Nach 19 Jahren als BSB-Schulleiterin geht Barbara Sellin in den Ruhestand
"Dankbarkeit, Zufriedenheit und auch ein bisschen Stolz"
Bretten (hk) Fast zwei Jahrzehnte war Barbara Sellin Schulleiterin der Beruflichen Schulen Bretten (BSB). Nun wurde sie in den Ruhestand verabschiedet, der am 1. August beginnt. Im Interview mit der Brettener Woche lässt sie ihre bewegte Zeit als Rektorin Revue passieren.
Frau Sellin, wie sind Sie an die BSB gekommen?
Nach meinem Studium an der Universität Hohenheim war ich drei Jahre als Ausbildungsberaterin tätig, ehe ich das Referendariat in Ludwigsburg absolviert habe. Meine ersten Dienststelle war in Freudenstadt, 1987 folgte ein Wechsel an die heutige Elisabeth-Selbert-Schule in Karlsruhe, von wo ich schließlich an das damalige Oberschulamt zunächst als Fachberaterin, später als Referentin abgeordnet wurde. Bevor ich 2002 zur Schulleiterin in Bretten bestellt wurde, konnte ich wertvolle Organisations- und Verwaltungserfahrung als Referatsleiterin am Oberschulamt sammeln. Diese Zeit und meine Vernetzung in Bretten (ich stamme aus einer Brettener Handwerkerfamilie) haben mir den Start an den BSB sehr erleichtert.
Wie haben Sie die Schule vorgefunden?
Bei meinem Start im Jahr 2002 war unsere Schule eine gewerblich-hauswirtschaftliche Schule mit Handelslehranstalt und ca. 1200 SchülerInnen. Damals hatte ich ein solides Fundament vorgefunden und es ist mir mit einem äußerst engagierten Lehrerkollegium gelungen, unsere Schule zukunftsorientiert weiterzuentwickeln. Die BSB ist heute nicht nur die größte Berufsschule im Regierungsbezirk Karlsruhe, sondern auch die einzige, welche die drei Typen gewerbliche, hauswirtschaftlich-soziale und kaufmännische Schule unter einem Dach und unter einer Leitung vereint.
Wie würden Sie das Wesen der Beruflichen Schulen beschreiben?
Die BSB sind sehr komplex. Fast 1.900 SchülerInnen werden von rund 140 hochqualifizierten Pädagoginnen und Pädagogen auf ihrem Bildungsweg Richtung Zukunft didaktisch und methodisch auf Augenhöhe mit den Belangen einer zeitgemäßen Bildung zu ihrem Berufs- und Bildungsabschlussziel begleitet. Und die kultuspolitische Präambel „Kein Abschluss ohne Anschluss“ spiegelt sich in den mannigfaltigen Verästelungen der dualen Ausbildung und der hier ineinandergreifenden und sich ergänzenden Vollzeitschularten wider.
Wie kam es zu dieser Komplexität?
Mit der Spezialisierung in den Handwerksberufen blühte auch die berufliche Bildung auf. Die Betriebe sahen sich nicht mehr in der Lage, die komplette Fachdidaktik zu unterrichten. Die Wurzeln der BSB reichen ja zurück bis in das Jahr 1828, als hier in Bretten eine Sonntagszeichenschule eingerichtete wurde. Heute bieten wir alle schulischen Bildungsabschlüsse - vom Hauptschulabschluss bis hin zur allgemeinen Hochschulreife.
Was waren Ihre persönlichen Höhepunkte/Erfolge als Schulleiterin?
Die Einrichtung des technischen und sozialwissenschaftlichen Gymnasiums im Schuljahr 2005/2006 hat viel Überzeugungsarbeit in den verschiedensten Gremien gekostet. Heute haben wir ein fünfzügiges Berufliches Gymnasium. Der große Erweiterungsbau und die zukunftsorientierte Lernfabrik 4.0, für deren Einrichtung wir eine riesige Unterstützung der Unternehmen der Region erfahren durften, sind weitere wichtige Wegmarken meines Wirkens als Schulleiterin gewesen.
Ist das berufliche Gymnasium in Bretten „angekommen“?
Sechs Jahre Realschule und drei Jahre berufliches Gymnasium („6+3“) entsprechen einem „G9“. Die Tatsache, dass wir wieder fünf Eingangsklassen bilden können, bestätigt die hohe Akzeptanz als drittes Gymnasium in Bretten. In diesem Schuljahr haben 84 Abiturienten und Abiturienten die allgemeine Hochschulreife erreicht, in den Vorjahren waren es sogar weit über hundert.
Gibt es noch „Baustellen“?
Mit der visionären Unterstützung unseres Schulträgers habe ich 19 Jahre lang immer wieder gebaut und umgebaut. Wichtig war mir dabei, dass unsere Klassen- und Fachräume die Umsetzung der Bildungstandards auch immer auf dem neuesten Stand der Technik ermöglichen. Die enorm gestiegenen Schülerzahlen und die damit verbundene Raumknappheit an den BSB haben erneut eine Schulraumbedarfsberechnung erforderlich gemacht. Ich bin gespannt, wie es hier in Sachen Machbarkeitsstudien für einen eventuellen Erweiterungsbau weitergehen wird.
Was lag Ihnen in Ihrer Zeit als Schulleiterin immer am Herzen?
Es war mir ein Anliegen, die duale Berufsausbildung zukunftsorientiert weiterzuentwickeln. So konnten wir in meiner Dienstzeit den Beruf Zerspanungsmechaniker und Maschinen- und Anlagenführer einrichten. Außerdem konnten wir als Fachschulstandort die IT-Berufe ausbauen. Jüngst hat das Regierungspräsidium zudem entschieden, dass wir den Digitalisierungsmanager als neuen IT-Beruf an unserer Schule ausbilden können.
Die Ausbildungsreife und Ausbildungsfähigkeit unserer bildungsschwächeren Schüler waren mir stets eine Herzensangelegenheit. Es ist uns gelungen, diese Chancen durch die Modernisierung des Übergangs Schule und Beruf praxisnäher zu gestalten. In diesem Zusammenhang Danke ich allen Kooperationspartnern aus Industrie, Handwerk und sozialen Einrichtungen als auch dem Landkreis Karlsruhe, der zwei Stellen für AV-Dualbegleiter geschaffen hat. Die Flüchtlingskrise stellte uns damals vor große Herausforderungen: In vielen Klassen musste Deutsch als Fremdsprache unterrichtet und gleichzeitig auch eine Berufsorientierung angeboten werden. In diesem Zusammenhang haben wir 2018 die Berufsfachschule für Altenpflegehilfe für Migrantinnen und Migranten zur Förderung der Integration in systemrelevante Berufe eingerichtet. Das ist das Typische für berufliche Schulen, dass sie sich sehr schnell an gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen zu orientieren wissen.
Gibt es eine Art Leitsatz, der Sie in Ihrem Handeln als Schulleiterin geprägt und gesteuert hat?
Philipp Melanchthon hat dereinst treffend gesagt: „Nichts Außerordentliches kann aber im ganzen Leben erreicht werden, wenn nicht der Geist voll Begeisterung für die Sache, mit der er sich befasst, brennt.“
Unser Motto lautet: Wer junge Menschen bildet, bildet Zukunft! Hierfür habe ich immer gebrannt. Geleitet hat mich auch der Anspruch, Bildungsgerechtigkeit und -chancen für SchülerInnen im Mittelbereich Bretten zu schaffen.
Haben Sie Lieblingsmomente aus dem Schulalltag, die Sie nicht so schnell vergessen werden?
Ich werde nie vergessen, wie ein Schüler, der den Hauptschulabschluss machen wollte, zu mir sagte: „Frau Sellin, stimmt das wirklich, wenn ich mich anstrenge und den Hauptschulabschluss schaffe, dann kann ich bei Ihnen auch den Mittleren Bildungsabschluss und das Abitur machen?“ Da habe ich richtig gespürt, wie der junge Mann erkannt hat, dass er mit Fleiß und Ausdauer seinen Weg gehen kann. Genau diesen Bildungsweg sind hier sehr viele gegangen.
Gibt es Dinge, die Sie heute anders machen würden?
Nein. Aber als ich mich mit meinem Wirken beschäftigt habe, habe ich mich gefragt, ob ich in den letzten 19 Jahren meinem aufgeschlossenem und engagiertem Kollegium zu viel zugemutet habe. Denn die Fülle an Aktivitäten und Projekten hat mich doch im Nachhinein selbst erstaunt. Dabei möchte ich ausdrücklich festhalten, ich war bei alledem nur der Motor – mitgetragen, ausgeführt und ausgestaltet haben unsere Pläne immer das gesamte Kollegium. Und dafür sage ich von Herzen Danke!
Wie haben Sie als Schulgemeinschaft die Coronazeit erlebt?
Die vielen Verordnungen und Vorschriften vor Ort umszuetzen, war und ist unglaublich aufwändig. Auf die Pandemie hätte ich in meinen letzten beiden Schuljahren freilich gerne verzichtet, auch wenn sie die notwendige Digitalisierung in der Bildung vorangetrieben hat. So hat alles - wie so oft - zwei Seiten. Die Kolleginnen und Kollegen haben in einem Format unterrichtet, für das Sie nie ausgebildet wurden. Sie haben in diesem Format Schülerinnen und Schüler unterrichtet, die dafür nie sozialisiert worden sind. Das alles hat aber auch kreatives Potential entwickelt. Ich sage auch ganz offen, dass in den vergangenen Jahren vor lauter Medien-, Methoden-, und Sozialkompetenz die Eigeninitiative und das Selbstmanagement bei den Jugendlichen systematisch vernachlässigt worden sind. Diese beiden personalen Kompetenzen sind es aber, die die jungen Menschen in den nächsten Jahrzehnten unter dem Aspekt „Lebenslanges Lernen“ brauchen werden.
Hat die Krise digitales Lernen vorangetrieben?
Die Pandemie hat die Digitalisierung einer strengen Pürfung unterzogen. Dank des Engagements aller am Schulleben Beteiligten und der hervorragenden Ausstattung durch unseren Schulträger, den Landkreis Karlsruhe, ist es gelungen, unseren Schülerinnen und Schülern diese schwere Zeit zumindest leichter zu machen. Homeschooling, Distanzunterricht, Hybridunterricht, Wechselbetrieb – diese Wortneuschöpfungen sind längst Standardsprache in der Pädagogik.
Wie wird Ihrer Ansicht nach in zehn Jahren gelernt?
Zehn Jahre sind ein langer Zeitraum! Ich glaube, dass sich bereits in den nächsten fünf Jahren sehr viel entwickeln wird und wir uns viel mehr mit künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen haben. Bei den diesjährigen Abiturfeiern habe ich aber den Philosophen Richard David Precht zitiert, dessen Erkenntnis wohl als Quintessenz überall den Qualitätsprozessen in Sachen Digitalisierung steht: „Onlineunterricht, von dem das Silicon Valley schwärmt, ersetzt nicht den Sozialraum Klasse.“ Und auch nicht den Sozialraum Lehrerzimmer.
Wie schwer ist es, die Verantwortung nun in andere Hände zu geben?
Es fällt mir jetzt, nachdem mit Dankbarkeit, Zufriedenheit und auch ein bisschen Stolz auf mein Wirken an den BSB zurückblicken kann, nicht allzu schwer. Die Zeit ist reif und ich freue mich, die Verantwortung an mein kompetentes Team übergeben zu können.
Gibt es etwas, das Sie noch gerne gemacht hätten?
Themen wie der Campus-Park im Zuge der Gartenschau in Bretten und eine etwaige Erweiterung der Schule wären sicherlich eine reizvolle und herausfordernde Aufgabe gewesen.
Wie geht es jetzt für Sie persönlich weiter?
Die nächste Zeit wird viel Ruhe und Entspannung bringen. Und ich glaube, in der Ruhe entwickeln sich Ideen. Wer mich kennt, weiß, dass ich im Ausfüllen meiner frei verfügbaren sehr ideenreich bin. (lacht)
Die Fragen stellte Redakteurin Havva Keskin.
Autor:Havva Keskin aus Bretten |
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