Lehrer und Schüler sollen am Ende der Sommerferien gemeinsam büffeln
Kostenlose „Lernbrücken“ gegen verpassten Lernstoff für Schüler der Region

Bretten/Region (bea) Corona hat vieles auf den Kopf gestellt. Nicht nur die Wirtschaft ist stark ins Straucheln geraten, sondern auch einige Schüler, die durch die wochenlangen Schulschließungen Unterrichtsstoff verpasst haben. Doch kein Schüler soll in diesem Schuljahr – aufgrund des Coronavirus – sitzenbleiben. Das hatte Kultusministerin Susanne Eisenmann am 20. April verkündet. Inzwischen hat ihr Ministerium beschlossen, Schülern, die leistungsschwächer sind und durch den Fernunterricht Stoff verpasst haben, kostenlose Nachhilfestunden in den letzten beiden Wochen der Sommerferien, sogenannte „Lernbrücken“, anzubieten.

Aufwandsentschädigung von 1.200 Euro für zwei Wochen Nachhilfe

Der CDU-Landtagsabgeordnete Joachim Kößler steht hinter den vom Kultusministerium vorgeschlagenen Förderkursen. Für die Lernbrücken habe das Kultusministerium 13 Millionen Euro bereitgestellt und wird 40 Euro pro Stunde an die freiwilligen Lehrkräfte zahlen, sagt Kößler. Im Gegenzug müssen sich Lehrer dazu bereit erklären, auf einen Teil ihrer unterrichtsfreien Zeit zu verzichten. In dieser sollen die Lehrer in einer täglichen, dreistündigen Arbeitszeit Schüler in Kernfächern wie Mathematik, Deutsch und Englisch unterrichten. Wer zu den förderungsbedürftigen Schülern gehört, obliegt der Einschätzung von Fachlehrern anhand des Notenbilds. „Meines Erachtens ist es ein Versuch, die Defizite aufzuarbeiten“, sagt Kößler. Gleichzeitig soll die zusätzlich zum Gehalt bezahlte Aufwandsentschädigung einen Anreiz für Lehrer bieten, sich freiwillig einzusetzen. „Für diese Aufgabe brauchen wir erfahrene Pädagogen. Es ist ein Angebot für Eltern und Schüler. Eine bessere Nachhilfe bekommen sie nicht."

Versäumtes aufholen dauert Zeit

Einer anderen Meinung ist Özgür Davieroglu von der Zielakademie. Seit zehn Jahren leitet er die Nachhilfeschule in Bretten. Für seinen Einzelunterricht erhält er 18 Euro pro Stunde. „40 Euro sind da viel Geld“, sagt Davieroglu. Als sinnvoll würde er erachten, wenn das für die Lehrer angedachte Geld auch an private Nachhilfeinstitute fließen würde. Auf der einen Seite sieht er dies als Wirtschaftsförderung, da während der Schulschließungen auch bei den Nachhilfeschulen Lücken entstanden sind. Außerdem gebe es genügend Kapazitäten und auch Lehrer bräuchten die unterrichtsfreie Zeit. Zwar seien die angebotenen, kostenlosen Nachhilfestunden besser als nichts, jedoch könne er aus Erfahrung sagen, dass es nicht viel bringe, in kurzer Zeit viel Versäumtes nachholen zu wollen, sagt Davieroglu.

Bisher eineinhalb Zusagen - Frist bis Freitag

Zwiegespalten wegen der Lernbrücken ist auch Lehrerin und Schulleiterin Ulrike Jäger. In der Schloßgartenschule in Berghausen hätte sich bereits eine Kollegin gemeldet, die an den Lernbrücken teilnehmen möchte, sagt Jäger. Eine weitere habe sich bereit erklärt, für eine Woche einzuspringen, eine andere wäre grundsätzlich bereit, jedoch nicht zu dem vorgegebenen Zeitpunkt. Der Rest der insgesamt 37-köpfigen Belegschaft habe sich bisher noch nicht geäußert, sagt Jäger. Am Freitag muss sie die Zahlen ans Schulamt melden. Die Schüler, die aus schulischer Sicht an dem Angebot teilnehmen sollten, muss sie erst eine Woche später melden. Doch fragt sie sich, ob die Schüler während der Ferien überhaupt in die Schule kommen werden.

„Das ist nicht so schnell erledigt“

Ebenfalls sei nicht geklärt, wer den Unterricht vorbereite, sagt Jäger. Wenn eine Biologielehrerin Mathematik, Deutsch oder Englisch unterrichten solle, könne sie nicht automatisch den Wissensstand der Schüler kennen. Somit müsste die Vorbereitung für die Lernbrücken von anderen Kollegen übernommen werden. „Das ist nicht so schnell erledigt“, sagt Jäger. Und da es noch viele ungeklärte Fragen gebe, geht sie davon aus, dass sich nicht sehr viele Kollegen freiwillig für die Lernbrücken melden werden.

Ein sinnvolles Angebot

Genaue Zahlen konnte auch der geschäftsführende Schulleiter der Brettener Schulen, Wolfgang Mees, noch nicht nennen. In seinem Kollegium an der Schillerschule gebe es unterschiedliche Stimmen. Diese reichten von „nicht jetzt auch noch das", bis hin zu, „das ist ein sinnvolles Angebot“. Dabei würden die letzteren Stimmen überwiegen, sagt der Rektor. Er selbst hält die Lernbrücken für ein tolles Angebot. „Denn wir haben festgestellt, dass nicht alle Schüler auf dem gleichen Lernstand sind“, sagt er.

Bedarf ist da - Situation mit Augenmaß betrachten

Dies ist auch an der Markgrafenschule in Kraichtal der Fall. Schulleiter Matthias Fuchs weiß, dass einige seiner Schüler Bedarf an den Lernbrücken hätten. Auch den Zeitraum hält er für gut gewählt, denn: "Nach diesem besonderen Schuljahr sollten Lehrer und Schüler erst einmal ausschnaufen und dann mit neuer Energie ans Lernen herangehen können". Die intensive Förderung werde sicherlich einen Effekt haben, ist er überzeugt. "Manchmal denke ich aber, dass die Lerndefizite zu sehr aufgeblasen werden", sagt Fuchs. Langfristig werde die Situation keine großen Schäden hinterlassen, sagt der Schulleiter. Man solle die Situation zwar auch nicht herunterspielen, aber mit einem guten Augenmaß betrachten. Daher ist er zuversichtlich, dass in naher Zukunft auch die schwächeren Schüler wieder "aufs Gleis gesetzt" werden könnten.

Ziel ist Schere zwischen guten und schwachen Schülern zu schließen

Als „ganz schwer einzuschätzen", empfindet der Schulleiter des Lise-Meitner-Gymnasiums in Königsbach-Stein, Hartmut Westje-Bachmann, das Angebot der Lernbrücken. Der Oberstudiendirektor sieht die viele Arbeit, die die meisten seiner Lehrer-Kollegen in das coronabedingte Fernlernangebot gesteckt haben. Daher bleibe abzuwarten, wie viele seiner Kollegen sich für die Lernbrücken meldeten und wie viele Schüler dadurch erreicht werden könnten, sagt er. Grundsätzlich würde das Aufstocken von Lehrerstunden im kommenden Schuljahr mehr Erfolg bringen, im Gegenzug jedoch auch weitaus mehr kosten als die vom Ministerium bereitgestellten 13 Millionen Euro. Da komme die Frage auf, ob das Ganze noch in einem Verhältnis stehe. „Ziel der Lernbrücken ist es nicht, den gesamten verpassten Stoff aufzuholen, sondern die Schere, die zwischen guten und schwachen Schülern aufgegangen ist, wieder zu schließen“, sagt Westje-Bachmann. Daher rechnet er nicht damit, dass das Angebot von vielen Schülern seiner Schule benötigt werde. Eine ganz andere Frage sei natürlich, welche Schüler das Angebot wahrnehmen würden. Das hänge jedoch auch von den Eltern ab und davon, wann der bereits gebuchte Urlaub angetreten werden müsse, sagt der Schulleiter.

Gutes Angebot, aber andere Förderung sinnvoller

Während Sandra Kratzmeier, Mutter einer schulpflichtigen Tochter, das Lernbrücken-Angebot grundsätzlich als gut empfindet, auch wenn sie für ihre Tochter keinen Bedarf sieht, ist die zweifache Mutter Patricia Müller kritischer eingestellt. „Ich bezweifle, dass zwei Wochen etwas bringen, denn die Schüler, die bisher nichts getan haben, tun auch weiterhin nichts“, sagt sie. Außerdem stünde Lehrern und Kindern die Erholung in den Ferien zu. Für Schüler, die jedoch nicht genügend Unterstützung vom Elternhaus bekämen, sei das Angebot gut, sagt Müller. Sie selbst könnte das Angebot – selbst wenn ihr Kind es benötigte – nicht annehmen, da sie in den letzten beiden Ferienwochen im Urlaub seien, sagt die Mutter. Daher hält sie den Förderunterricht, der in der Grundschule ihrer Tochter stattfindet, für weitaus sinnvoller. Hier würden die Schüler in kleinere Gruppen aufgeteilt und gezielt mit ihnen gelernt. Das sei momentan im Unterricht mit inbegriffen, betont Müller.

Autor:

Beatrix Drescher aus Bretten

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