Beschimpfungen und Beleidigungen von Kommunalpolitikern sind auch im Kraichgau an der Tagesordnung
Das politische Klima wird rauer

Hass im Internet: Wer per Tastendruck über andere herfällt, muss mit Strafverfolgung rechnen.  | Foto: AdobeStock_215956011
  • Hass im Internet: Wer per Tastendruck über andere herfällt, muss mit Strafverfolgung rechnen.
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BRETTEN/REGION (ch) Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni und die Prügelattacke auf den Hockenheimer Oberbürgermeister Dieter Gummer, bei der dieser am 15. Juli schwer verletzt wurde, haben aufgerüttelt. Sie haben die Aufmerksamkeit auf die große Zahl verbaler und tätlicher Angriffe gelenkt, denen sich Amts- und Mandatsträger bundesweit ausgesetzt sehen. Auch im Landkreis Karlsruhe und im Enzkreis sind nach den Erfahrungen einiger Kommunalpolitiker die Umgangsformen in den letzten Jahren deutlich rauer geworden. Im Einzelfall ging es auch schon über Beleidigungen und Beschimpfungen hinaus.

Nur eine Minderheit entgleist

Zwei Mal, 2016 und 2017, war der Dienstwagen der Bruchsaler Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick Ziel eines Brandanschlags. Doch davor und auch danach sei „nichts Unverhältnismäßiges passiert“, betont die Rathauschefin. Für das insgesamt rauere Klima seien „nur wenige Menschen“ verantwortlich. Ihr ist wichtig, festzuhalten: „Ich erlebe die Mehrheit der Menschen, denen ich begegne als respektvoll und wertschätzend.“ Das würden so wohl auch die meisten ihrer Amtskollegen in den Rathäusern bestätigen. Wenige Wochen nach dem zweiten Anschlag wurde Petzold-Schick für eine zweite Amtszeit wiedergewählt.

Nach Drohungen Polizei eingeschaltet

„Anstand und Respekt sind auf jeden Fall zurückgegangen in den vergangenen Jahren“, stellt hingegen Brettens Oberbürgermeister Martin Wolff fest. Wolff sah sich während der OB-Wahl 2017 teils heftigen Angriffen ausgesetzt. Neben Veranstaltungen, bei denen er von Einzelnen aus dem „Schutz der Masse“ heraus unter der Gürtellinie beschimpft worden sei, habe er auch schon ganz persönliche Drohungen vor einer Wochenendveranstaltung erhalten. Da habe er „dann auch die Polizei informiert“, so Wolff.

Stimmungsmache in sozialen Medien

Abgesehen von unangemessenen Äußerungen und verbalen Entgleisungen mancher Leute sei er „zum Glück noch keiner konkreten Gefahrensituation ausgesetzt“ gewesen, berichtet Oberderdingens Bürgermeister Thomas Nowitzki. „Richtige Probleme“ habe es noch nicht gegeben, auch wenn es besonders im BürgerBüro aufgrund der ausgeprägten „Forderungsmentalität“ mancher Besucher „etwas schwieriger“ geworden sei. Auch der Ölbronn-Dürrner Bürgermeister hat nach eigener Aussage körperliche Angriffe wie auf den Hockenheimer OB „zum Glück noch nicht erlebt“. Er fügt hinzu: „Was ich allerdings wirklich fürchterlich finde, das ist die Stimmungsmache in den sozialen Medien.“

Wöchentlich Beschimpfungen ausgesetzt

Hetze im Internet - ein Phänomen, mit dem alle befragten Kommunalpolitiker schon - teils leidvolle - Erfahrungen gesammelt haben. „Es ist inzwischen mehrmals wöchentlich der Fall, dass ich „von privat“ - und gar nicht mehr selten nicht anonym - übelst beschimpft werde“, erzählt der Maulbronner Bürgermeister Andreas Felchle. Es sei halt so wunderbar „easy“, per Mail oder WhatsApp, also per Tastendruck über jemanden herzufallen, der einem nicht ins Gesicht schaut, der nicht unmittelbar zuhört, der nicht argumentieren und sich bei Bedarf wehren kann. Noch lösche er „das Zeugs“ einfach, so der Maulbronner Schultes.

Härteres Vorgehen gegen Täter gefordert

Anders der Brettener Verwaltungschef: „Das lasse ich nicht durchgehen“, sagt er zu Beschimpfungen und Bedrohungen via Facebook, Twitter & Co. Darauf reagiere er auch schon einmal, indem er den Staatsschutz informiere, denn: „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.“ Eine Haltung, die der Ölbronn-Dürrner Bürgermeister unterstützt. Gewaltandrohungen im Netz müsse man viel stärker und mit mehr Härte ahnden, fordert er.

Bekenntnisse zu Toleranz und Respekt

Die Bedrohten lassen sich nicht einschüchtern. Angst habe er keine, sagt beispielsweise der Oberderdinger Schultes. Aber solche Vorfälle machten ihn doch „nachdenklich“. Zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen lehnt Brettens OB ab. Das Rathaus abzuschotten, komme für ihn nicht infrage: „Wir bleiben ein offenes Rathaus und wollen keine Kontrollen.“ Im persönlichen Umgang versuche er weiterhin, „jedem Menschen mit Anstand und Toleranz zu begegnen.“ Auch Wolffs Bruchsaler Amtskollegin bekräftigt: „Ich stehe für Toleranz und für Vielfalt in unserer Gesellschaft und das werde ich auch immer nach außen kommunizieren.“ Im Übrigen mahnt sie zur Achtsamkeit, „damit die verbalen Entgleisungen nicht weiter ausufern.“ Der Mord von Kassel zeige einerseits, „wie schnell aus Worten Taten werden können“, und andererseits, „wie sehr wir alle daran arbeiten müssen, dass Tugenden wie Respekt und Toleranz, wichtigster Grundsatz im Umgang miteinander sein müssen“.

„Bürgermeisterliche Neutralität“ aufgegeben

Der Maulbronner Bürgermeister geht noch einen Schritt weiter, wenn er bekennt, er habe „sehr bewusst „bürgermeisterliche Neutralität“ aufgegeben“, wenn es darum gehe, „Populismus, Nationalismus und Rechtsradikalität öffentlich aufzuzeigen“. Felchle ist überzeugt: „Alle volljährigen Demokraten sollten Verantwortung tragen“, auch wenn das gelegentlich mit Risiko behaftet sei. Andreas Felchle weiter: „Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, meinen bescheidenen Beitrag dazu zu leisten, dass in Deutschland nie wieder das passiert, was in den 1920er/1930er-Jahren passiert ist – mit katastrophalem Ergebnis.“

Autor:

Chris Heinemann aus Bretten

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