Wehret den Anfängen
Stolperstein für Mina Schabinger – 1905 bis 1944

Das Elternhaus von Mina und Heinrich Schabinger, Ecke Hirsch- /Schillstraße
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  • Das Elternhaus von Mina und Heinrich Schabinger, Ecke Hirsch- /Schillstraße
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Die Stolpersteinverlegung für Mina Schabinger in Bretten in der Schillstraße 12, war eine würdige, besondere Veranstaltung, die von den Schülerinnen und Schülern des Melanchthon-Gymnasiums unter der Leitung ihrer Lehrerin Natalia Lakman durchgeführt wurde. Es war beeindruckend, mit wieviel Empathie die Texte vorgetragen wurden, das auch Oberbürgermeister Martin Wolff besonders betonte. Dem schloss sich mit Dank Frau Christ von der Schulleitung an.
Spätestens bei der Klärung der verschiedenen Begrifflichkeiten, wie Euthanasie, Tötungsanstalten usw. wurde den Anwesenden klar, was die Zielsetzung war. Die Zielsetzung war klar, die Plakate landauf und landab machten die Bevölkerung mit dem Schrecklichen vertraut. Das Auslöschen von unwertem Leben. Was darunter zu verstehen war, war eindeutig definiert. Menschen mit Behinderungen, welcher Art auch immer. Z. B. war systematisches Verhungern ein probates Mittel, denn wer nichts arbeitet, braucht auch nichts essen, damit begann Bayern mit seinem Erlass vom November 1942 schon sehr früh. Das Euthanasie-Programm - T4 - , der gnadenvolle Tod, hatte mit etwa 70.000 ermordeten Opfern im August 1941 ein Ende, denn hochqualifiziertes Personal mit Erfahrung im Töten mit Gas wurde nun in den im Osten aufgebauten Konzentrationslagern gebraucht und die freiwerdenden Plätze für die verwundeten Soldaten des Krieges. Oder war es der zunehmende Protest der Bevölkerung und das Eingreifen der katholischen und evangelischen Kirchen? Schließlich wurden hier Christen, also Brüder und Schwestern, ermordet und keine Andersgläubigen. Das ging doch jeden an. Doch das Morden ging weiter. Endlose Berichte und Dokumente gibt es über das Ausprobieren von Medikamenten, Hungerdiäten usw., an denen große Firmen beteiligt waren. Besonders die Gehirne von Säuglingen und Kindern waren in der Forschung begehrt.
Mina Schabinger durchlitt in ihrem kurzen Leben diesen Weg, ehe sie in Hoerdt im Elsaß ermordet wurde, denn Heilung war in den Anstalten nicht vorgesehen. Mehr als 1.000 Patienten mussten während des Zweiten Wltkrieges in Hoerdt sterben, ein Ort der sogenannten „dezentralen Euthanasie“. Nach dem Krieg wurden tatsächlich die Täter zur Rechenschaft gezogen. Sie wurden wegen Mordes und Verbrechen an der Menschlichkeit angeklagt, ohne Unterschied ihrer Funktion.
Und weil doch die ganze adventistische Familie ein wenig komisch war, musste mit ihrem Bruder Heinrich, geb. 1907, doch sicherlich auch etwas nicht stimmen. Heidemarie Leins hatte diesen Part erarbeitet.
Seit 1921 war er bei den Adventisten und außerdem, so sagt er, hat er als Kind eine Eisenstange auf den Kopf bekommen. Er sei daher etwas eingeschränkt gewesen. Das wollte niemand wahrhaben. In seinen Akten ist vermerkt, dass er von feindseligen Nachbarn angezeigt wurde, weil bei seiner Schwester in einer amtsärztlichen Untersuchung im Jahr 1934 Schizophrenie festgestellt wurde. Bei ihm war es angeborener Schwachsinn. Aufgrund des Gesetzes zur Verhütung von erbkrankem Nachwuchs, das 1934 in Kraft trat, wurde er zur Sterilisierung vorgeladen, er erhob Einspruch. Der Gerichtstermin zur Klärung wurde festgesetzt, doch zwischenzeitlich wurde er zur Sterilisierung nach Karlsruhe zwangsweise abgeholt und sie dort auch durchgeführt. Ein Leidensweg begann, gehänselt, beschimpft und körperliche Beschwerden, einen aufgedunsenen Leib, noch weniger Leistungsfähigkeit.
1950 heiratete er, und was seine Frau Schlimmes zu hören bekam, wenn sie ihn in Schutz nahm, ist in seiner Akte nachzulesen.
Er fühlte sich als Opfer des Naziregimes und stellte einen Antrag auf Wiedergutmachung. In mehreren Instanzen wurde das Gesetz aus dem Jahr 1933/34 zum Schutze des Erbgutes für rechtens befunden und abgelehnt, dass seine Zugehörigkeit zu den Adventisten eine Rolle spielte. 20 Jahre, bis 1971 dauerte das Verfahren – ohne Erfolg für Heinrich Schabinger. Auch keine Härtefallrege­lung.
Bemerkenswert ist seine Aussage:
„In einem demokratischen Staat ist eine Unfruchtbarmachung unmöglich. Der bei mir vorgenommene Eingriff muss als eine Gewaltmaßnahme angesehen werden, die nur unter der nationalsozialistischen Herrschaft möglich war.“
Er starb 1983.
Leins schließt mit den gleichen Worten, die auch Oberbürgermeister Martin Wolff benutzte: „Wehret den Anfängen“.

Schön wäre es, wenn das MGB sich weiterhin den Euthanasieopfern annehmen würde, die es nicht nur in Bretten, sondern auch in den Ortsteilen gibt.

Autor:

Heidemarie Leins aus Bretten

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