Interview mit dem Forstbezirksleiter Simon Boden zum Zustand des Waldes in der Region
Ist der Wald noch zu retten?
Region (ger) Der April war wieder viel zu trocken, nach 2018 und 2019 droht ein drittes Dürrejahr in Folge. Nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch der Wald leiden unter der zurückgehenden Niederschlagsmenge. Auch hier im Kraichgau sind viele Bäume abgestorben, und wenn man beim Waldspaziergand den Blick nach oben richtet, sieht man lichte Kronen. Redakteurin Katrin Gerweck hat Simon Boden, Forstbezirksleiter für den Kraichgau, zum Zustand des Waldes befragt.
Herr Dr. Boden, laut dem Waldzustandsbericht vom Oktober 2019 sind große Teile des Waldes in Baden-Württemberg deutlich geschädigt, in einer Meldung zu Beginn des Jahres war sogar von 80 Prozent der Bäume die Rede, die Schäden zeigen. Was sind die Hauptgründe für diesen schlechten Zustand des Waldes?
Aktuell geht es dem Wald bundesweit, aber auch hier bei uns in Baden-Württemberg und im Landkreis Karlsruhe, sehr schlecht. Laut Waldzustandsbericht gelten 43 Prozent der Waldfläche in Baden-Württemberg als deutlich geschädigt. Der Indikator hierfür ist der Grad der Belaubung der Baumkronen, der jährlich im Rahmen eines systematischen Monitorings erhoben wird. Darüber und über eine entsprechende Klassifizierung in Schadstufen lässt sich der Gesundheitszustand der Bäume ableiten. Der mittlere Wert für den Nadel- bzw. Blattverlust hat 2019 in Baden-Württemberg den bisherigen Höchststand seit Aufnahmebeginn der Waldzustandserhebung in 1985 erreicht. Mit Blick auf die gesamte Waldfläche Deutschlands zeigen leider nur noch 20 Prozent der Bäume keine Anzeichen einer Kronenverlichtung. Dies sind sehr beunruhigende Werte.
Die Hauptgründe für den akut schlechten Zustand des Waldes sind die extremen Witterungsverhältnisse in den letzten beiden Jahren. Bedingt durch die sehr trockene und heiße Witterung in 2018 und 2019 sind die Wälder im Land massiv geschwächt. Neben der reduzierten Vitalität der Bäume aufgrund der schlechten Wasserversorgung kommt hinzu, dass geringe Niederschläge und viel Sonnenschein die Entwicklung von wärmeliebenden Schadinsekten begünstigt haben. Insgesamt sind die genannten Gründe jedoch nur die wahrnehmbaren Ursachen, hinter alldem stecken die klimatischen Veränderungen aufgrund des Klimawandels.
Kann man schon von einem Waldsterben sprechen?
Eine solch massiver Anstieg der Waldschäden in den letzten beiden Jahren und in der Tendenz auch in den Jahren zuvor ist neben den immissionsbedingten Waldschäden Ende der 1970er Jahre nur in den Trockenjahren 2003 bis 2006 zu erkennen. Insofern liegt es nahe, von einem weiteren Waldsterben zu sprechen. Der Wald wird jedoch langfristig nicht verschwinden, er wird nur grundlegend anders aussehen.
Welche Rolle spielt die Forstwirtschaft? Liegt es auch an Monokulturen, das der Wald anfälliger ist?
Sicherlich sind die insbesondere in der Nachkriegszeit entstandenen Reinbestände von Fichte und Kiefer sehr anfällig gegenüber Schadereignissen. Reinbestände sind per se anfälliger als Mischbestände. Baumartenvielfalt und Mischung sind die Grundlage für eine gesteigerte Anpassungsfähigkeit gegenüber sich verändernden Bedingungen. Das Bestreben, die Monokulturen in Richtung von Beständen mit mehr Mischung und einer größeren Baumartenvielfalt und somit Naturnähe umzubauen, ist jedoch bereits seit mehr als drei Jahrzehnten in unserer Forstwirtschaft etabliert. Seit den 70er-Jahren wird die Konzeption einer naturnahen Waldwirtschaft in Baden-Württemberg umgesetzt. Zu bedenken sind aber die langen Wuchszeiträume der Bäume. Der Waldumbau ist eine Arbeit über Jahrzehnte, hat aber durch die Klimaveränderungen dramatisch an Geschwindigkeit gewonnen. Dies ist eine Herausforderung für alle Waldbesitzer und Förster.
Auch Schädlinge tragen also zur Schädigung bei. Ist dabei der Anteil an eingeschleppten Arten signifikant? Welche Schädlinge sind besonders schlimm?
Viele Borkenkäferarten, insbesondere die bekannten Arten Buchdrucker und Kupferstecher, haben auf die für sie günstigen Witterungsbedingungen mit dem Aufbau hoher Populationsdichten reagiert. In Normaljahren sind viele dieser Arten unauffällig, die Extremjahre 2018 und 2019 haben aber zu Massenvermehrungen geführt. Dies gilt aber nicht nur für Borkenkäfer, sondern auch für rindenbrütende Prachtkäfer oder für nadel- und blattfressende Schmetterlingsraupen. Hinzu kommt, dass die verringerte Vitalität der Waldbäume das Auftreten weiterer sekundärer Schaderreger zusätzlich begünstigt.
Zudem spielen auch Pilzinfektionen eine Rolle: Unter anderem werden die Hallimasch-Arten als Wurzel- und Stammfäuleerreger ebenso durch Trockenstress der Bäume begünstigt. Sind die Bäume gestresst, sind die Reaktionen zur Bildung von Abwehrstoffen oder Abgrenzungsgewebe vermindert und es kommt zu Infektionen. Bei der Esche ist eine eingeschleppte Pilzinfektion besonders dramatisch: Ein ursprünglich in Ostasien beheimateter Pilz führt als sogenanntes Eschentriebsterben zum Absterben von zahlreichen Eschenbeständen.
Welche Besonderheiten hat der Wald im Kraichgau? Wie ist der Zustand des Waldes hier in der Region?
Charakteristisch für die Wälder im Kraichgau sind die relativ hohen Anteile der Eiche. Die Eiche kann mit ihrem tiefreichenden Wurzelwerk längere Trockenphasen besser als andere Baumarten überstehen und ist somit eine wichtige Baumart im Klimawandel. Jedoch waren in 2019 auch bei der Eiche Reaktionen auf Trockenstress zu erkennen. Der Blattfraß durch verschiedene Schmetterlingsraupen wie Frostspanner, Schwammspinner oder Eichenprozessionsspinner war noch relativ überschaubar. Bei der Hauptbaumart Buche sieht es hingehen deutlich schlechter aus: Je nach Wasserverfügbarkeit des Standorts sind deutliche Trockenschäden bis hin zum Absterben alter Buchen feststellbar.
Im Februar kamen zudem viele kleinflächige Sturmschäden dazu. Beim Nadelholz ist das ausgesprochen gefährlich und ideales Brutmaterial für den Borkenkäfer. Dies verschärft die Waldschutzsituation zusätzlich.
Was tut die Forstwirtschaft konkret gegen das Waldsterben? Welche Baumarten sind den Klimaveränderungen gewachsen?
Aktuell gibt es für uns zwei Schwerpunkte, um den Waldschäden entgegenzuwirken: Zum einen stocken wir geschädigte Bestände mit klimastabilen Baumarten wie Eichen, Elsbeeren oder Douglasien wieder auf. Zum anderen stabilisieren wir die restlichen Bestände: moderate Durchforstungen tragen tendenziell zu einer besseren Wasserversorgung der Einzelbäume bei. Zudem sichern wir dabei wuchsunterlegenen Baumarten mit jedoch einer guten Perspektive im Klimawandel die entsprechenden Ressourcen. Beiderlei dient dazu, den Wald fit für die künftigen klimatischen Verhältnisse zu machen.
Denken Sie, dass der „Patient“ Wald noch zu retten ist?
Die entscheidende Frage ist die Geschwindigkeit mit der sich die Wuchsverhältnisse für den Wald verändern. Im Februar und in der ersten Märzhälfte waren die Niederschläge überdurchschnittlich hoch, dies hat jedoch nicht ausgereicht, um die Defizite der vorangegangenen Monate ansatzweise auszugleichen. Aktuell haben wir wieder eine lange Phase mit nur wenig Niederschlag. Trotz des Regens der vergangenen Tage ist der Waldboden in den oberen Schichten noch immer sehr trocken. Die Populationsdichten der Schadinsekten sind sehr hoch. Dies lässt für die Zukunft nichts Gutes erwarten. Kurzfristig brauchen wir für den Wald dringend noch mehr Regentage.
Autor:Katrin Gerweck aus Bretten |
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