"Extrawurst" im Brettener Gugg-e-mol-Theater
Politisch korrekt am Grill?

- Bei einer vermeintlich harmlosen Hauptversammlung kommen die Vereinsmitglieder an ihre Grenzen.
- Foto: Hordich
- hochgeladen von Kathrin Kuna
Bretten (Greta Greve) Eine ganz normale Hauptversammlung im Tennisverein. Präsident Heribert soll im Amt bestätigt werden, ein Tagesordnungspunkt nach dem anderen wird generalstabsmäßig abgehakt. Gleich vorbei alles, geht ja jetzt nur noch um die Anschaffung eines neuen Grills. Aber von wegen. Von null auf hundert fliegen plötzlich im Stück „Extrawurst“ im Brettener Gugg-e-mol-Theater die Fetzen, als Melanie anregt, für ihren türkischstämmigen Doppelpartner Erol einen zweiten Grill anzuschaffen. Denn Schweinefleischwürstchen auf dem gleichen Rost, wenn der Mitbürger mit Migrationshintergrund auch was essen will – das geht gar nicht.
Von Vorurteilen und vermeintlicher Toleranz
Und zack. Ehe man es sich versieht, beginnt sich der Tennisverein zu zerlegen. Vorurteile, Empfindlichkeiten, Eifersucht, Zukurzgekommensein, Stolz, falsch verstandene Rücksichten, Wut auf Religion, vermeintliche Toleranz, das alles purzelt durcheinander. Die Vereinsmitglieder werfen sich alles Mögliche an den Kopf. Auf dem noch gar nicht angeschafften Grill brutzelt plötzlich alles, was die Gesellschaft zu spalten und zu zerreißen droht.
Spiegel hysterischer Debatten
Das Ensemble unter der Regie von Judith Fritz gibt alles und wirft sich in den spritzigen Dialogen blitzartig die Bälle zu. Ein herrliches Panoptikum entspinnt sich: Die Diskussionen der Vereinsmitglieder sind ein Spiegel hysterischer Debatten, die den politischen Diskurs leider allzuoft bestimmen, anstatt gesundem Menschenverstand und Goodwill einfach mal den Vortritt zu geben. Die nachsichtig- rebellische Charlotte (Katharina Lindacker), der herrische Heribert (Axel Bajus), der Gutmensch Thorsten (Andreas Deuser) und seine Frau, die "Gutmenschin" Melanie (Monika Frank), der kleinkrämerische Wutbürger Matthias (Clemens Fritz) und natürlich der assimilierte Erol (Ludwig Hupbauer) entlarven sich und ihre Argumente und Weltanschauungen gegenseitig.
Was sind Fakten, was sind Vorurteile?
Wer ist hier denn der Gute, wer der Böse? Wer hat denn die einzig wahre, in nervigen Politdiskussionen allzu arg strapazierte „Haltung“? Ist jedes unbedachte Wort rassistisch? Was sind Fakten, was Vorurteile? Reißt jeder Zornesausbruch alle Brücken nieder? Was ist eigentlich links und was rechts? Kann man sich eine reinhauen und trotzdem wieder zusammenfinden? Kann man schon.
Meisterhaft, wie klug hier alles zu Wort kommt, was die Gesellschaft derzeit umtreibt - und zwar ohne erhobenen Zeigefinger. Man kann die Perspektive wechseln. Man kann sich zurücknehmen. Man kann sich entschuldigen. Man kann immer wieder einen Schritt zurückgehen und nochmal von vorne anfangen. Man kann sich attackieren in seiner Kurzsichtigkeit und Verbohrtheit, aber eben auch wahrnehmen in seiner Gutartigkeit und dem Wunsch, sich zu einigen.
Keine ständige Belehrung erwünscht
Die Zuschauer sind begeistert. Am Ende des Abend, nach viel Gelächter und urkomischen Momenten zu ernsten Themen, legt sich wunderbare Versöhnlichkeit über alles. Fazit für jeden Theaterbesucher: Wir lernen am meisten, wenn wir nicht ständig belehrt werden.
Autor:Kraichgau News aus Bretten |
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