich für einen zuverlässigen Nahverkehr einzusetzen.

Autor:

Katrin Gerweck aus Bretten

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