„Eine Depression kann und muss behandelt werden“

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„Eine Depression kann und muss behandelt werden.“ Wie Medikamente, Psychotherapie und Online-Angebote helfen können.

(pr-nrw) Depressive Störungen gehören nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums zu den häufigsten und am meisten unterschätzten Erkrankungen. Weltweit wird die Zahl der Betroffenen auf circa 350 Millionen Menschen geschätzt. Bis zum Jahr 2020 werden Depressionen oder affektive Störungen laut der Weltgesundheitsorganisation WHO weltweit die zweithäufigste Volkskrankheit sein . Wird eine depressive Erkrankung frühzeitig erkannt, ist sie in den meisten Fällen gut behandelbar. Doch die Anrufe beim Lesertelefon zeigten, wo die Schwierigkeiten liegen: Betroffene trauen sich nicht, zum Arzt zu gehen oder müssen lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz überstehen. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

Ich erlebe immer wieder Phasen von Niedergeschlagenheit, aber sie dauern neuerdings länger und ich schaffe es kaum, mich zu irgendetwas aufzuraffen. Leide ich vielleicht unter einer Depression?

PD Dr. med. Mazda Adli: Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit sind zwei der Hauptsymptome einer Depression. Wenn sie über längere Zeit anhalten und noch weitere Symptome hinzukommen, kann dies auf eine depressive Erkrankung hinweisen. Typisch wären zum Beispiel Schlaf- oder Konzentrationsstörungen, verminderter Appetit, aber auch Schuldgefühle oder das Gefühl von Wertlosigkeit. Oft liegt über allem ein Gefühl der Ausweglosigkeit und Angst vor der Zukunft, im schlimmsten Fall kommen sogar Suizidgedanken dazu.

Wer ist bei einer Depression der richtige Ansprechpartner?

Dipl. med. Kerstin Adamczak: Der erste Ansprechpartner kann der Hausarzt sein. Er kennt Sie bereits, kann Ihre Situation einschätzen und wird Sie gegebenenfalls an einen Psychiater, einen ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten weiterleiten, um eine leitliniengerechte Therapie zu veranlassen. Wichtig ist aber vor allem, dass Sie diesen ersten Schritt tun, auch wenn er Kraft und Überwindung kostet. Eine Depression ist weder eine vorübergehende Befindlichkeitsstörung, noch eine Charakterschwäche, sondern eine echte Krankheit, die man behandeln kann und muss. Falls sich Ihr Zustand zu einer akuten psychischen Krise zuspitzt, sollten Sie sofort Hilfe in Anspruch nehmen ( Infokasten).

Gibt es körperliche Ursachen für eine Depression?
Dr. med. Thomas K. Gratz: Ja. Wir wissen heute, dass bei Depressionen biochemische Signalketten unterbrochen werden und die Weiterleitung bestimmter Botenstoffe im Gehirn zum Teil massiv gestört ist. Je nach Schweregrad einer Depression kann man im Gehirn sogar deutliche strukturelle Veränderungen sehen. Diese Prozesse lassen sich durch eine geeignete Kombination aus Medikamenten und zum Beispiel kognitiver Verhaltenstherapie beeinflussen. Ziel ist es, biochemische Prozesse wieder zu stabilisieren und durch Gespräche die eingefahrenen, negativen Denkmuster des Patienten schrittweise so zu verändern, dass an die Stelle von Hilflosigkeit wieder Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten treten kann.

Ich habe Bedenken, dass ich der Behandlung mit Medikamenten und Psychotherapie irgendwie ausgeliefert bin…
Prof. Dr. med. Kai Kahl: Die moderne Therapie von Depressionen stellt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten klar in den Mittelpunkt. Dabei nimmt der behandelnde Arzt die Rolle eines Partners bei der gemeinsamen Bewältigung der Krankheit ein. Das so genannte „Shared Decision Making“ zielt auf eine gemeinsame Entscheidungsfindung ab, welche Therapie die individuell am besten geeignete ist. Dazu gehören eine patientengerechte Form der Informationsvermittlung, das Aufzeigen von Vor- und Nachteilen der jeweiligen Therapien sowie von Behandlungsalternativen, einschließlich deren wissenschaftlicher Fundierung.

Wird eine Depression immer mit Medikamenten behandelt?
PD Dr. med. Cora S. Weber: Weil eine Depression sowohl psychische als auch neurobiologische Ursachen hat, sind Psychotherapie und Medikamente grundsätzlich gleichwertige Säulen der Behandlungsstrategie und werden oft kombiniert. Ob und wie dies im Einzelfall geschieht, legen Arzt und Patient gemeinsam fest. Dabei sollte die individuelle Lebenssituation einbezogen werden. Lassen sich Auslöser für die Depression finden, zum Beispiel ein schweres Verlusterlebnis, sollte in jedem Fall eine Psychotherapie durchgeführt werden. Je nach Krankheitsbild können weitere Therapieangebote hinzukommen, zum Beispiel eine Lichttherapie, ein therapeutischer Schlafentzug oder – bei sehr schwerer, bisher nicht erfolgreich behandelter Depression – unter Umständen auch eine Elektrokrampftherapie. Bei leichten und mittelschweren Depressionen ist regelmäßige körperliche Bewegung antidepressiv wirksam, idealerweise in Form eines Lauftrainings über 30 bis 45 Minuten, mindestens zwei Mal pro Woche.

Führen Antidepressiva zu Persönlichkeitsveränderungen und Abhängigkeit?
PD Dr. med. Cora S. Weber: Leider hält sich diese Fehleinschätzung hartnäckig. Was die Persönlichkeitsveränderung betrifft, ist es eher umgekehrt: Die Depression ist es, die die Persönlichkeit verändert. Die Medikamente wirken auf die neurobiologischen Prozesse im Gehirn ein, die diese Veränderung bewirken. Mit einer geeigneten Pharmakotherapie auf der Basis einer vertrauensvollen ärztlichen Begleitung, in Kombination mit einer Psychotherapie, können Sie wieder zu Ihrem alten Selbst zurückfinden. Und: Antidepressiva machen nicht abhängig.

Beim Erstgespräch sagte mir der Therapeut, dass es fast ein halbes Jahr bis zum Beginn der Therapie dauern kann. Ich habe Angst, dass sich mein Zustand in dieser Zeit weiter verschlechtert.
Dipl. med. Kerstin Adamczak: Leider kommt es nach wie vor zu langen Wartezeiten, bis die Therapie beginnen kann – besonders in Ballungsräumen oder Regionen mit geringer Facharztdichte. Doch die Wartezeit lässt sich mithilfe von so genannten Online-Therapieprogrammen nutzen. Ein solches Programm baut zum Beispiel auf den Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie auf. Wichtig ist, dass die Wirksamkeit eines Programms in wissenschaftlichen Studien bewiesen wurde, wie zum Beispiel bei deprexis 24. Ein Online-Therapieprogramm bereitet zudem auf die Gesprächs- oder Psychotherapie vor, indem es den Wissensstand des Patienten über seine Erkrankung verbessert und ihn für Bereiche sensibilisiert, die in der Therapie vertieft werden.

Wie muss ich mir ein solches Online-Therapieprogramm vorstellen?
PD Dr. med. Mazda Adli: Online-Psychotherapieprogramme führen mit dem Nutzer einen virtuellen Dialog. Ziel ist es, dass sich der Betroffene eingefahrener negativer Denkmuster oder depressionsverstärkender Verhaltensweisen bewusst wird. Damit kann er sie in einem nächsten Schritt verändern. Zudem regen die Programme oft zu Entspannung, Achtsamkeit und Selbstakzeptanz an, fördern soziale Kompetenz und motivieren zu körperlicher Aktivität. Dabei sollte sich das Programm individuell auf den Nutzer einstellen. Fortschritte sollte es so messen und dokumentieren, dass sie für den Nutzer nachvollziehbar sind und ihn zusätzlich motivieren. Besonders wertvoll kann es sein, wenn der Nutzer die Ergebnisse auch für seinen behandelnden Arzt freigeben kann, um ihn über den Therapiefortschritt zu informieren.

Worauf muss ich bei einem Online-Therapieprogramm achten?
Prof. Dr. med. Kai Kahl: Das Programm sollte von Ärzten und Psychotherapeuten mitentwickelt worden sein und seine Wirksamkeit in mehreren Studien bewiesen haben. So liegen beispielsweise für deprexis 24 insgesamt elf Studien mit mehreren Tausend Patienten in Deutschland vor. Zudem ermöglicht das Programm über eine spezielle Funktion den direkten Kontakt zum behandelnden Arzt. Insgesamt sollte ein solches Programm einen Einstieg ohne besondere Computerkenntnisse ermöglichen, auf Wunsch auch anonym. Die Nutzerdaten sollten vertraulich behandelt werden und eine Weitergabe an Dritte ausgeschlossen sein.

Ist eine Online-Therapie eine Alternative zu einer Gesprächs- oder Psychotherapie?
Dr. med. Thomas K. Gratz: Online-Angebote können und wollen den Arzt oder Therapeuten nicht ersetzen. Sie können eine klassische Psychotherapie jedoch sinnvoll ergänzen, indem sie dem Patienten Basiswissen und Grundfertigkeiten vermitteln. Dadurch kann die Therapie sich besser auf komplexere Fragestellungen konzentrieren. Zu bedenken ist aber, dass eine Depression sehr schwerwiegend, unter Umständen sogar lebensbedrohlich sein kann. Die Leitlinien zur Behandlung einer Depression sehen deshalb Psychotherapie, Medikamente oder eine Kombination aus beidem als primäre Behandlungsstrategien vor.

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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