„Größte Herausforderung ist Personalsituation” – Interview mit Klaus Nägele, ver.di-Gewerkschaftssekretär
Interview mit Klaus Nägele, ver.di-Gewerkschaftssekretär, zum Thema Pflege, die aus seiner Sicht prekäre Personalsituation sowie die Auswirkungen auf die Pflegekräfte.
Herr Nägele, was sind die aktuellen Herausforderungen, denen sich Pflegekräfte stellen müssen?
Die größte Herausforderung ist die prekäre Personalsituation. Die führt zu einer hohen Arbeitsbelastung und Zeitdruck. In den Pflegeberufen führt dies zu einem deutlich höheren Krankenstand als bei anderen Berufsgruppen. Nach Studien können sich in der Krankenpflege 77 Prozent, in der Altenpflege 73 Prozent der Beschäftigten nicht vorstellen, ihren Beruf bis zum gesetzlichen Rentenalter ausüben zu können (INIFES 2015). Ziel muss es deshalb sein, die Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen und damit den Gesundheitsschutz für die Beschäftigten in der Pflege deutlich zu verbessern. Neben einer besseren Bezahlung wären mehr freie Ausgleichstage für Schichtdienst, Angebote zur Weiterbildung, Weiterbildungsangebote zur Stärkung persönlicher Ressourcen, zur Förderung der Gesundheitsberufe und ebenso die Schulung von Führungskräften in einem guten und wertschätzenden Umgang mit Beschäftigten notwendig um die Situation zu verbessern.
Wie wirkt sich das auf die Pflegekräfte aus?
Schichtarbeit, wie in der Pflege üblich, ist an sich schon belastend. Zusätzlich macht ein Großteil der Pflegekräfte regelmäßig Überstunden, springt aus der Freizeit ein und kann oft gesetzlich vorgeschriebene Pausen nicht nehmen. Durch Schicht- und Wochenend- beziehungsweise Feiertagsarbeit, oftmals in einer 5,5- oder 6-Tage-Woche, ist es sehr schwierig genügend Zeit für Familie, Freunde, Hobbys oder Aktivitäten in Vereinen zu finden. Hinzu kommen ein ständiges Miterleben von Leid und Tod, aber auch physische Angriffe dementer Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Sorge um die spätere Rente aufgrund der unzureichenden Bezahlung oder jahrelanger Teilzeitarbeit.
Welche konkreten Schritte müssen eingeleitet werden, damit eine des Entlastung des Personals gelingt?
Zuallererst sollte als Sofortmaßnahme ein Personalschlüssel von 1:2 seitens der politisch Verantwortlichen vorgegeben werden. Es sollte keine Nacht alleine in einem Wohnbereich gearbeitet werden. Die Antwort auf den Mangel an Fachkräften darf nicht die Absenkung der Fachkraftquote, sondern muss die Verbesserung der Qualität der Rahmenbedingungen für die Bewohnerinnen und Bewohner, Patientinnen und Patienten und Beschäftigten in den Pflegeberufen sein. Dazu gehört auch den Pflegemindestlohn von derzeit 10,55 Euro deutlich zu erhöhen. Ziel von ver.di sind aber allgemeinverbindliche Tarifverträge durchzusetzen, um die Bedingungen für alle Anbieter, auch für die nicht tarifgebundenen Anbieter, zu vereinheitlichen. Dies scheitert im Moment leider noch an den kirchlichen Arbeitgebern der Diakonie und der Caritas, die an ihrem sogenannten „Dritten Weg“ festhalten. Die Finanzierung könnte in der Umwidmung des „Pflegevorsorgefonds“ in einen „Pflegepersonalfonds“ gelingen. Mit den jährlich 1,2 Milliarden Euro mehr, könnten zusätzlich 40.000 tarifvertraglich vergütete Vollzeitstellen mit Pflegefachkräften besetzt werden.
Glauben Sie, dass der Beruf des Pflegers an Attraktivität verliert?
Wenn die Rahmenbedingungen nicht verbessert werden, wird es immer unattraktiver werden, den Pflegeberuf zu ergreifen. Neben der fehlenden Wertschätzung müssen deshalb verbindliche Vorgaben zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung etabliert werden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, genügend freie Tage zur Erholung und vor allem eine bessere verbindliche Personalbemessung müssen Ziel unserer Bemühungen sein, damit zum einen mehr Menschen diesen schönen Beruf ergreifen, zum anderen den jetzigen Pflegekräften ermöglichen bis zum gesetzlichen Rentenalter diesen Beruf ausüben zu können.
Die Fragen stellte Brettener Woche/kraichgau.news-Redaktionsvolontärin Havva Keskin.
Autor:Havva Keskin aus Bretten |
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