"Wir können nicht alles retten"
Diskussion über Kulturdenkmal im Gemeinderat

Weil ein Großteil der vorhandenen Bausubstanz des Gebäudes in der Sternenfelser Straße 27 nicht erhalten werden kann, will die Gemeinde das denkmalgeschützte Haus abreißen lassen. Foto: Archiv/Lohner
  • Weil ein Großteil der vorhandenen Bausubstanz des Gebäudes in der Sternenfelser Straße 27 nicht erhalten werden kann, will die Gemeinde das denkmalgeschützte Haus abreißen lassen. Foto: Archiv/Lohner
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Oberderdingen (hk) Die Debatte über ein historisches Erbe in Oberderdingen ging in der jüngsten Sitzung des Gemeinderates am vergangenen Dienstagabend in die nächste Runde. Im Fokus steht das Wohnhaus in der Sternenfelser Straße 27. Die Sitzungsvorlage beleuchtete die prekäre Situation deutlich: Die Instandsetzung des Fachwerkhauses würde mindestens 800.000 Euro kosten, ohne eine nachhaltige Nutzung zu gewährleisten. Angesichts dessen und des desolaten Zustands des Gebäudes streben die Stadt und der Gemeinderat an, den Abriss des Gebäudes zu erwirken. Diese Entscheidung fiel nicht leicht, wie die Stadträte in ihren Stellungnahmen betonten, bedenkt man die historische Bedeutung des Hauses, dessen Ursprünge bis ins Jahr 1558 zurückreichen. Es ist laut Bürgermeister Thomas Nowitzki eines der ältesten Gebäude in Oberderdingen. Allerdings ist der Abriss des Gebäudes von der Baurechtsbehörde am Landratsamt bis dato nicht freigegeben – die Gemeinde Oberderdingen will aber nun nicht noch länger auf die endgültige Abrissgenehmigung warten, weil das Gebäude stark einsturzgefährdet ist. Die Verwaltung will deshalb nun, um die Interessen der Stadt Oberderdingen zu wahren, eine Rechtsberatung einholen und eine förmliche Entscheidung beim Landratsamt Karlsruhe, dem Baurechtsamt, erwirken.

Gemeinde beauftragt Rechtsanwälte für rechtliche Vertretung

Schon beim Erwerb des Objekts von einer Erbengemeinschaft durch die Gemeinde im Jahr 2017 habe sich das Gebäude laut Verwaltung in einem bedenklichen Zustand befunden. Untersuchungen von beauftragten Fachfirmen hätten ergeben, dass ein Großteil der vorhandenen Bausubstanz nicht erhalten werden könne. Eine andere Wahl als den Abriss des Gebäudes hatte die Gemeinde daher schon früh nicht mehr. Eine Kostenberechnung im Jahr 2021 zum Erhalt des denkmalgeschützten Fachwerkhauses habe zudem eine "unwirtschaftliche und nicht vertretbare Summe" ergeben.

Eine Firma, die laut Stadtverwaltung bereits mehrere denkmalgeschützte Häuser saniert hat, habe bei einer Begehung im Dezember 2021 dem Haus Pilzbefall und Instabilität attestiert. Als Ergebnis dieser Begehung stellte die Stadt im Februar 2022 einen Antrag auf Abriss beim Landratsamt Karlsruhe. Da bis Juni 2022 noch keine Entscheidung der Baurechtsbehörde vorlag, kündigte Bürgermeister Nowitzki laut eigener Aussage beim Landratsamt Karlsruhe an, dass er den "Abbruch des Hauses zur Gefahrenabwehr" anordnen werden würde. Laut Stadtverwaltung folgte eine formlose Ablehnung des Abbruchantrags durch das Landratsamt Karlsruhe. Einstimmig hat der Gemeinderat nun beschlossen, die Rechtsanwaltskanzlei Birk und Partner aus Stuttgart mit der rechtlichen Vertretung der Stadt zu beauftragen, um eine Entscheidung beim Landratsamt Karlsruhe, Baurechtsamt einzuholen.

Ingenieur warnt vor Einsturzgefahr: Fachwerkhaus in akuter Gefahr

Ingenieur Marcel Gabler warf ebenfalls ein beunruhigendes Licht auf den Zustand des historischen Fachwerkhauses, nachdem er es aus statischer Sicht untersucht hatte. Das Gebäude zeige deutliche Anzeichen von Verfall, insbesondere die nordöstlich gelegene Außenwand im hinteren Bereich sei stark einsturzgefährdet. "Knickt der untere Bereich aus, verlieren die darüberliegenden Bauteile aufgrund der höheren Beanspruchung ihre Tragfähigkeit. Es kommt zum Einsturz der gesamten Giebelwand", so Gabler. Er betonte weiter, dass die Konstruktion so geschwächt sei, dass der endgültige Verlust der Tragfähigkeit jederzeit eintreten könne. Bei einem Einsturz beginne mit "hoher Wahrscheinlichkeit" eine Kettenreaktion und es würden auch intakte Bauteile ihre Tragfähigkeit verlieren. Neben der strukturellen Schwäche des Gebäudes machte Gabler auch auf die potenzielle Gefahr durch lose und lockere Bauteile aufmerksam. Durch fehlende Abschlüsse der Dacheindeckung etwa könnten Dachziegel auf die Verkehrswege fallen.

Dringende Maßnahmen für Sicherheit des historischen Gebäudes erforderlich

Diese Gefahr bestehe auch bei anderen Bauteilen wie zum Beispiel bei Teilen der Fassade, des Mauerwerkes oder des Außenputzes. Somit sei auch die Verkehrssicherheit nicht gewährleistet. "Eine Restauration des Gebäudes ist aus statischer und wirtschaftlicher Sicht nicht sinnvoll", so Gabler. Eine belastbare Kostenschätzung sei im Vorfeld nicht möglich, da der endgültige Aufwand einer Restauration erst bei der Ausführung der Arbeiten erkennbar werden würde.

"Das Gebäude stellt daher für den Gemeindehaushalt ein hohes finanzielles Risiko dar", so der Ingenieur, der dafür plädierte, umgehend Maßnahmen zur Gewährleistung der Standsicherheit und Verkehrssicherheit zu ergreifen, wie die Absicherung der hinteren Außenwand, den Einbau eines Zugbandes zum Zusammenhalten des Gebäudes, die Sicherung der Dacheindeckung und die Untersuchung der Fassade auf lockere Teile – und das am besten schon "morgen". Gabler sprach sich außerdem stark dafür aus, den Abbruch des Gebäudes schnellstmöglich herbeizuführen.

Verpflichtung gegenüber Bürgern und Frage nach der Haftung

SPD-Stadtrat Markus Müßig äußerte sich betroffen über die Entscheidung, das Gebäude abreißen zu müssen. Die Entscheidung habe man schweren Herzens gefasst. Er erinnerte daran, dass auch der Erwerb des Hauses einst eine schwierige Entscheidung gewesen war: "Wir haben uns trotzdem dazu durchgerungen", so Müßig. Die Tatsache, dass Entscheidungsträger zum Beispiel aus dem Landratsamt nicht einmal vor Ort erschienen sind, um das Gebäude zu begutachten, bezeichnete Müßig als "Unding".

Julian Breitschwerdt (Grüne) fragte, warum die Verwaltung damals zum Kauf des Hauses geraten hatte. Bürgermeister Nowitzki verteidigte den Kauf des Gebäudes und wies darauf hin, dass zum Zeitpunkt des Erwerbs nicht absehbar war, dass die Sanierungskosten in die Millionen gehen würden. CDU-Stadträtin Elena Nowitzki unterstrich die Bedeutung des Erhalts historischer Fachwerkgebäude in Oberderdingen. Sie verwies auf erfolgreiche Beispiele wie das Gebäude, in dem sich nun die Mediathek befindet. Dennoch müsse man auch die Verantwortung gegenüber den Bürgern berücksichtigen: "In den Zeiten, wo es auch darum geht, unsere Pflichtaufgaben zu erfüllen, müssen wir auch darüber nachdenken, wie wir das Geld ausgeben." Brigitte Harms-Janssen (CDU) sagte: "Wir können nicht alles retten". Sie warnte davor, dass das Haus direkt an der Straße zusammenbrechen könnte und dass sie als Stadträtin nicht die Haftung dafür übernehmen wolle. Ihre Priorität liege darin, die Bürger vor möglichen Gefahren zu schützen.

Autor:

Havva Keskin aus Bretten

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