Leserbrief zum Artikel "Eine emotionale Ausnahmesituation"
Mitarbeiter im falschen Licht dargestellt

Leserbrief zum Artikel „Eine emotionale Ausnahmesituation“ vom 6. Mai 2020 

Ich bin eine Angehörige und habe seit mehr als einem Jahr meine Mutter im Altenwohn- und Pflegeheim Haus Schönblick in Neibsheim. Ich kann den besorgten Angehörigen, der anonym bleiben möchte, verstehen. Wir haben die Sorgen und Ängste in den letzten Wochen, die Hilflosigkeit, nichts für unsere kranken Angehörigen oder selbst die Pflegenden tun zu können, geteilt. Ja, das Verhalten der Pflegekräfte bei der Spendenannahme war nicht korrekt. Aber die Frage ist doch, wie man damit umgeht, beziehungsweise reagiert. Zwei Punkte seien hier zu nennen: Erstens ist es natürlich wichtig, Infektionsketten nachzuvollziehen, um weitere Infektionen und Ausbrüche zu verhindern. Insofern ist das Veröffentlichen eines solchen Videos etwas, was das menschliche Bedürfnis nach Informationen und Kontrollier- und Erklärbarkeit der Situation zu stillen scheint.

Durch den geschilderten Fall ist das Virus nicht in das Heim gekommen, es war zuvor schon da und wie es hineingekommen ist, lässt sich nicht sicher nachvollziehen – und schon gar nicht durch das Veröffentlichen dieses Videos. Es ist gut möglich, dass das Virus nicht durch Pflegekräfte hineingekommen ist, sondern auf anderem Wege. Allerdings wird das Verhalten in ein sehr unsachgemäßes Licht gerückt. Es werden Tatsachen, nämlich der Ausbruch im Wohnheim und dieses konkrete Verhalten der Pflegekräfte in einen direkten Zusammenhang gestellt, der so nicht gesichert ist. Es mag Hygienemängel gegeben haben, ja – öffentlich zu diskutieren und anzuprangern, sind hier aber nicht das Verhalten einzelner Leute, sondern die Problematik von zum Beispiel fehlender oder zu teurer Schutzkleidung.

Zweitens, arbeiten in diesem Heim Menschen und keine Roboter. Die Arbeit ist sowohl physisch als auch psychisch extrem anspruchsvoll. Die Mitarbeiter dort machen alles, was wir Angehörigen nicht tun können oder auch wollen. Und dabei steht der Mensch, die Menschlichkeit immer im Vordergrund. Die Mitarbeiter haben ihre eigene Gesundheit und auch die ihrer Familien riskiert und sind da sicherlich an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gekommen – alles für unsere Angehörigen. Menschen machen Fehler und in einer Situation wie dieser, die es noch nie vorher in diesem Ausmaß gab, ist man davor auch nicht gefeit. Niemand wusste wirklich, was wann und wie richtig ist.

Jeden Tag erlebe ich Menschen, die sich nicht korrekt nach Vorgaben und Bestimmungen verhalten oder sie sogar ignorieren, ganz besonders in der Corona-Krise. Dies passiert bestimmt oft nicht böswillig, sondern aus einem Moment der Unachtsamkeit oder Abgelenktheit – so wie bei dieser Spendenübergabe. Diese Reaktion, die eine zutiefst menschliche war, aus einer Empfindung der Rührung und Dankbarkeit in einer extrem belastenden Situation entstanden, jedoch öffentlich so darzustellen, hilft aus meiner Sicht niemanden. Sie stellt das Heim und seine Mitarbeiter in einem völlig falschen Licht dar. Das verletzt alle dort arbeitenden Mitarbeiter und ist in keiner Weise zielführend.
Ich möchte das Verhalten nicht gutheißen oder gar entschuldigen. Wichtig wäre mir ein menschlicher Umgang damit. Ein Anruf bei der Pflegeleitung im Heim hätte durchaus gereicht und wäre auch angebracht gewesen und ich bin mir sicher, dass das auch dankend angenommen worden wäre. Sich gegenseitig zu unterstützen, sei es durch Aufmerksamkeit und Hinweise, falls so etwas passiert, sei es durch Dankbarkeit, Spenden oder jedwede Form der Solidarität mit Menschen, die täglich unter diesen extremen Bedingungen arbeiten, ist gerade in dieser Zeit wichtig.

Sabine Trautner
Walzbachtal

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

14 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.