"Sich einbringen mit Beharrlichkeit"
Heidemarie Leins erklärt, was sie antreibt

Heidemarie Leins wurde für ihr Lebenswerk geehrt. Foto: kuna
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Bretten (kuna) Heidemarie Leins hat den Bürgerpreis der Sparkasse Kraichgau für ihr Lebenswerk erhalten. Sie ist bekannt für ihr vielfältiges Engagement: Sei es als Vorsitzende des Bürgervereins Diedelsheim, als Stadträtin im Brettener Gemeinderat, als Ortschaftsrätin in Diedelsheim oder als Gründungsmitglied des Vereins für Stadt- und Regionalgeschichte. Daneben ist sie im Melanchthonverein tätig, engagiert sich für die Brettener Städtepartnerschaften, gibt Kurse fürs Springerle-Backen und Führungen. Im Interview mit der Brettener Woche/kraichgau.news spricht sie darüber, was sie antreibt.

Was verbinden Sie mit Bretten und dem Kraichgau?
Der Kraichgau, Bretten und Diedelsheim sind meine Heimat. Geboren bin ich in Passau, als Kind von Heimatvertriebenen. Meine Eltern zogen nach Lübeck, weil meine Tanten dort lebten. 1952 kamen wir als Umsiedler von Lübeck nach Diedelsheim. In Lübeck gab es zwar Arbeit, aber wegen der vielen Flüchtlinge aus Ostpreußen zu wenige Wohnungen. In Baden-Württemberg gab es beides. Mit einer anderen Sprache und als verwöhntes Einzelkind musste ich mir meinen Platz im Ort schon erkämpfen.

Auf welche Leistung sind Sie – in Hinblick auf Ihr „Lebenswerk“ – besonders stolz?
„Lebenswerk“ hört sich so kurz vor dem Sarg an, kurz vor posthum. Stolz ist nicht das richtige Wort. Ich bin immer froh, wenn etwas klappt. Ich gebe aber auch nicht so schnell auf – oftmals zum Ärger meines Gegenübers. Mein Engagement ist breit gefächert, hat aber immer etwas mit Menschen zu tun. Weil ich Menschen liebe und mich gerne streitbar für sie zeige. Sei es in der Kleiderkammer für die Asylbewerber in den 90ern oder in der Elternarbeit in der Schule. Ich bin ein anspruchsloser Typ. Ich brauche keinen Schmuck oder teure Luxusgüter. Ich muss auch nicht im Mittelpunkt stehen, so wurde ich nicht erzogen.

Es ist kaum möglich, ihr langjähriges Engagement in ein paar kurzen Worten aufzuzählen. Woher nehmen Sie die Energie für all das?
Die Frage ist ziemlich einfach zu beantworten: Ich habe noch eine stabile Gesundheit. Mein Mann und ich haben nur eine Tochter, keine Enkelkinder und wir mussten auch keine Eltern pflegen. Da muss doch Kraft für andere Dinge bleiben.
In meiner Ehe habe ich nur sporadisch zum Familieneinkommen beigetragen. Ich bin gelernte Bauzeichnerin, habe aber nur wenig in dem Beruf gearbeitet. Uns reichte es, was mein Mann verdient hat. So war es immer möglich, dass ich mich den Dingen widme, die mir wichtig sind. Mein Mann ist ja bei fast allem eingebunden und eine wichtige Stütze für mich. Im Gemeinderat war ich außerdem im politischen Lager der Freien Wähler. Dort läuft es ein wenig anders als in den Parteien: Wir mussten nicht auf Versammlungen, haben keine Plakate geklebt. So gab es mehr Freiraum für das Ehrenamt.

Derzeit arbeiten Sie an einem Ortsfamilienbuch der jüdischen Bevölkerung in Bretten. Wovon handelt das Projekt?
In meinem Elternhaus ist das Judentum immer ein Thema gewesen. Meine Eltern litten unter dem Geschehen in der Nazizeit und behaupteten nicht, wie andere, nichts gewusst zu haben. Irgendwann kam es dazu, dass Leute aus Paris die Stadtinfo in Bretten besuchten. Es waren Verwandte von einem Alfred Koppel, einem jüdischen Mann, der in Bretten gewohnt hat. Die Personen sprachen nur französisch und mein Mann wurde gerufen, da er die Sprache beherrscht. Das war der Beginn von meinen Recherchearbeiten: Ich suchte alles zur Familie Koppel zusammen, was ich finden konnte und half dabei, die Familiengeschichte aufzuarbeiten. Dabei konnte ich auch die unehelichen Kinder von Koppel ausfindig machen. Als ich den Kontakt zu ihnen herstellte, sagte die Tochter von Koppel zu mir, dass ich ihr die andere Hälfte ihrer Identität gegeben hätte. Die Koppel-Geschichte hat mich fasziniert und geprägt. Sie war auch die Initialzündung, mehr über das jüdische Leben in Bretten zu erfahren und ein Ortsfamilienbuch zu schreiben.

Gibt es auch noch andere Projekte, die Sie für die Zukunft ins Auge gefasst haben?
Wenn ich das alles schaffe, was mich gerade umtreibt, dann ist es gut. Mit 76 Jahren mache ich mir nichts vor, die Zeit rennt, und ich auch ein wenig (lacht). Aber natürlich gibt es da noch einiges, was ich gerne zu Ende bringen möchte. Ich möchte zum Beispiel die genauen Daten unserer Brettener Opfer im Yad Vashem-Archiv eintragen. Dann können andere damit arbeiten. Es gibt bestimmt 250 Holocaust-Opfer mit Wurzeln in Bretten, Diedelsheim und Bauerbach. Außerdem würde ich gerne einen Flyer über unseren jüdischen Friedhof herausbringen. Die Daten, die vor vielen Jahren erhoben wurden, hatten oftmals so einige Zahlendreher und sind mittlerweile von mir korrigiert.

Welchen Rat haben Sie an junge Menschen?
Mein Mann und ich haben bis heute keinen Fernsehapparat und gestalteten unsere Freizeit eben anders. Dazu gehörte zum Beispiel das Musizieren oder das Briefmarkensammeln. Das geht alles nicht, wenn der Fernseher läuft. Heute ist es mehr und mehr das Handy, das ich als Zeitfresser sehe. Ist es denn so notwendig, dass ich mein Essen fotografiere und sofort poste? Die ständige Erreichbarkeit – muss das sein? Seht Euer Gegenüber an und nicht sein Bild auf dem Handy oder in den sozialen Kanälen! Geht mit offenen Augen durchs Städtle und nicht gebeugt über dem Handy. Gespür für Nöte und Bedürfnisse wird sich von selbst entwickeln. Dankbar bin ich deshalb für den Brettener Jugendgemeinderat, den Oberbürgermeister Martin Wolff zu Beginn seiner Amtszeit eingerichtet hat. Sie machen es vor, wie es gehen soll. Sich einbringen mit Beharrlichkeit. Das ist das Stichwort.

Die Fragen stellte Volontärin Kathrin Kuna.

Autor:

Kathrin Kuna aus Bretten

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