Forscher Mezger: Fastnacht und Karneval rücken zusammen
Nach mehr als einem Jahrhundert der Abgrenzung besinnen sich Narren der schwäbisch-alemannischen Fastnacht und des Kölner Karnevals nach Einschätzung des Freiburger Brauchtumsforschers Werner Mezger erstmals wieder auf ihre gemeinsamen Wurzeln.
Freiburg (dpa/lsw - Jürgen Ruf) Nach mehr als einem Jahrhundert der Abgrenzung besinnen sich Narren der schwäbisch-alemannischen Fastnacht und des Kölner Karnevals nach Einschätzung des Freiburger Brauchtumsforschers Werner Mezger erstmals wieder auf ihre gemeinsamen Wurzeln. "Gerade von südwestdeutschen Narrenverbänden wurde die Distanz zum Karneval lange stark betont, teils mit schroff abweisenden Wertungen", sagte Mezger in Freiburg der Deutschen Presse-Agentur. Dies habe sich geändert. Grund dafür sei unter anderem, dass sowohl der rheinische Karneval als auch die schwäbisch-alemannische Fastnacht seit fünf Jahren immaterielles Kulturerbe der Unesco seien.
"Ganz neue gegenseitige Wertschätzung"
"Die Vertreter der schwäbisch-alemannischen Narren und die Funktionsträger der rheinischen Jecken nehmen einander heute in einer ganz neuen gegenseitigen Wertschätzung wahr und pflegen einen regen Austausch", sagte Mezger. Dies sei neu. "Es gab im Südwesten im 20. Jahrhundert immer wieder Ängste, die eigene Fasnet mit ihren altüberlieferten Formen könne durch karnevaleske Elemente verwässert werden." Diese Befürchtungen seien inzwischen Vergangenheit. Gerade durch die jüngere Forschung sei klar geworden, wie eng die Traditionen der Fastnacht und des Karnevals miteinander verbunden seien und wie viel man sich gegenseitig verdanke.
"Die Rheinländer retteten das fastnächtliche Treiben"
"Ohne den rheinischen Karneval, insbesondere ohne Köln, würde es die schwäbisch-alemannische Fasnet in ihrer heutigen Dynamik nicht mehr geben", sagte der Wissenschaftler: "Als die vielfach derb und zotig daher kommende Fastnacht alten Stils in der Epoche der Aufklärung für nicht mehr zeitgemäß gehalten wurde und unter starkem obrigkeitlichem Druck stand, als ab 1802 in ganz Deutschland neue politische Verhältnisse herrschten und als etwa Württemberg und Baden 1809 Totalverbote gegen jede Form der Straßenfastnacht verhängten, waren es die Rheinländer, die das fastnächtliche Treiben retteten."
Romantische Form des Karnevals
1823 habe in Köln erstmals ein romantisch veredelter Umzug stattgefunden, der als gesittetes Vergnügen dem Geist des gehobenen Bürgertums entsprach. Diese Kölner Reform habe innerhalb weniger Jahre weit über das Rheinland hinaus überall Schule gemacht. Seit den 1840er Jahren sei auch im gesamten deutschen Südwesten «Carneval» nach Kölner Vorbild gefeiert worden. Erst um die Wende zum 20. Jahrhundert sei man dann im schwäbisch-alemannischen Raum wieder zu den alten Fastnachtsformen zurückgekehrt, wie sie vor 1800 üblich gewesen waren. Im Rheinland hingegen habe man die von Köln entwickelte romantische Form des Karnevals beibehalten.
Sichtbare Zeichen des neuen Miteinanders von Narren und Jecken
Erst seit etwas mehr als 100 Jahren gebe es also an den Tagen vor Aschermittwoch zwei verschiedene Arten des Feierns. Beides seien aber «nur verschiedene Zweige auf ein und demselben Narrenbaum». Und beide hätten das gleiche Kernanliegen: Menschen für kurze Zeit ihren Alltag vergessen zu lassen und ihnen Freude und Fröhlichkeit zu bereiten. "Sichtbare Zeichen des neuen Miteinanders von Narren und Jecken sind nicht Vermischungen von Bräuchen", sagte Mezger. Es gebe vielmehr ein wachsendes Interesse an der gemeinsamen Geschichte und regelmäßigen Austausch auf wissenschaftlicher, organisatorischer und praktischer Ebene. Dies sei nicht auf die gemeinsame Vergangenheit fixiert, sondern verstehe sich als eine Art Schulterschluss für die Zukunft.
Immer rigidere Vorschriften
Großveranstaltungen wie Karneval und Fastnacht stünden durch immer rigidere behördliche Vorschriften, durch verschärfte Sicherheitsvorkehrungen, durch Kommerzialisierung und durch neue Gruppen vor erheblichen Herausforderungen, die man in gegenseitiger Abstimmung besser meistern könne. Zudem könne so Integration besser gelingen. Kein anderes Fest im Jahreslauf bringe Jahr für Jahr so viele Menschen auf die Beine, wie Fastnacht und Karneval.
Werner Mezger ist Professor für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Freiburg und Direktor des Freiburger Instituts für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa (IVDE).
Autor:Christian Schweizer aus Bretten |
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