Ehemaliger Neonazi zu Gast
Prävention am Melanchthon-Gymnasium

Von links: Gernot Diehlmann von der Friedrich Naumann Stiftung, Lehrer Rüdiger Söhner und Referent Philip Schlaffer | Foto: soedradjat
  • Von links: Gernot Diehlmann von der Friedrich Naumann Stiftung, Lehrer Rüdiger Söhner und Referent Philip Schlaffer
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Philip Schlaffer war lange Jahre im von Rassismus und Gewalt geprägten rechten Milieu eine Größe. Nun erzählt er seine Geschichte des Aussteigers an deutschen Schulen.
Am Dienstag war Philip Schlaffer auf Einladung von Gemeinschaftskundelehrer Rüdiger Söhner am MGB zu Gast und vermochte es mit seinem Vortrag, die anwesende Klassenstufe 10 für sein Thema zu interessieren. Ihm gelang dies durch die intensive Einbindung der Schülerinnen und Schüler mittels der von ihm gestellten Fragen und dem hohen Grad an Authentizität. Andererseits war die Geschichte eines Kriminellen sicherlich auch ein Faktor, der nicht zu unterschätzen ist. Zumal es sich um einen geläuterten Straftäter handelt, der offen über seine Vergangenheit berichtet.

Zunächst ging es Schlaffer darum zu klären, was Neonazis fordern. Genannt wurden unter anderem die Slogans „Ausländer raus!“ und „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“.
Bei den Schülerinnnen und Schülern erzeugte es Erschrecken zu erfahren, dass es sich um eine globale Bewegung handelt. Aber was macht die rechte Ideologie vordergründig so interessant und anziehend? Dazu holte Schlaffer weit aus und erzählte seine Lebensgeschichte. Ziel war es offensichtlich, durch die Präsentation der Biografie zu vermitteln, was einen Menschen dazu bringt, eine menschenverachtende Ideologie zu verinnerlichen und andere Menschen zu terrorisieren.
Er begründete seine Hinwendung zum Rassismus durch Leistungsdruck in der Schule, die nicht bedingungslos scheinende Liebe des Vaters, die fehlende Achtsamkeit der Eltern, wobei diese keineswegs gewalttätig waren. Prägend scheint die Auswanderung der Familie nach England gewesen zu sein. Schlaffer fragte in diesem Zusammenhang ins Publikum, wie die Entscheidung des Vaters, Deutschland zu verlassen, wohl bei ihm angekommen sei und bestand auf die Kraftausdrücke „Scheiße“ und „Horror“. Hier zeigte sich, dass die anwesenden Gymnasiastinnen und Gymnasiasten um eine gepflegte Sprache bemüht und gewohnt sind, zurückhaltend zu formulieren. Er beschrieb daraufhin die Folgen, nämlich: Rückzug, Einsamkeit, Fremdheitsgefühl, Gewichtszunahme.
Spannend war die Tatsache, dass die Reaktion der jungen Engländer auf den Deutschen wohl am ersten Schultag normal nett ausfiel, am zweiten Tag jedoch massives Mobbing einsetzte (Nazi-pig), weil Eltern und Großeltern die Kinder beeinflusst hätten. Schlaffer konstatierte an dieser Stelle, dass Hass nicht angeboren, sondern gesät werde. Als Schlaffer 14 war, kehrte die Familie zurück nach Deutschland, nachdem die Adaption in England doch alles in allem funktioniert hatte, die Pubertät kam dazu und mündete in Wut (körperlich, Gewalt gegen Dinge, Weglaufen). Dazu kam das Feindbild Vater, der Neid auf die brave Schwester und die Selbsteinschätzung, er sei eben ein böses Kind. Er berichtete davon, er sei gegen alles gewesen, nichts Positives, keine Ankerpunkte hätte es noch gegeben. Zu der rechtsradikalen Szene fand er auch über die Musik, die offensichtlich aktuell vor allem über TikTok verteilt wird. Hier werde gegen alles und jeden gesungen. Und die Message verbreitet: Du bist gut, wie du bist. Von (deutscher) Geburt an.

Schlaffer skizzierte nun die weitere Entwicklung der Gewalt, welche zur Folge hatte, dass er zu einem Jahr Haft auf zwei Jahre Bewährung verurteilt wurde. Eine Umkehr schien jedoch nicht möglich gewesen zu sein aufgrund seines Umfelds der Hooligans und Neonazis, die mit jedem Krieg führten, ob nun mit Messer oder Kalaschnikow. Die Haltung sei klar: Ich muss mich wehren! Auf den präsentierten Fotos stilisierte er sich als tougher und strahlender Kerl. Nun bezeichne er sein damaliges Ich jedoch als „Bastard“.

Schlaffer erzählte jedoch nicht nur, sondern war darum bemüht, auch aufzuklären. Ein Radikaler zeige wenigstens eine gewisse Anerkennung der Demokratie als System, der Extremist sei jedoch davon überzeugt, dass die Demokratie mit Waffengewalt abgeschafft werden müsse. Weitere Stationen seiner kriminellen Karriere wurden erwähnt. Wie das SEK zuschlägt wegen Waffenbesitz (Kriegswaffe), er eine eigene Gruppe gründet, die Wismar terrorisiert, eine no-go-zone erschafft in dem absurden Gefühl: Wir sind die Guten!

Ein entscheidender Punkt - jedoch noch nicht der Wendepunkt - in seinem Leben wurde durch eine Videoeinspielung verdeutlicht. Das Video zeigt Polizisten, die bei einer Demonstration zwischen Linken und Rechten stehen und die brenzlige Situation offensichtlich nicht unter Kontrolle haben. Die Gefahr einer tödlichen Eskalation ist hier deutlich spürbar. Hinzu kam ein Überfall durch Neonazis aus Berlin. Schlaffer sprach von Erpressung und der Enttäuschung über die „Kameraden“, die doch Antikapitalisten zu sein vorgeben.

Dann gab Schlaffer eine Triggerwarnung heraus und zwei Schüler*innen verließen die Mensa. Dann berichtete er von einem tödlichen Streit wegen einer Kleinigkeit bei einer Silvesterparty seiner Kameradschaft. Er sprach von der Entmenschlichung des Opfers, Alkohol- und Blutrausch. Er selbst sei jedoch nicht anwesend gewesen. Aufgrund der Aufforderung dabei zu helfen, die Leiche zu entsorgen, sei bei ihm der Entschluss gewachsen auszusteigen, die Kameradschaft zu verlassen.
Problematisch erschien in diesem Moment jedoch für das Publikum, dass er sich nun der organisierten Kriminalität zuwendete, Präsident des später verbotenen Outlaw-Motorcycle Club „Schwarze Schar MC“ wurde, der in den Bereichen der organisierten Kriminalität und der Prostitution aktiv war. Auch hier waren Macht, Erfolg und Anerkennung die Motivation für sein Handeln. Ausschlaggebend für die persönliche Veränderung hin zu dem „neuen Philip“ waren dann die gesundheitlichen Folgen seines Lebenswandels. Schlaffer ging nur noch mit Waffe den Hund ausführen, versteckte überall Waffen, litt unter Depressionen, „Gangster-Burnout“, Migräne, Schlafstörungen. Und hinzu kam 2014 das Verbot der Organisation, der Staat zeigte Zähne und Schlaffer stieg endgültig aus. Er wurde sozusagen zum Feind der Gruppe, die in ihm einen Verräter sahen. Er fand aber Hilfe bei den Eltern und der Familie. Sein Appell an die Zuhörer lautete: „Einfach da zu sein, ist wichtig!“ Er selbst habe diese Hilfe auch in der JVA Stralsund von einem Seelsorgering und Psychologen erhalten.

Nun warnt Philip Schlaffer an Schulen vor der real existierenden Gefahr durch Rechtsextremisten, dem Verlust der Freiheit und betont, aus Hass könne nichts Positives entstehen.
Auf seinem Lebensweg habe es 20 Jahre nur Opfer gegeben. Er wolle nun die Demokratie schützen, was durchaus anstrengend sei.

Im anschließenden Gespräch spürte man zunächst Zurückhaltung bei den Schülerinnen und Schülern, dann ergaben sich jedoch viele Fragen, die das rege Interesse zeigten.
Wie hat Schlaffers Ehefrau auf seine Vergangenheit reagiert? Wie geht man mit sich und seiner Schuld um? Schlaffer plädierte dafür, Hilfe zu suchen und anzunehmen. Er selbst sei seit Jahren in Therapie, wo Fragen nach Gründen für das eigene Verhalten gestellt würden und eine neutrale Person, die nicht wertet, die Auseinandersetzung mit der eigenen Person erleichtere.
Ein äußeres Zeichen für den Wandel seien die Tattoos, die er habe überarbeiten lassen. Die Unterschrift Adolf Hitlers, ein Hakenkreuz und ein SS-Totenkopf seien nicht mehr erkennbar.

Sicherlich verließen die Schülerinnen und Schüler nachdenklich den Raum. Die große Ruhe und aufmerksame Stimmung der Zehntklässerinnen und Zehntklässler beeindruckte den Vortragenden positiv. Im Unterricht tauschten sich die Schülerinnen und Schüler kritisch über den
Vortrag (unterstützt durch Extremislos e.V. und die Friedrich Naumann Stiftung) aus und sie werden sich sicherlich auch noch intensiver mit der menschenverachtenden Ideologie auseinandersetzen müssen, die im Vortrag leider aufgrund des biografischen Schwerpunkts zu kurz kam.

Autor:

marc soedradjat aus Bretten

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