Tag des Handwerks 2017: Interview mit dem Präsidenten der Handwerkskammer Karlsruhe, Joachim Wohlfeil
Der Tag des Handwerks ist mehr als eine Plattform zur Gewinnung von Nachwuchskräften für das Handwerk. Diese Auffassung vertritt Joachim Wohlfeil, Präsident der Handwerkskammer Karlsruhe, im nachfolgenden Interview. Dennoch spielt die Nachwuchsgewinnung eine wichtige Rolle.
Herr Wohlfeil, landesweit verzeichnen die Handwerkskammern eine Zunahme der Ausbildungsverträge im Vergleich zum Vorjahr. Gilt das auch für den Zuständigkeitsbereich der Handwerkskammer Karlsruhe?
Ja, eine schöne Entwicklung. Auch wir konnten die Zahl der neu abgeschlossenen Lehrverträge im Jahr 2016 steigern und gehen davon aus, die Lehrstellenbilanz zum 31.12.2017 – unserem Stichtag - positiv abschließen zu können. Ich denke, unsere Imagekampagne und unsere zahlreichen Maßnahmen zur Nachwuchsgewinnung bilden sich in den guten Zahlen ab.
Wie sieht denn die Situation im Einzelnen aus?
Zum Ausbildungsstart Anfang September hat unsere Lehrlingsrolle 2.262 neu eingetragene Lehrverträge registriert. Bis Jahresende kommen hier noch einige dazu. Gleichzeitig haben wir in zahlreichen Gewerken noch insgesamt 141 unbesetzt gemeldete Ausbildungsplätze. Es ist also immer noch möglich, auf den Ausbildungszug aufzuspringen – gern mit unserer Unterstützung. Wir sind noch bei Last-minute Börsen präsent, haben eine Datenbank und Lehrlings-app, die das Suchen erleichtert.
Wozu braucht es da noch einen Tag des Handwerks?
Der Tag des Handwerks ist nicht nur eine Plattform, um Nachwuchskräfte für das Handwerk zu gewinnen. Wir wollen auf das Handwerk und unsere ökonomische und gesellschaftliche Rolle aufmerksam machen. Gerade in der mittelständisch geprägten Wirtschaft Baden-Württembergs trägt unser Wirtschaftsbereich maßgeblich dazu bei, dass Arbeitsplätze in breiter regionaler Streuung angeboten werden und die Versorgung in ländlichen Regionen gesichert ist.
Reiner Reichold, der Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstags, des Dachverbands der Handwerkskammern im Land, hat kürzlich festgestellt, dass immer mehr Jugendliche nicht die für eine erfolgreiche Ausbildung nötigen Voraussetzungen mitbringen? Würden Sie diese Aussage unterschreiben?
Die Anforderungen in der Berufs- und Arbeitswelt, gerade hinsichtlich der technologischen Entwicklungen, werden nicht geringer. Das gilt auch für das Handwerk, wo die Digitalisierung in den nächsten Jahren noch zahlreiche Veränderungen mit sich bringen wird. Vor diesem Hintergrund sind unsere Betriebe bei der Gewinnung ihrer zukünftigen Fachkräfte darauf angewiesen, dass die Kenntnisse auf den naturwissenschaftlich-mathematischen Gebieten bei den Bewerbern gegeben sind. Und natürlich gehört auch dazu, das die sogenannten Sekundärtugenden stimmen. Der direkte Kundenkontakt spielt im Handwerk eine große Rolle – ein freundlicher, aufgeschlossener und pünktlicher Handwerker oder eine ebensolche Handwerkerin haben sicher mehr Chancen.
Wie hoch ist der Anteil junger Flüchtlinge bei den neuen Azubis im Handwerk und welche sind ihre Hauptherkunftsländer?
Im Bezirk der Handwerkskammer Karlsruhe beginnen voraussichtlich 83 Jugendliche aus Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien in diesem Jahr eine Ausbildung im Handwerk. Ob die Genannten alle Flüchtlinge sind, lässt sich aus unseren Unterlagen nicht eindeutig zuordnen. Wir haben zwei Mitarbeiter, sogenannte Kümmerer, die sich mit der Integration der Flüchtlinge in unsere Gesellschaft über die Ausbildung intensiv befassen. Ich denke, dazu gehört auch, dass die jungen Menschen vor der Ausbildung zusätzliche Qualifikationen erwerben müssen, um für die Wirtschaft fit gemacht zu werden. Dazu gehört zu allererst, die Sprache zu lernen oder über Praktika in die Lehre zu münden.
Hat das neue Integrationsgesetz den Betrieben die erwartete Rechtssicherheit, zum Beispiel gegen Abschiebung von Flüchtlingen in Ausbildung, gebracht?
Das Integrationsgesetz erleichtert den Zugang von Flüchtlingen und Asylbewerbern zu Ausbildung und Beschäftigung. Die gesetzliche Umsetzung der "3+2-Formel" gibt Betrieben, die geduldete Asylbewerber ausbilden, Planungssicherheit für die Dauer der dreijährigen Ausbildung und einer zweijährigen Anschlussbeschäftigung. Das ist unseren Betrieben besonders wichtig.
Sind Sie mit dem Anteil weiblicher Azubis im Handwerk zufrieden?
Der Anteil weiblicher Lehrlinge im Handwerk bewegt sich seit vielen Jahren in einem Korridor zwischen 20 und 25 Prozent. Uns geht es eigentlich nicht um Quoten. Wichtig ist, dass die Betriebe eine motivierte Fachkraft für ihr Aufgabenfeld finden, egal ob männlich oder weiblich. Die traditionellen Rollenbilder lösen sich langsam auf, aber natürlich gibt es noch immer geschlechterspezifische Trends in der individuellen Berufswahlentscheidung.
Letzte Frage: Warum sollten junge Leute heute einen Handwerksberuf ergreifen?
Wer kreativ, geschickt, engagiert und motiviert ist, dem stehen im Handwerk in mehr als 100 Berufen alle Türen offen. Lehrling - Geselle – Meister – Unternehmer, das ist keine seltene Berufskarriere. Bei aller technologischen Veränderung der Wirtschaft in den nächsten Jahren: Handwerker werden immer gebraucht – die Perspektiven sind also bestens.
(Die Fragen stellte Chris Heinemann)
Autor:Chris Heinemann aus Bretten |
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