Im Gespräch mit Daniel Krüger, Schulleiter des Edith-Stein-Gymnasiums (ESG)
„Ihr Schicksal ist eine Mahnung an uns“
Herr Krüger, es ist Dienstag, 14 Uhr. Wie war Ihr Tag heute?
Ich hatte einen eher untypischen Schultag, weil er bisher ungewöhnlich entspannt war. Da ich keine Deadlines, Sitzungen, Termine – zum Beispiel bei der Stadt oder im Regierungspräsidium – oder Unterrichtsstunden hatte, konnte ich die anfallende Arbeit nach und nach erledigen.
Was unterrichten Sie denn?
Englisch. Studiert habe ich aber auch noch Russisch, beides auf Lehramt an der Universität in Kiel.
Sie sind also Zugezogener?
Ja (lacht). Ursprünglich komme ich aus Schleswig-Holstein. Im Jahr 2000 bin ich nach Baden-Württemberg gekommen, weil es in Norddeutschland mit Russisch keine Stellen gab.
Und im Süden schon?
Ja, zum Beispiel am Stuttgarter Leibniz-Gymnasium, das eine starke Tradition im Fach Russisch hat. Dort bin ich 2004 in den Dienst eingetreten und 2014 stellvertretender Schulleiter geworden. Die Funktion habe ich auch weiter innegehabt, als das Leibniz-Gymnasium mit dem Nachbargymnasium zusammengelegt wurde. Der Fusionsprozess der beiden Gymnasien hat es mit sich gebracht, dass ich in vielen Bereichen der Schulentwicklung tätig war. Zum Schluss hatte ich dann das Gefühl, dass ich bei der Schulentwicklung nicht nur mitmachen will, sondern diesen Prozess maßgeblich gestalten möchte. Das war dann der Auslöser, noch einen Schritt weiter zu gehen.
Was folgte dann?
Relativ zufällig habe ich erfahren, dass am Edith-Stein-Gymnasium eine neue Schulleitung gesucht wird. Als ich mir die Schule ganz unvoreingenommen angeschaut habe, hatte ich von Anfang an den Eindruck, dass es eine außergewöhnliche Schule mit sehr engagierten Kolleginnen und Kollegen ist. Und so kam ich im Sommer 2019 hier her.
Welche Herausforderungen kamen dabei auf Sie zu?
Wenn man eine Schule neu kennenlernt, dann prasseln auf einen unheimlich viele Informationen ein. Und dabei muss man noch den umfangreichen Arbeitsalltag bewältigen …
… zu dem auch die pädagogische Arbeit zählt.
Richtig. Eine besondere Herausforderung sind die Fälle, wo es nicht ganz so gut läuft. Ich bin erschrocken darüber, wie viel Unterstützung die Kinder, aber auch die Elternhäuser brauchen. Man muss da mit unglaublich viel Fingerspitzengefühl vorgehen. Deshalb bin ich sehr dankbar über die Unterstützung der Schulsozialarbeit. Aber so habe ich eines verstanden: Heutzutage Kind zu sein, ist nicht einfach.
Wie wichtig ist es Ihnen, für die Schüler präsent und ansprechbar zu sein?
Sehr, und ich denke, das gilt auch für alle Kolleginnen und Kollegen. Es wird nie so sein, dass ich hier im stillen Kämmerlein für mich arbeite und – wenn jemand anklopft – sage: ‚Jetzt bitte nicht.‘
Was haben Sie sich für die kommenden Jahre am ESG vorgenommen?
Es stehen einige Themen auf der Tagesordnung. Da wäre zum Beispiel der konsequente Schritt in die Digitalisierung, zu der auch die Entbürokratisierung durch digitale Workflows gehört. Zudem würde ich gerne die Öffentlichkeitsarbeit professioneller gestalten und in Zukunft eine neue Homepage aufsetzen lassen, um in einem angemessenen Umfang konsequent über das Schulleben zu berichten. Wir haben auch eine Schulbibliothek – die muss mehr ins Schulleben eingebunden sein. Deshalb haben wir eine Funktionsstelle ausgeschrieben, die sich mehr um diesen Bereich kümmern wird.
Was bedeutet für Sie Bildungsgerechtigkeit?
Bildungsgerechtigkeit bedeutet für mich, dass ein Kind die gleichen Chancen hat, unabhängig von der finanziellen Situation der Eltern, dem häuslichen Umfeld, unabhängig von Geschlecht, Religion und Kultur und auch unabhängig davon, ob es eine Bildungsaffinität in der Familie gibt. Zur Bildungsgerechtigkeit zählt auch die Inklusion. Dass wir darauf Wert legen, wird dadurch unterstrichen, dass wir eine UNESCO-Projektschule sind.
Wie sieht Bildungsgerechtigkeit am ESG konkret aus?
Wir haben zum Beispiel Förderangebote in den Kernfächern, und unser „Freundeskreis“ hilft bei Klassenfahrten und Ähnlichem finanziell, wo nötig. Außerdem kümmern wir uns intensiv um unsere Inklusionsschüler und sorgen zum Beispiel für einen angemessenen Nachteilsausgleich.
Was kann man sich unter „UNESCO-Projektschule“ vorstellen?
Themen wie die Einhaltung der Menschenrechte, kulturelle und ökologisch-nachhaltige Bildung, der gerechte Ausgleich zwischen Arm und Reich und Toleranz gegenüber Vielfalt und Andersartigkeit stehen bei uns im Fokus. Das kommt in zahlreichen Projekten zum Ausdruck. Wir haben zum Beispiel eine Umwelt-AG, die sich darum kümmert, wie wir den Energieverbrauch an der Schule weiter senken können. Wir organisieren Schüleraustausche mit Schulen in Dänemark, Tschechien und Rumänien und Veranstaltungen mit Zeitzeugen zum Thema Nationalsozialismus.
Wie passt die Namensgeberin Edith Stein in diese Ausrichtung?
Edith Stein ist eine ganz starke Persönlichkeit gewesen, eine höchst gebildete und kluge Frau, zudem eine Philosophin und Frauenrechtlerin, die ständig auf der Suche nach Erkenntnis und Wahrheit war. Sie hatte einen übergroßen Gegner vor sich – und den Kampf konnte sie nicht gewinnen. Man kann nur mit großer Achtung auf ihre Lebensleistung zurückschauen. Natürlich ist ihr Schicksal auch eine Mahnung an uns.
Mit ihrem Streben nach Wissen und Wahrheit verbindet sich unsere Namenspatronin geradezu harmonisch mit unserem Schulprofil.
Herr Krüger, was ist Ihre schönste Erinnerung an Ihre eigene Schulzeit?
Da habe ich tatsächlich ganz viele (lacht). Sehr gerne erinnere ich mich an den Physikunterricht. Die vielen Experimente und das Erforschen der Welt haben mich absolut fasziniert. Überhaupt habe ich gerne gelernt und das als großen Schatz empfunden. Und wenn man das Abitur gemacht hat, dann hat man eine breite Bildung in so vielen Fächern, wie man sie später wahrscheinlich gar nicht mehr hat. Diese Breite habe ich sehr genossen und vermisse sie heute auch.
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Autor:Havva Keskin aus Bretten |
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