Die Qual der Wahl
Bei Verzögerung einer Vertragsannahme kann sich der Bewerber schnell zwischen zwei Stühle setzen
Würden Sie den Weg zum Standesamt mitgehen, wenn Sie genau wüßten, daß Sie selbst eigentlich nur die zweite Wahl, quasi die Notlösung, sind, wenn das Herz Ihrer/s Angebeteten bei jemandem hängen geblieben ist, der Ihnen zwar ähnlich sieht, aber eben doch viel liebenswerter zu sein scheint? Selbst unter Erwägung der berühmten Vernunftsehe zeichnet sich die konfliktträchtige Atmosphäre am Horizont ab.
Zugegeben, niemand erwartet bei Unterzeichnung eines Anstellungsvertrages, daß damit eine lebenslange Verpflichtung für beide Seiten eingegangen wird. Schließlich gibt es Kündigungsfristen und -möglichkeiten. Der gemeinsame Nenner aber ist die Vertrauensfrage, die auch beim Arbeitsverhältnis eine größere Rolle spielt, als an der Oberfläche der Entscheidungsprozesse erkennbar wird. Insbesondere in untemehmergeführten Häusern grundsätzlich aber im Mittelstand resultiert hieraus ein großer Einfluß.
Beispiel aus der Praxis
Dr. Manfred Z. (Name geändert) war als Spitzenkandidat für eine Position des Entwicklungschefs in einem weltweit operierenden Unternehmen des Maschinenbaus hervorgegangen. Es schien alles zu stimmen, mehrere Gespräche brachten eine allseits zu erkennende Übereinstimmung, die Zielsetzungen waren klar, der finanzielle Rahmen o.k., das Interesse auf beiden Seiten deutlich bekundet. Dr. Z. war bereit und interessiert, die Aufgabe zu übernehmen und bekam schließlich den telefonischen Zuspruch. Man einigte sich bereits auf einen Einstellungstermin. Jetzt sollte der Vertrag zugeschickt werden. Dr. Z:. bat zunächst um einen Entwurf, seinem Wunsch kam man nach. Binnen einer Woche sollte er seine Wünsche dazu mitteilen. Aber sie kamen mit drei Tagen Verspätung, was man mit einer leichten Verärgerung registrierte. Schließlich war ein weiterer Kandidaten noch im Hintergrund, den man sich ebenfalls für diese Aufgabe vorstellen konnte. Das ganze Auswahlverfahren hatte nicht zuletzt durch die Anzahl der Bewerbungen länger gedauert als beabsichtigt, der zeitliche und zumutbare Rahmen für den Entscheidungsprozeß war gemäß aller Erfahrungswerte ausgeschöpft, wollte man nicht riskieren, daß der potentielle Ersatzmann sich anderweitig vertraglich bindet, bevor alles unter Dach und Fach war. Eine geänderte Vertragsversion wurde ausgestellt und zugeschickt unter Einbindung einer Erklärungsfrist. Dr. Z. rief am letzten Tag dieser Frist an und bat um eine Woche Aufschub, er wäre auf Reisen gewesen und müsse noch mit Lebensversicherung und Steuerberater einige Details klären, deren Terminrahmen aber sei knapp. Der eigentliche Hintergrund wurde jetzt spürbar, aber man gewährte widerwillig diese Verlängerung. Als am letzten Tag des Aufschubs kein gegengezeichnetes Vertragsexemplar per Post einging, wurde der telegrafische Widerruf des Angebots veranlaßt - was bei Dr. Z. Bestürzung auszulösen schien.
Unausgesprochene Erwartungen entscheiden
Ein Fall aus der Praxis, wie er sich so oder ähnlich immer wieder einmal abspielt. Auf der betrieblichen Seite entstehen neben der Vertrauensfrage zwei weitere. Wird erkennbar, daß der Wunschkandidat auf ein Konkurrenzangebot wartet und deshalb die Abwicklung bewußt hinauszögert, wird man ihm keine überzeugende Identifikation mit der Aufgabenstellung zutrauen. Viel Mühe und Zeit wird oftmals investiert, um motivierende Einflüsse für Management und Mitarbeiter zu schaffen. Eine Besetzung von Schlüsselpositionen im Unternehmen darf dann erst recht nicht unter Kompromissen vorgenommen werden. Gibt man heute gerne Unterstützung zur Klärung des zukünftigen privaten Umfelds, hört hier bei den Entscheidungsträgern die Bereitschaft auf, persönliches Verständnis für die Entscheidungsqual des Bewerbers zu zeigen. Eine hohe Motivation muß als Voraussetzung für einen überdurchschnittlichen Erfolg zwingend erwartet werden, genau die ist aber nicht anzunehmen, wenn die Präferenz des Bewerbers woanders liegt.
Die Frage der Bindungsfähigkeit des Kandidaten bekommt eine negative Wertung. Wird eine halbherzige Entscheidung seinerseits getroffen, entstehen zwei Risiken für das Unternehmen: er kam unter Umständen kurze Zeit später -also nach Absage an mögliche Alternativbewerber und vor Stellenantritt- bereits seine Kündigung schicken oder mit dem Wunsch auf Vertragsannullierung kommen, weil jetzt doch das bessere Angebot endlich vorliegt, auf das er ohnehin gewartet hatte. Zum anderen muß die Chance, daß er nach nur kurzer Verweildauer erneut einen Wechsel vornimmt, hoch eingeschätzt werden. Führungspositionen sollten aber eine gewisse Kontinuität in sich tragen, ohne die eine zumindest mittelfristige Weiterentwicklung der Organisation undenkbar ist.
Unabhängig hiervon bekommt der Personalchef verständlicherweise gemischte Gefühle, wenn er Eindruck entsteht, daß der Wunschkandidat "ja" sagt und "vielleicht" meint. In dieser sensiblen Phase muß aber unbedingt Vertrauen auf die persönliche Zuverlässigkeit entstehen. Gerade das bringt den Bewerber natürlich in Gewissenskonflikte. Einerseits sollte er den Eindruck vermeiden, daß er gerne die Entscheidung in zweiter Sache abwarten möchte, und da auch die Ausrede, man wolle das Vertragsangebot erst anwaltlich prüfen lassen, nicht gerade zu den feinfühligsten Argumenten gehört, kann ihm nur zu einer wahrheitsgemäßen Haltung geraten werden. Wo ist die Lösung, wenn es darum geht, Zeit für den eigenen Entscheidungsprozeß zu gewinnen?
Fehlende Informationen ergänzen
Warum entsteht dieser Konflikt überhaupt? Die Antwort ist in vielen Fällen darin zu finden, daß der Bewerber nicht in allen relevanten Punkten Klarheit über Aufgabe und/ oder Angebot bekommen hat. Und ein unzureichender Informationsstand führt zwangsläufig zur Entscheidungsunsicherheit, wenn nicht -unfähigkeit. Andernfalls wäre die Möglichkeit vorhanden, sich absolut ohne Einbeziehung einer Alternative zu äußern. Entweder es ist die gesuchte Position oder nicht. Aber welche Entscheidungskriterien -wenn diszipliniert vorgearbeitet wurde- sind anzusetzen? Hier kann der erste Schritt getan werden. Fehlen Informationen oder tiefergehende Sachgehalte, kann sehr konsequent eingehakt werden. Ein weiteres Telefonat, ein nochmaliger Besuch, auch wenn er nur kurz ist, kann Abhilfe schaffen und bringt glaubwürdigen Aufschub. Klären Sie einfach konsequent alle Fragen, die nicht geradlinig beantwortet sind und offenstehen. Registrieren Sie in einer solchen Situation bewußt die Punkte Ihres Bildes von Position und Unternehmen, in denen Sie quasi ungeprüft von Voraussetzungen ausgehen, die nicht unbedingt tatsächlich erfüllt sein müssen.
Bauen Sie sich ein Entscheidungsschema mit klaren Kriterien auf. Gehen Sie Punkt durch. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß sich ein Kompromiß darstellt und das vorliegende Angebot Sie selbst nicht überzeugt. Andernfalls aber hätten Sie die Chance zuzugreifen und auf Nummer sicher zu gehen.
Verlagern Sie das Problem
Bleibt das Problem auch jetzt noch und Sie haben alle Gesprächsmöglichkeiten ausgeschöpft, alle Informationsquellen angezapft und Sie müssen in irgendeiner Weise reagieren, bleiben einige wenige Türen, die akzeptiert oder erfolgsbestätigt sind.
Hat Ihre Familie die neue Gegend schon gesehen? Für den Fall eines erforderlichen Umzugs wird man bereit sein, Ihnen bzw. Ihrem Ehepartner die Zeit noch einzuräumen, das nächste Wochenende -vielleicht sogar unter Kostenerstattung?- am potentiellen Wohnort zu verbringen.
Haben nicht Sie, sondern der Ehepartner die Entscheidungsschwierigkeit, weil Gehalt, Wegezeit oder Umzug ihn unzufrieden machen, können Sie dieses Problem beruhigt ins Spiel bringen. Allerdings nur, wenn sichergestellt ist, daß kein unmittelbarer "Zugriff" auf diese quasi dritte Person des Verhandlungsgeschehens möglich ist. Sie haben gute Aussichten, daß man Ihnen verständnisvoll einige weitere Tage für die nötige Überzeugungsarbeit gewähren wird.
Der beste Weg aber ist in der Regel, denjenigen am Problem teilhaben zu lassen, der Ihnen das Wunschangebot unterbreiten sollte. Rufen Sie ihn an und erklären Sie Ihre Situation. Natürlich macht das nur Sinn, wenn bereits mindestens ein Gespräch stattgefunden hat. Geben Sie hier ruhig den Druck weiter, der auf Ihnen selbst liegt, denn Sie verlagern das Problem damit. Warum soll man hinter den begehrten Kulissen nicht ein wenig mitleiden? Gibt es nämlich auch im zweiten Haus deutliches Interesse an Ihnen, wird man gewiß versuchen, auf Ihren Entscheidungszwang zu reagieren und notfalls den Routineablauf zu beschleunigen. Andernfalls gelangen Sie hier zu einer schnelleren Klarheit oder können die Sache zumindest mit größerer Erleichterung abhaken wenn Sie hören, daß erst in vier Wochen mit einer verbindlichen Entscheidung zu rechnen ist.
Eine Spielregel sollte bei allem genau eingehalten werden, wenn Sie in der Phase eines Vertragsangebots Zeit gewinnen wollen. Überschreiten Sie unter keinen Umständen eine Terminabsprache, da Sie mit einer sehr empfindlichen Reaktion rechnen müssen und obendrein das verbindlich erklärte Angebot seine Gültigkeit verlieren kann.
Die beliebte Alternative, einen Vertrag im Zweifelsfall lieber doch zu unterzeichnen und bei Vorliegen des Wunschangebots sofort wieder zu kündigen oder aufheben zu lassen, sollte dagegen nicht in Betracht gezogen werden. Die Verrohung unserer gesellschaftlichen Umgangsformen muß wirklich nicht auch noch von Bewerbern mit Format unterstützt werden.
Autor:Ralf Scherer aus Region |
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