"Die Kommunen müssen mit an den Tisch"
Oberderdingens Bürgermeister Nowitzki über langfristige Ziele und Herausforderungen
Oberderdingen (ger) Zum Jahreswechsel blickt Bürgermeister Thomas Nowitzki im Gespräch mit Redakteurin Katrin Gerweck auf die positive Entwicklung seiner Gemeinde in den letzten Jahren zurück und schaut auf das, was im neuen Jahr 2023 ansteht. Als Kreisvorsitzender Bürgermeister nimmt er dabei auch die zunehmende Überforderung der Kommunen durch Bund und Land in den Blick.
Mit der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine hat sich die Welt in den letzten zwei Jahren stark verändert. Wie erleben Sie das in Oberderdingen?
Corona hat in der Tat das Gemeinschaftsleben verändert, auch in Oberderdingen. Durch den zwangsweisen Rückzug vom Miteinander, da keine Veranstaltungen und kein Vereinsleben mehr möglich waren, hat das Gemeinschaftsgefühl gelitten, ist sicher schwächer geworden. Aber jetzt spürt man, dass viele Menschen wieder die Gemeinschaft suchen. Die Weihnachtsmärkte in Flehingen und Oberderdingen waren gut besucht, die Menschen haben sich wieder auf die Gespräche gefreut. In den Vereinen spürt man zum Teil, dass es schwieriger ist, Helfer zu mobilisieren. Ab einem bestimmten Alter sagen manche jetzt, da muss ich nicht mehr mitmachen. Da muss das Miteinander erst wieder erstarken. Als die Kindergärten und Schulen geschlossen waren, haben die Familien lernen müssen, sich auf den kleinsten möglichen Teil zurückzuziehen. Laut einer Umfrage fühlen sich über 90 Prozent der Menschen mit Familie und engen Freunden wohl, über 70 Prozent auch noch in ihren Gemeinden, aber das Vertrauen in die Politik hat sicher gelitten.
Der Krieg in der Ukraine ist fürchterlich. Keiner aus unserer Generation hatte damit gerechnet, dass nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt, Menschen um ihr Leben fürchten müssen. Die Hilfsbereitschaft in Oberderdingen ist aber sehr groß. Über die Hälfte der 129 in unserer Gemeinde gemeldeten Flüchtlinge sind privat untergebracht, das ist ein positives Zeichen.
Sie sind seit bald 20 Jahren Bürgermeister in Oberderdingen. Wie hat sich der Ort in dieser Zeit, auch durch Ihr Zutun, entwickelt?
Ich bin schon viel länger hier, war ab 2001 Erster Beigeordneter und vorher 20 Jahre Amtsleiter. Oberderdingen, Flehingen und Großvillars feiern ja dieses Jahr Goldene Hochzeit. In den 50 Jahren hat sich die Gemeinde entwickelt, wie es keiner geahnt hatte. Wir haben hier eine sehr gute Infrastruktur und einen hohen Wohnwert, was viele junge Familien anlockt. Allein in diesem Jahr sind 52 Familien mit mindestens einem Kind zugezogen. Meine Zielsetzung war immer: Die Menschen müssen sich wohlfühlen. Meine Aufgabe als Bürgermeister sehe ich darin, langfristige Entwicklungen zu verfolgen und zukunftsorientiert zu handeln.
Oberderdingen hatte immer und hat einen guten und mutigen Gemeinderat, der offen für Neues ist. 2005 waren wir zum Beispiel eine der ersten Gemeinden, die Kinder unter drei Jahren im Kindergarten aufgenommen hat. Und ich habe ein sehr gutes Rathaus-Team, das es gewohnt ist, mit hoher Schlagkraft zu arbeiten.
Für den östlichen Landkreis hat Oberderdingen eine Unterzentrumsfunktion, neben dem Mittelzentrum Bretten. Kinder aus den Gemeinden ringsum kommen hierher an die Schulen, viele Menschen kommen zum Einkaufen, und wir haben eine gute gewerbliche Infrastruktur mit 5.000 Arbeitsplätzen. Inzwischen haben wir 11.800 Einwohner, denn gerade in den letzten Jahren hat der Zuzug durch neue Baugebiete und die Innenbereiche, in denen wir über 200 Wohnungen geschaffen haben, stark zugenommen. Das hat auch mit der Kommunalbau zu tun, die wir 2008 mit dem Ziel gegründet haben, Wohnraum zu schaffen. Es fehlten nämlich in den 90ern und Nullerjahren vor allem Mietwohnungen für junge Menschen und für diejenigen, die ihren Arbeitsplatz vor Ort haben. Wenn junge Menschen ihre Ausbildung fertig haben, wollen sie von zu Hause ausziehen. Und nur, wenn sie hier eine Wohnung bekommen, kann man sie im Ort halten. Und mit dem Auto wird es immer aufwendiger zur Arbeit zu kommen, wie es auch mit dem ÖPNV leider nicht besser wird.
Aufgrund der derzeitigen Krisen stehen die meisten Gemeinden mit knappen Kassen da. Mussten Sie in Oberderdingen auch geplante Projekte einschränken oder ganz streichen?
Der hohe Aufwand bei Corona war nicht nur monetärer Art, sondern hat auch Verwaltungskraft gebunden, wie auch die vielen Flüchtlinge. Dadurch sind manche Projekte langsamer gelaufen oder verschoben worden. Auch die Planungsbüros sind ausgelastet, dazu kommen der Fachkräftemangel und Materialengpässe, und bei manchem fehlte auch das Geld. Beim Glasfaserausbau konnten zum Beispiel Aufträge nicht umgesetzt werden. Und das Kaffeehaus Aschinger, das gegenüber dem Amthof entsteht, hat sich um vier, fünf Monate verzögert. Wir fahren auf Sicht, dennoch ist es noch unglaublich viel, was gebaut wird.
Was steht in Oberderdingen nächstes Jahr auf der Agenda?
Einige Veranstaltungen haben wir für das Jubiläum 50 Jahre Oberderdingen, Flehingen und Großvillars. Am 18. Juni veranstalten wir ein großes Kinderfest mitten im Ort. Es wird einen Naturparkmarkt geben und zum Neujahrsempfang, bei dem das Jubiläum im Mittelpunkt steht, kommt auch der Landrat.
Ein geschobenes Projekt ist die Vollendung des Hochwasserschutzes. Wir investieren 900.000 Euro, wovon wir vom Land 475.000 Euro Förderung bekommen. Dafür entsteht ein Rückhaltebecken in den Breitwiesen und wir ertüchtigen drei Rückhaltebecken am Kohlbach, am Humsterbach und am Kraichbach in Flehingen. Baubeginn wird im Frühjahr sein. Darüber bin ich sehr froh, denn dann haben wir alle Schutzmaßnahmen für ein 130-jähriges Hochwasser erledigt.
Weiter bleibt der Wohnungsbau ein Schwerpunkt: Am Heiliggrund sind, leider mit über einem Jahr Verspätung, 32 geförderte Wohnungen im Bau. Und wir haben weitere vier Projekte der Kommunalbau mit nochmals 33 Wohnungen, die alle innerorts entstehen. Auf bisherigen Brach- und Grünflächen realisieren wir zwei kleine Innenentwicklungen mit Ein- und Mehrfamilienhäusern, an der Kugler-Mühle in Flehingen und am Kirchberg West in Oberderdingen.
Ich freue mich auch auf das Kaffeehaus Aschinger in der neuen Ortsmitte beim Marktplatz, das wir nach unserem Ehrenbürger benannt haben, der in den 1920er Jahren die Gastronomie in Berlin prägte. Dementsprechend wird auch der Einrichtungsstil an die 20er Jahre erinnern. Als Café-Bistro soll es auch abends geöffnet sein. Wir haben schon ein junges Pächterpaar dafür gefunden.
Dann bauen wir als Bauherr zusammen mit der Kirchengemeinde, der das Grundstück gehört, den katholischen Kindergarten mit vier Gruppen in Flehingen am alten Standort neu. Auch hier hat das Material, in dem Fall Holz, gefehlt, weshalb sich das Projekt verzögert hat. Statt im Spätsommer werden wir im Januar öffnen. Dafür gehen dann in die Interimslösung in der Alten Schlossgartenhalle zwei Gruppen in kommunaler Trägerschaft wegen des hohen Bedarfs an Plätzen. Noch fehlt uns dazu aber das Personal. Planerisch werden wir drei neue Einrichtungen angehen: In Oberderdingen entstehen weitere Plätze für unter Dreijährige und in Flehingen zwei Gruppen für über Dreijährige, beide in einem denkmalgeschützten Anwesen. Der Kindergarten in Großvillars ist nicht mehr erweiterbar, daher planen wir dort einen neuen, größeren und geben den alten dann auf.
Vor wenigen Tagen haben wir zudem 3,1 Millionen Euro vom Land und 3,9 Millionen Euro vom Bund an Fördergeldern für den Glasfaser-Ausbau erhalten. Zehn Prozent, also 700.00 Euro, müssen von der Gemeinde kommen, damit werden wir bis 2025 Oberderdingen ausbauen. Wir haben auch schon einen Vertragsentwurf mit der Deutschen Glasfaser für Gebiete, die nicht gefördert ausgebaut werden dürfen. Das Ziel der kommunalen Glasfaseroffensive ist es dabei, einer der ersten Landkreise zu sein, der komplett ausgebaut ist. Von 32 Kommunen sind 30 dabei, wir natürlich auch.
Als Kreisvorsitzender Bürgermeister hatten Sie bei der letzten Kreisversammlung des Gemeindetags das drängendste Problem der Kommunalverwaltungen an die erste Stelle gesetzt: die zunehmende Überforderung durch immer neue Aufgaben. In welchen Bereichen ist das Problem besonders präsent? Und wie könnten die Kommunen entlastet werden?
In den letzten Jahren machen Bund und Land die politischen Ziele zum Credo, statt sich am Machbaren zu orientieren. Daher fordert die kommunale Ebene: Die Kommunen müssen mit an den Tisch, wenn beraten und entschieden wird. Wir brauchen mehr Vertrauen in die Umsetzungsebene. Die Gemeinden haben in den sieben Jahrzehnten nach dem Krieg doch bewiesen, dass sie umsetzen können, was Bund und Land als Rahmen vorgeben. Man muss sie nur machen lassen und zwar mit weniger Bürokratie und weniger Vorgaben. Und es sollten nicht nur Aufgaben, sondern auch Geld mitgegeben werden, gemäß dem Prinzip der Konnexität: Wer bestellt, bezahlt. Zur Zeit ist es so: Am Montag geht es um das Ziel Ganztagsschule, am Dienstag um Mobilität, am Mittwoch um Flüchtlingsunterstützung, am Donnerstag um Klimaschutz und am Freitag um die Grundsteuer. Und bei jedem Thema sagt das Land: Da haben die Gemeinden doch auch ein Interesse daran und müssen sich daher finanziell beteiligen. Das Wort von der Zeitenwende stimmt schon, aber wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir dem begegnen können und zwar mit weniger Standards.
Da haben wir zum Beispiel seit Jahren einen Kindergarten in Betrieb und auf einmal gibt es die neue Vorgabe, dass ein zweiter Fluchtweg hermuss, sonst muss der Kindergarten schließen. Die Kosten trägt natürlich die Gemeinde. Oder ganz aktuell: Aus Bauerbach besuchen mehr Schüler die Realschule in Oberderdingen, als die Realschule in Bretten. Seit dem Fahrplanwechsel Anfang Dezember hält die passende Bahn aber nicht mehr in Bauerbach, deshalb müssen die Kinder eine Stunde früher los. Warum sind wir nicht vorher gefragt worden? Ich arbeite da gerade an einer Lösung. Wenn es nicht auf der Schiene geht, muss entweder die Linie 143 von Gochsheim über Bauerbach fahren oder ein extra Bus her.
Und solche Beispiele wiederholen sich im ganzen Land. Hohe Standards kosten viel Geld. Wir haben 1,2 Millionen Euro in die Digitalisierung der Schulen investiert und nur 365.000 Euro Fördergelder bekommen. In fünf Jahren wird man schon neue Tablets brauchen, das ist eine ganz andere Art Lehrmittel als die Bücher früher. Die Schulträgerschaft zwischen Land und Kommunen muss neu justiert werden. Generell wünschen sich die Kommunen eine Neuausrichtung, mehr Vertrauen und mit an den Tisch genommen zu werden, wenn es um die Umsetzung geht.
Autor:Katrin Gerweck aus Bretten |
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