Marc Marshall: "Vergänglichkeit ist mir bewusst"

Am 28. Juli 2018 wurde der Sänger und Entertainer 55 Jahre alt. Zeit zurückzublicken auf die Kindheit als Zirkuskind, die Festung „Familie“, welche weniger schöne Erfahrung ihn dazu bewegt hat, Sänger zu werden, die Zeit in L.A., warum er mehrere Projekte machen will, sein Album „Herzschlag“ und die berührenden „Herzschlag-Momente“, Authentizität und Selbstkritik, seine Arbeit als Botschafter für das Kinderhospiz „Sterntaler e.V.“, was ihm sein neues Lebensjahr bedeutet und wie er zum berühmten „künstlerischen Fußabdruck“ steht.

„Ich bin wie ein Zirkuskind in der Musikwelt aufgewachsen” – dieses Zitat stammt von dir. Warum ausgerechnet der Begriff „Zirkuskind“?
Zirkus steht für eine ganz spezielle Welt, die voller Sehnsüchte und Fantasien ist. Ich hatte immer die Musik, war oft auf der Bühne, auch durch meinen Vater, Tony Marshall. Es war zwar ein sehr unstetes Leben, aber für mich war das die Konstante, weil ich nichts anderes kannte. Ich glaube, ich habe so ein bestimmtes Wander-Gen. Es macht mich glücklich unterwegs zu sein und jeden Tag neue Leute kennenzulernen.

Du hast bereits sehr früh Musik gemacht und bist auf der Bühne gestanden. Geht da auch ein bisschen normales „Kind sein“ verloren?
Nein, ich hatte ein sehr stabiles Elternhaus und meine Mutter hat immer dafür gesorgt, dass wir eine Kontinuität haben. Und durch diese Festung „Familie“ habe ich nichts verloren, sondern hatte eher das Gefühl, von allen Seiten beschenkt zu werden.

Wann merkt man als Künstler, dass man ein Talent zum Singen hat?
Bei mir war es ganz früh der Fall. Meine Entscheidung, Musiker zu werden, kam durch eine weniger schöne Erfahrung. Im Alter von 7 Jahren hatte ich gemeinsam mit meinem Vater einen Auftritt in Baden-Baden. Ich sollte ein Lied singen, welches ich schon viele Male gesungen hatte. Aber bei diesem Auftritt habe ich den Text vergessen. Und in diesem Moment habe ich für mich beschlossen: „Du wirst Sänger, denn das kannst du besser.“

Du hast nach deinem Abitur deine Heimat Baden-Baden verlassen und bist nach Los Angeles gegangen, um dort „Jazz“ zu studieren. Wie war diese Zeit?
Für einen 18-jährigen war Los Angeles das Paradies. Ich war oft mit Jack White, dem Produzenten meines Vaters, im Studio und durfte zusehen, wie er einen Hit nach dem anderen produziert hat, während im Nachbarstudio Michael Jackson an „Thriller“ gearbeitet hat. Ich habe mich wie etwas ganz Besonderes gefühlt, obwohl ich einfach nur in einer Ecke saß und zugeschaut habe. Die Schule, „The Grove School of Music“, die ich dort besucht habe, hat ihr übriges getan. Dort habe ich viel erlebt, auch Dinge, die gefährlich waren. Denn es war leicht die Realität zu verlieren, bei allem, was um einen herum geschah. Aber auch zu dieser Zeit hat mich meine Familie immer wieder geerdet.

Danach hast du an der „Staatlichen Hochschule für Musik“ in Karlsruhe studiert. Dort hast du Jay Alexander kennengelernt, mit dem du nun seit 20 Jahren gemeinsam als Duo „Marshall & Alexander“ auf der Bühne stehst. Wie lief eure erste Begegnung ab?
Die Begegnung hat erst in meinem letzten Studienjahr stattgefunden. Vorher ist noch viel passiert, ich bin sehr jung zweifacher Vater geworden. Jay Alexander kam auf die „Staatliche Hochschule für Musik“, als ich gerade meinen Abschluss machte. Es gab damals eine Produktion, namens „Die Fledermaus“, in der wir beide mitgespielt beziehungsweise -gesungen haben. Dort haben wir dann zum ersten Mal miteinander gesprochen, aber zu einem Duo kam es erst vier, fünf Jahre später.

Du hast dich nie auf eine Form der Tätigkeit, nämlich deine Solokarriere, festgelegt, sondern bist immer mehrgleisig gefahren. Ist das heutzutage als Künstler sozusagen „Pflicht“?
Nein, das ist alles eine Frage des Talents und der Lust, was man alles bewegen will und mich hat immer alles interessiert. Ich hätte es sehr schade gefunden, wenn ich mich hätte einschränken müssen. Eigentlich wird von einem Künstler verlangt, dass er sich auf eine Sache konzentriert, damit das Publikum weiß, was es bekommt. Aber das hat mich nie interessiert. Und mittlerweile darf ich es auch machen, weil es läuft. Ich wäre wirklich bescheuert, wenn ich auch nur ein Projekt aufgeben würde.

Ein großes Projekt im letzten Jahr war dein neues Album „Herzschlag“. Warum ausgerechnet dieser Albumtitel?
Ich hatte das Glück im Januar 2017 nach Marrakesch zu reisen und dort den berühmten Garten „Anima“ von André Heller, einem der größten Universalkünstler unserer Zeit, zu besuchen. Durch einen Zufall bin ich dort auch André begegnet, der mich mit seiner Persönlichkeit gefesselt hat. Nach diesem Besuch bin ich zurück ins Hotel und habe André gegoogelt. Und das erste was ich gefunden habe, war das Lied „Wie mein Herzschlag“, die deutsche Version von „You are always on my mind“. André hatte in den 80er-Jahren den deutschen Text für dieses Lied geschrieben. Dieses Lied hat meiner Seele unglaublich viel Auftrieb gegeben. Zurück in Deutschland bin ich sofort ins Studio und habe das Lied „Herzschlag“ aufgenommen. Daraus hat sich dann das ganze Album entwickelt.

Für deine „Herzschlag“-Tour Ende letzten Jahres hast du dir ein besonderes Projekt ausgedacht, namens „Herzschlag-Momente“. Deine Zuschauer konnten dir ihre ganz persönlichen „Herzschlag-Momente“ zusenden, gemeinsam mit einem Lied, welches sie mit diesem Moment verbinden. Gibt es eine Geschichte, die dich besonders berührt hat?
Da gibt es sehr viele. Eine Geschichte hat mich wirklich sehr berührt, nämlich das Erlebte von Constanze, die bei einem Autounfall ihren Mann und ihre drei Kinder verloren hat. Constanze hat als Einzige überlebt. Ihr Lied war „Against all odds“ von Phil Collins. Dieser Moment war unglaublich bewegend.

Im vergangenen Jahr hast du viel über Offenheit, Ehrlichkeit, Authentizität, Selbstkritik und „anders sein“ gesprochen. Was hat dich dazu bewegt, dich diesen Themen zu stellen?
Authentizität ist für mich ein Wort, welches viel zu oft strapaziert wird. Ich verstehe nicht, warum man darüber überhaupt reden muss, denn das würde ja im Umkehrschluss bedeuten, dass wir alle lügen würden. Wir versuchen etwas dazustellen, was wir gar nicht sind, anstatt uns einfach auf uns zu besinnen. Das hat auch etwas mit Ehrlichkeit und Selbstkritik zu. Man sollte seine Position wahrnehmen. Man kann nicht immer nur sagen, die anderen sind schuld. Das ist billig und primitiv. Ein Mensch ist nicht perfekt und wird auch nie perfekt sein. Und wenn man sich das bewusst macht, ist man schon einen großen Schritt weiter.

„Natürlich verändert Musik die Welt nicht, aber für einige Momente kann sie befrieden, Harmonie stiften und verbinden.“ – eine Aussage, die du vor nicht allzu langer Zeit getroffen hast. Gibt es Momente, wo du diese „Verbindung“ ganz besonders gespürt hast?
Ich bemerke das eigentlich ständig. Gerade nach Konzerten von „Marshall & Alexander“ kommen die Leute oft und meinen, wie toll es gewesen wäre. Bei den „Herzschlag“-Konzerten stehen sie vor mir und sagen „Vielen Dank, Sie haben mich so berührt“. Und das bedeutet mir wirklich viel. Gerade bei der „Herzschlag“-Tour gibt es eine sehr große Intimität zwischen mir und dem Publikum.

Du bist seit einiger Zeit Botschafter für das Kinderhospiz „Sterntaler“. Was hat dich dazu bewogen, dieses „Amt“ anzunehmen?
Ich möchte etwas zurückgeben. Die „Sterntaler“ haben mich auf eine märchenhafte Weise eingefangen. Irgendwann kam dann die Anfrage, ob ich nicht Botschafter werden möchte. Eine Aufgabe, die einem zwar viel abverlangt, aber auch unglaublich bereichernd ist. Zu den „Sterntalern“ geht man nicht nur, um zu sterben, sondern auch, um zu leben.

Dein letztes Album wird in wenigen Tagen ein Jahr alt – ist schon ein neues in Arbeit?
Ich habe schon einige neue Lieder geschrieben, aber „Herzschlag“ wird mich noch eine lange Zeit begleiten. Meine „Herzschlag“-Tour wird fortgesetzt, einiges wird auch in meine Weihnachtskonzerte einfließen. Und vielleicht ist danach der richtige Moment gekommen, um sich einem neuen Projekt zu widmen.

Nicht nur dein Album feiert in wenigen Tagen Geburtstag, sondern auch du. Am 28. Juli wirst du 55 Jahre alt. Ein besonderes Alter für dich?

Nein. Ich habe mir schon als junger Mann gesagt, wenn ich 50 werde, dann ist alles, was danach kommt, ein Geschenk. Jahreszahlen haben mir nie etwas bedeutet. Ich lebe einfach den Moment. Mein Vater ist vor kurzem 80 geworden und rennt immer noch durch die Gegend. Alles ist möglich.

Zu guter Letzt: „Ich möchte meinen Fußabdruck auf der Welt hinterlassen“ – eine Aussage, die viele Künstler treffen. Du auch?

Überhaupt nicht. Ich bin mir der Vergänglichkeit bewusst. Ein paar meiner Lieder werden bleiben. Ich habe eine Familie, die bleiben wird. Aber ich muss keinen Fußabdruck auf der Welt hinterlassen, das ist für mich eine Form von Hybris. Ich gestalte jetzt und hoffe, dass einige Menschen, mit dem was ich tue, zufrieden sind und ihre Freude daran haben. Alles andere interessiert mich nicht.

Interview: Deborah Ravell
Kamera: Havva Keskin

Autor:

Deborah Ravell aus Bretten

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