„Grundschulen beraten Eltern exzellent”: Interview mit Martin Knecht, Direktor der Max-Planck-Realschule Bretten
Nach 27 Jahren wird Martin Knecht, Direktor der Max-Planck-Realschule in Bretten, in den Ruhestand verabschiedet. Im Interview spricht er über das Modell Gemeinschaftsschule, die Herausforderungen vor denen Schulen heute stehen, welche Themen im Bildungsplan fehlen und was Cyber-Mobbing für Schüler bedeuten kann.
Bretten (swiz) Herrr Knecht, was kann und was muss Schule heutzutage leisten?
Schule muss mit allen am Schulleben Beteiligten, insbesondere den Eltern, die Schüler auf die Welt von morgen vorbereiten. Den Schülern muss die Schule vor allem Perspektiven für ein gelingendes Leben vermitteln und den Blick über den schulischen Tellerrand gewähren. Das bedeutet für die Schule aber auch, dass sie deutlich mehr leisten muss, als der aktuelle Bildungsplan beinhaltet.
Welche Themen sollte der Plan Ihrer Meinung nach denn aufnehmen?
Es müssten mehr Unterrichtsthemen aufgenommen werden, die sich am realen Leben orientieren. Das geht vom „Ausfüllen einer Überweisung“ über den Umgang mit Daten, der Vermittlung von umfassenden Kenntnissen zur Digitalisierung bis hin zum Schaffen von Umweltbewusstsein – und zwar für alle Klassenstufen. Aber auch abstraktere Themen wie „Glücklichsein“, Kommunikationstraining, Streitkultur und so weiter gehören für mich dazu. Alle diese Themen sind für mich wichtiger, als dass die Schüler wissen, wie hoch zum Beispiel der Feldberg ist. Was ich damit sagen will ist, dass wir das reine Auswendiglernen von Fakten ein wenig aus dem Schulalltag herausnehmen und durch die oben genannten Leitgedanken in den verbindlichen Fächerkanon einsetzen sollten. Das wird den Freunden von Fakten zwar schwer zu vermitteln sein, aber dadurch wäre der Bildungsplan auf der Höhe der Zeit.
Den Großteil der Erziehung und damit auch der Bildung der Kinder wird aber doch von den Eltern übernommen. Sehen Sie da ebenso Defizite?
Das kann man natürlich nicht verallgemeinern. Wir haben hier an der MPR sehr viele, sehr engagierte Eltern, die auch genau darauf achten, was wir an der Schule lehren, Verbesserungen kritisch einfordern und konstruktiv mitarbeiten. Natürlich stehen die Eltern in der Pflicht. Jetzt stehen beispielsweise die Sommerferien an. Da würde ich mir wünschen, dass nicht nur ans Meer gefahren wird, sondern mit den Kindern auch mal geschichtsträchtige Städte oder Orte besichtigt werden. Denn auch das ist Lernen.
In der Kritik stehen die Eltern auch, weil sie oft die Empfehlungen der Grundschulen für die weiterführende Schule ihrer Kinder ignorieren und sie mit aller Macht auf das Gymnasium bringen wollen. Wie erleben Sie das?
Unterschiedlich. Durch die gute Arbeit unserer Schule haben wir es geschafft, dass etwa 20 Prozent der Eltern, die für Ihre Kinder eine Gymnasial-Empfehlung erhalten haben, ihre Kinder ganz bewusst an der MPR anmelden. Viele entscheiden sich für diesen vielversprechenden Weg und damit für das erfolgreiche „Brettener Modell des G9“. Der große Trend geht aber landesweit eher in die andere Richtung. Wohin das führt, erleben wir jedes Schuljahr aufs Neue. In diesem Jahr haben wir bereits, und das noch vor den Notenkonferenzen, etwa 30 Rückläufer von den beiden Gymnasien in Bretten. Und diese Zahl wird nach den Notenkonferenzen sicher noch deutlich ansteigen. Ich bedaure die Schüler, die jetzt in der siebten oder achten Klasse das Gymnasium verlassen müssen, sehr. Denn das bedeutet für sie eine psychische Belastung.
Ist der landesweite Trend wirklich nur auf die Entscheidung der Eltern begründet oder geben die Grundschulen schlicht falsche Empfehlungen?
Die Grundschulen beraten exzellent und geben mit einer Trefferquote von mindestens 90 Prozent die richtige Empfehlung für die weiterführende Schule. Die Eltern müssten den Empfehlungen nur folgen. Daher fordert der Verband der Realschullehrer schon lange, dass die Grundschulempfehlung bindend sein sollte.
Großes Streitthema in Baden-Württemberg war und ist die Einführung von Gemeinschaftsschulen. Wie stehen Sie zu diesem Schulmodell?
Der große Befürworter der neuen Schulform Gemeinschaftsschule (GMS) bin ich bekanntlich nicht, bin aber froh, dass es mehrere Schulformen im Sekundarbereich gibt, zwischen denen die Eltern wählen können. Ich darf als Landesbeamter das Konzept der GMS zwar nicht beurteilen, aber fragen darf ich mich, wie ein zielführendes Unterrichten mit entsprechend gutem Erfolg stattfinden kann, wenn alle ‚Niveaus‘ in ein und derselben Lerngruppe arbeiten. Denn es wundert sich doch auch niemand, dass die Nationalmannschaft nicht mit einem Regionalligisten trainiert, oder, dass es zu Beginn eines Sprachkurses einen Einstufungstest zum Sprachvermögen gibt und die Teilnehmer dann in verschiedenen Leistungsgruppen unterrichtet werden. Warum sollte dies im Schulbereich anders sein?
Das Smartphone und der Umgang mit den Social-Media-Kanälen ist an allen Schulen ein großes Thema. Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Handynutzung bei Schülern?
Bei uns gibt es eine klare Vorgabe: Handys sind im gesamten Schulgebäude und auf dem Schulgelände von 7.30 bis 16 Uhr verboten. Und das funktioniert beachtlich gut. Wir haben diese Regelung gewählt, weil wir die Schüler schützen wollen und zu einer normalen verbalen Kommunikation in vollständigen deutschen Sätzen anleiten möchten. Dennoch ist das Problem des Cyber-Mobbings, etwa über WhatsApp, auch bei uns leider ein größeres Thema. Ich beschreibe das als einen für den Täter schmerzlosen Krieg über den Computer. Diese Form des Mobbings reicht dabei von der fünften bis in die zehnte Klasse und kann bei den Opfern schlimme Folgen haben. Unsere Schulsozialarbeiterin ist in die Bearbeitung dieser Mobbing-Art stark involviert und auch ich habe sehr viele Gespräche mit Tätern und Opfern geführt. Und natürlich versuchen wir da auch präventiv mit Hilfe verschiedenster Aktionen und Programmen entgegenzuwirken.
Wie erleben Sie ihre letzten Tage in der MPR als Rektor, und was werden Sie in Ihrem Ruhestand machen?
Letztens habe ich hierzu einen sehr schönen Spruch gehört: ‚Ich werde mich erst einmal ein Jahr in den Schaukelstuhl setzen. Und nach diesem Jahr? Dann werde ich mit Schaukeln beginnen…‘. An dieser tollen Schule durfte ich 27 Jahre lang arbeiten und meinen Traumberuf ausüben - zusammen mit einem sehr guten Team. Dafür bin ich sehr dankbar. Das ist aber auch der Grund, warum ich nicht mit einem lachenden und einem weinenden Auge, sondern definitiv mit zwei weinenden Augen in den Ruhestand gehe. Allen konnte ich es sicherlich nicht recht machen, aber ich versuchte kompetent und fair zu handeln. Ich hinterlasse eine Schule in einem sehr guten Zustand, die in unserer Stadt und darüber hinaus ausstrahlt, die bei der Bevölkerung, dem Schulträger wie auch bei der Industrie und Wirtschaft bekanntermaßen einen sehr guten Ruf besitzt und habe keine Zweifel, dass dies auch nach meinem Ausscheiden so bleiben wird.
Autor:Christian Schweizer aus Bretten |
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