Attentat in Hanau löst Sorgen aus
„Der gesellschaftliche Aufschrei fehlt leider noch“
Karlsruhe/Pforzheim (hk) Ferhat, Mercedes, Sedat, Gökhan, Hamza, Kalojan, Vili, Said und Fatih: Neun Leben, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Doch eines hatten sie gemeinsam: Sie oder ihre Eltern kamen einst nach Deutschland, um hier zu leben. Für einen 43 Jahre alten Deutschen war das Grund genug, um am vergangenen Mittwochabend vor einer Shisha-Bar im hessischen Hanau das Feuer zu eröffnen und diese neun Leben auszulöschen.
„Den Polizeibeamten können wir nicht genug danken“
Die richtigen Worte zu finden, fällt Yavuz Çevik vom Vorstand der Fatih-Moschee in Pforzheim nicht leicht: „Ich bin erschüttert, traurig. Unschuldige Menschen wurden einfach ermordet“, versucht er seine Trauer in Worte zu fassen. Die Geschehnisse seien beunruhigend. Damit meint der Dialogbeauftragte der Moschee auch die Bombendrohung, die nur wenige Tage vor dem Attentat in Hanau, bei der Moschee in Pforzheim einging. Demnach sollte kurz vor dem Freitagsgebet ein Sprengsatz explodieren. „Eure Moscheen werden brennen“, soll zudem in der Warnung gestanden haben. „Den Polizeibeamten können wir nicht genug danken“, so Çevik und betont, dass die Polizei bis zum Freitagsgebet vor Ort blieb, bei der auch Vertreter des Pforzheimer Rats der Religionen ihre Solidarität zum Ausdruck brachten.
In die Trauer und Sorgen mischt sich aber auch Wut: „Es ist erschreckend zu sehen, wie Machtfantasien ausgespielt werden. Und letztendlich ist es egal, wo das geschieht – es trifft immer unschuldige Menschen“, so Çevik. Dass Islamophobie und Antisemitismus spürbar stärker geworden sind, steht für den in der Moschee ehrenamtlich tätigen Çevik außer Frage. Der Vorstand der Fatih-Moschee will daher künftig Sicherheitsmaßnahmen aus eigener Hand für das Gotteshaus finanzieren.
„Gefühl, dass wir nicht dazugehören“
„Schockiert“ darüber, wie ein „Massaker“ dieser Art ausgeübt werden konnte, ist Fatih Şahan, der stellvertretende Vorstandvorsitzender der DITIB Landesreligionsgemeinschaft Baden. In den rund 60 Moschee-Gemeinden, die die Landesreligionsgemeinschaft Baden vereint – darunter Pforzheim, Oberderdingen (Fatih-Moschee), Bretten (Grüne Moschee) und Maulbronn (Mimar Sinan-Moschee) – seien Drohbriefe und Schändungen von Moscheen keine Seltenheit. Und der Rassismus, der gehöre zum Alltag: „Muslime werden ständig vorverurteilt und mit Stigmen belegt. Der Islam wird mit Terror assoziiert. Und das lässt ein Gefühl entstehen, dass wir nicht dazugehören.“ Das Feindbild, das entstanden ist, sei inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. „Ich finde aber, solange wir den deutschen Gesetzen treu sind, gehören wir zu Deutschland.“ Angesichts des rassistisch motivierten Attentats in Hanau fordert Şahan klare Konsequenzen aus der Politik: „Der Schutz von Gotteshäusern muss eine staatliche Aufgabe werden“. Der Vorstandsvorsitzender erwartet aber auch „Solidarität von der Mehrheitsgesellschaft“: „Der gesellschaftliche Aufschrei fehlt leider noch.“
„Es wird viel über Muslime gesprochen, aber nicht mit ihnen“
Wie können Vorbehalte gegen Muslime aufgelöst werden? Zum Beispiel über Begegnungen, Dialog und Diskussionen, findet Rüştü Aslandur, Vorsitzender des Deutschsprachigen Muslimkreis Karlsruhe (DMK). „Im Oktober planen wir die zehnte Islamwoche“, berichtet er. Die Veranstaltungen im Rahmen der Islamwoche sollen eine Gelegenheit zum Kennenlernen der deutschsprachigen muslimischen Gemeinschaft und ihr Engagement sein. „Dadurch oder durch niedrigschwelligere Angebote wie unser ‚Nachbarschafts-Iftar‘ versuchen wir Austausch zu initiieren“, erklärt er. Allerdings würde das Interesse von Nicht-Muslimen tendenziell abnehmen. „Es wird viel über Muslime gesprochen, aber nicht mit ihnen“, hat Aslandur den Eindruck.
Sicht auf Muslime „nicht real und sehr verschoben“
Dementsprechend sei die grausame Tat in Hanau nicht überraschend gewesen: „Der Schock sitzt zwar tief, aber manche Entwicklungen in unserer Gesellschaft weisen schon seit Jahren darauf hin“, sagt Aslandur. Das rassistische Attentat passe zu dem gesellschaftlichen Klima, das sich durch Pegida und AfD negativ verändert habe. „Aus unserer Angst wird so Realität.“ Auch der DMK müsse sich jetzt mit gewissen Fragen beschäftigen, zum Beispiel, ob man zur deutschsprachigen Freitagspredigt auf dem Gelände der Universität Karlsruhe polizeilichen Schutz brauche. Es müsse aber auch ein grundsätzliches Umdenken stattfinden: „Man darf jetzt nichts beschwichtigen. Unsere Sorgen müssen ernst genommen werden", betont er. Die Sicht auf Muslime in Deutschland und deren Lebenswelt sei nach wie vor „nicht real und sehr verschoben“: „Leider werden wir oft als Problem wahrgenommen oder über einen Kamm geschert.“ Seinen Appell an Austausch richtet der Vereinsvorsitzende auch an seine muslimischen Mitbürger: „Auch wir müssen diesbezüglich unsere Hausaufgaben machen und den Austausch suchen.“
Autor:Havva Keskin aus Bretten |
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