"Weiterkommen und Blick verändern"
Martina Klöpfer prägte 30 Jahre lang die Gleichstellungsarbeit im Enzkreis

Martina Klöpfer war als Gleichstellungsbeauftragte 30 Jahre lang im Enzkreis aktiv. | Foto: privat
  • Martina Klöpfer war als Gleichstellungsbeauftragte 30 Jahre lang im Enzkreis aktiv.
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Region (hk) Für die langjährige Gleichstellungsbeauftragte des Enzkreises, Martina Klöpfer, beginnt mit diesem Monat offiziell der Ruhestand. Seit Mai 2020 war sie bis dato in der Altersteilzeit, in der sie ihrer Nachfolgerin Kinga Golomb bei Wunsch zur Seite stand. Im Interview mit der Brettener Woche/kraichgau.news blickt Klöpfer auf eine bewegte Zeit zurück.

Was waren Ihre Ambitionen, als Sie sich auf die Stelle als Frauenbeauftragte beworben haben?
Damals, 1992, lautete der Titel ‚Leitstelle zur Gleichstellung der Frau‘. Mich reizte die Tatsache, dass es sich um eine gesellschaftliche und politische Arbeit handelte, die nah bei den Menschen ist. Ich wollte die Benachteiligung der Frau aufzeigen und hier etwas verändern. Da ich gelernte Erzieherin bin, kam ich natürlich mit Themen wie Kinderbetreuung und Alleinerziehende in Berührung. Später habe ich Politik, Geschichte und Germanistik studiert. In dieser Zeit ist mir auch aufgefallen, dass Frauen unterrepräsentiert sind, wie etwa in der Politik oder dass sie in der Geschichte und Germanistik überhaupt nicht vorkamen.

Später hat sich die Stelle im Landratsamt von der Frauen- zur Gleichstellungsbeauftragten gewandelt. Was im Enzkreis ist Ihrem Einfluss zu verdanken?
Hier unterscheide ich zwischen interner und externer Gleichstellungsarbeit.
Verwaltungsintern wurden 1996 die erste Richtlinie zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Landratsamt im Enzkreis erlassen – Männer wurden damals schon vorausschauend einbezogen. Darin ging es beispielsweise um Themen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und sexuelle Belästigung. Ich glaube, ich war damals die erste in den Landkreisen, die mit dieser Richtlinie intern tätig werden konnte. Heute ist es dieser Arbeit zu verdanken, dass wir im Enzkreis die Parität auf der Führungsebene, also in den Dezernaten und auf der Amtsleitungsebene, erreicht haben. Diese Richtlinie hat wiederum zu verwaltungsinternen Maßnahmen geführt.
Ich erinnere mich zum Beispiel an die 90er-Jahre, als es um frei werdende Stellen ging: Es gab eine Richtlinie, dass frei werdende Stellen nicht mehr besetzt werden sollten. Damals konnte ich den Landrat davon überzeugen, dass es sich ausschließlich um Stellen von Frauen handelte, die in Elternzeit gegangen sind. Diese Stellen wären weggefallen. Die Regelung wurde intern wieder aufgehoben.
Im externen Bereich habe ich den ‚Regionalen Aktionsplan – Gleichstellung von Frauen und Männern im Enzkreis‘ ins Leben gerufen, der 2010 vom Kreistag einstimmig beschlossen wurde. Darin zeige ich konkret anhand von Handlungsfeldern, Maßnahmen und Zielen, was in der Gleichstellungsarbeit wichtig ist. Darin ist auch ein ganz bedeutendes Projekt verankert, nämlich die kommunalpolitische Seminarreihe ‚Mitmischen – Einmischen – Aufmischen‘ für politisch interessierte Frauen. Außerdem habe ich mich für die Einrichtung einer betriebsnahen Kinderbetreuung in Mühlacker eingesetzt. Das „Rabennest“ war damals ein Novum für Firmen – mittlerweile gibt es zwei Standorte. Zudem habe ich gemeinsam mit meiner Pforzheimer Kollegin den Boys‘ Day – vor dem offiziellen Start – eingeführt.

Gab es etwas, an dem Sie sich die Zähne ausgebissen haben? Blieb etwas ungelöst?
Ja, zunächst einmal die Aufwertung der sogenannten SAGE-Berufe („SAGE“ steht für Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege, Erziehung und Bildung", Anm. der Redaktion). In diesem Bereich herrscht seit Jahrzehnten ein Arbeitskräftemangel, und da hat sich für mich wenig getan, auch wenn sehr viel darüber gesprochen wird. Abgesehen von minimalen Anpassungen beim Lohn hat sich nicht viel geändert.
Zum anderen halte ich die Quote für einen Teil unserer demokratischen Gesellschaft. Beispielsweise wird bei der Vergabe von Ministerinnen- und Ministerposten auf eine Verteilung auf Baden und Württemberg geachtet und die Bundespräsidenten wurden – bis Richard von Weizsäcker – nach Partei- und Religionszugehörigkeit abgewechselt. Es hat in anderen Bereichen nie eine Diskussion und die Abneigung, wie bei diesem Thema, wenn es um die Berücksichtigung von Frauen geht, gegeben. Diese Aufgabe ist meiner Meinung nach noch ungelöst.

Wie haben sich Ihre inhaltlichen Schwerpunkte im Laufe der Jahre verändert?
Da war natürlich der Übergang von der Frauen- zur Gleichstellungsbeauftragten. Später kam die Einbeziehung des dritten Geschlechts hinzu, ebenso wie die Schwerpunkte Diversität, queere Menschen und Gender Mainstreaming. Letztere bedeutet, die unterschiedlichen Lebenssituationen von Frauen und Männern bei allen gesellschaftlichen und politischen Vorhaben im Vorfeld zu berücksichtigen. Thematisch hat es sicherlich einen Quantensprung im Bereich der Kinderbetreuung gegeben. In den Vordergrund gerückt sind auch die Themen Migration und gendergerechte Medizin – dies hat sich verbessert, ist aber nach wie vor entwicklungsbedürftig.

Hat Sie diese Tätigkeit auch selbst verändert? Hat sich auch Ihr Blick auf die Gesellschaft verändert?
Das gehört zu jeder Tätigkeit dazu. Es ist immer ein Weiterkommen und den Blick verändern. Ich war am Beginn meiner Tätigkeit überrascht und schockiert darüber, dass viele Frauen im Enzkreis kein eigenes beziehungsweise gemeinsames Bankkonto hatten. Sie haben ein Taschengeld bekommen. Beispielsweise hatte eine Frau kein Geld für den Bus – sie kam zu Fuß zu mir. Da wurde mir klar, dass es nicht nur um strukturelle, sondern auch um individuelle Benachteiligungen geht, die sich oft auf einer strukturellen Ebene ergeben. Es wurde mir auch klar, dass die Stelle, die ich für notwendig gehalten habe, mit Themen zu tun hatte, die für mich eindeutig waren. Für andere war das aber nicht so klar und eindeutig.
„Mut und Gelassenheit“ wurde zum Motto meiner Arbeit der vergangenen 30 Jahre. Mutig zu sein, wo es notwendig und erreichbar war. Ich erinnere mich zum Beispiel sehr gut daran, wie Anfang der 90er-Jahre meine damals erste Veranstaltung zum Thema Gewalt gegen Frauen unter Polizeischutz begann. Und gelassen zu bleiben, wo vorerst nicht die gewünschte Maßnahme oder Entwicklung zu erwarten war – ich wollte nicht verbittert werden. Mein erster Landrat sagte zu mir: ‚Eine Frauenbeauftragte muss unbequem sein, sonst erreicht sie nichts.‘

Was wäre aus Ihrer Sicht nötig, damit Frauen, in zum Beispiel 20 Jahren, sagen können: Wir sind gleichberechtigt.
In einer zukunftsorientierten Politik muss die Gleichstellung im Fokus stehen. Aber das ist auch eine Aufgabe von uns allen – damit meine ich auch, sich nicht nur auf andere zu verlassen. Der Maßstab, an dem ich meine Arbeit gemessen habe, hat sich immer an drei Bereichen orientiert: Macht und Einfluss, finanzielle Situation sowie Wahrnehmung und Wertschätzung. Wenn es eine Weiterentwicklung und eine gleichberechtigte Teilhabe in diesen drei Bereichen gibt, dann können wir vielleicht sagen: Wir sind gleichberechtigt.

Was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin? Und hat diese es heute leichter als Sie bei Ihrem Start?
Auch ihr wünsche ich Mut und Gelassenheit. Ich denke, sie hat es in einem Bereich leichter: Als ich anfing, ging es vorrangig um die Frage, wieso braucht man eine Frauenbeauftragte? Heute geht es nicht mehr um das ob, wie bei mir am Anfang, sondern um das wie.

Was wird Ihnen besonders fehlen?
Auf jeden Fall die Menschen, mit denen ich gut zusammengearbeitet und mit denen ich gemeinsam vieles auf die Beine gebracht habe.

Die Fragen stellte Redakteurin Havva Keskin. 

Autor:

Havva Keskin aus Bretten

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