2013 und 2015: Bretten und Gondelsheim unter Wasser

Auto auf Tauchfahrt: Der Kreisverkehr beim Kraichgau-Center stand 2015 ein weiteres Mal unter Wasser. | Foto: Tjaark Philipp Meyer
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  • Auto auf Tauchfahrt: Der Kreisverkehr beim Kraichgau-Center stand 2015 ein weiteres Mal unter Wasser.
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(ch) Die erschütternden Bilder und Berichte der vergangenen Tage aus dem hohenlohischen Braunsbach, aus Schwäbisch Gmünd und dem bayerischen Simbach haben wieder vor Augen geführt: Die Überschwemmungen von 2013 und 2015 in Bretten und Gondelsheim waren und sind kein Einzelfall.

Betrachtet man die Ereignisse vor dem Hintergrund der aktuellen Tragödien mit Todesopfern scheint Bretten noch glimpflich davon gekommen. Es gab zwar in der Summe enorme Sachschäden und in der Folge teils auch wirtschaftliche Nöte Einzelner, aber niemand ist an Leib und Leben zu Schaden gekommen. Was ist damals überhaupt geschehen? Dass nach der Überflutung vor einem Jahr teilweise auch harsche Kritik laut wurde, hat vermutlich auch damit zu tun, dass es Bretten im Abstand von nur zwei Jahren bereits zum zweiten Mal traf. Aber stimmt es, wenn im allgemeinen Sprachgebrauch beide Ereignisse als Hochwasser bezeichnet werden? Obwohl die sichtbaren Folgen auf den ersten Blick ähnlich waren, gab es doch unterschiedliche Ursachen.

Ursache 2013: tagelange Regenfälle in der Region

Als am 1. Juni 2013 bachnahe Bereiche der Brettener Kernstadt, der Stadtteile Rinklingen und Diedelsheim sowie im weiteren Verlauf auch von Gondelsheim unter Wasser gesetzt wurden, waren tagelange Regenfälle in der Region vorausgegangen. An den Oberläufen der Saalbachzubringer, der aus Richtung Maulbronn zufließenden Salzach, in die auch der aus Sprantal kommende Hungergraben mündet, und der aus Knittlingen nach Bretten einströmenden Weißach, hatte sich so viel Oberflächenwasser angesammelt, dass die Bäche bedrohlich anschwollen und ab ihrem Zusammenfluss in Bretten schließlich über die Ufer traten. Viele Privathaushalte, aber auch Firmen, Vereine und die Jugendmusikschule erlitten Wasserschäden ungekannten Ausmaßes. Die Gefahrenlage hatte sich in der gesamten Region allmählich aufgebaut, bis es zu den schweren Folgen für die bachabwärts liegenden Kommunen kam - ein klassisches Hochwasser.

Ursache 2015: stundenweiser lokal begrenzter Starkregen und Hagel

Anders die Lage am 6. Juni 2015: An jenem Samstagabend entlud sich über dem Brettener Stadtgebiet ein „sehr starker, für ungefähr 2 Stunden anhaltender Regen“, bei dem „weit mehr als 100 Liter pro Quadratmeter“ niedergingen, wie es im Bericht der Karlsruher Polizeidirektion am folgenden Tag hieß. Und weiter: „Zweimal hagelte es für jeweils ca. 15 Minuten mit einer Körnergröße zwischen 35 und 40 mm.“ Die Gewitterzelle habe sich komplett über Bretten ausgeregnet, „sie stand förmlich über der Stadt“, so der Polizeibericht. In einem ersten Bericht der Brettener Feuerwehr wird Kreisbrandmeister Thomas Hauck zitiert, der nach Rücksprache mit dem Deutschen Wetterdienst von einer „Höchstmasse an Regen“, einem sogenannten „Sturzregen“, sprach und hinzufügte: „Durch ungünstige meteorologische Gegebenheiten, wie sie nur ungefähr alle 30 Jahre vorkommen, kreiste das Unwetter über Bretten und zog nicht ab.“

Oberbürgermeister Martin Wolff stellte fest: „Diesmal kamen die Wassermassen ausschließlich direkt von oben.“ Und der damalige Feuerwehr-Stadtkommandant Philipp Pannier beschrieb die Herausforderung für die Einsatzkräfte: „Es gab keine Unwettervorhersage und keine Vorwarnzeit. Eine ganz andere Lage als 2013, in der wir unsere Erfahrungen von damals nur sehr eingeschränkt anwenden konnten.“ In seiner Antwort auf eine Anfrage des Wahlkreisabgeordneten Joachim Kößler klassifizierte das baden-württembergische Umweltministerium das Unwetter als lokal begrenztes „Extremereignis“ mit einer „statistischen Wiederkehrzeit von weit über 100 Jahren“. Sein plötzliches, unvorhergesehenes Auftreten, seine lokale Begrenztheit und seine extreme Intensität vor allem sind es, die das Unwetter und die darauf folgenden Überschwemmungen von 2015 vom klassischen Hochwasser 2013 unterscheiden.

Schwachstelle im Sicherheitskonzept offenbart

Für die Geschädigten, insbesondere diejenigen, die innerhalb zwei Jahren zum zweiten Mal in Mitleidenschaft gezogen wurden, spielten solche Unterscheidungen aus nachvollziehbaren Gründen zunächst eine untergeordnete Rolle. Eine erste Folge war laut Polizeibericht, dass „sämtliche Senken der Innenstadt mit Wasser und später auch mit Schlamm aus den umliegenden Äckern überschwemmt waren.“ Dabei offenbarte sich auch eine Schwachstelle im Brettener Sicherheitskonzept: Denn die nur durch – in dem Fall überschwemmte - Bahnunterführungen mögliche „Zufahrt zur Rechbergklinik Bretten war für ca. 3 Stunden nicht mehr möglich“, so die Polizei. Zahlreiche Fahrzeuge wurden durch Wassereintritt in den Motor oder Hageldellen stark beschädigt. Danach hatten Ausbeulspezialisten in Werkstätten noch wochenlang gut zu tun. Laut Schätzung der Brettener Feuerwehr liefen knapp 400 Keller voll. Erneut gehörten neben vielen Privathaushalten auch Firmen, Vereine und die Jugendmusikschule zu den Geschädigten. Das Kanalnetz war stellenweise überlastet, Wasserleitungen barsten, Straßen wölbten sich auf, Kanaldeckel wurden hochgedrückt.

Die geschätzten Schäden gingen in die Millionen

Auch dass „im Stadtteil Diedelsheim die Schwandorfstraße streckenweise bis zum Bahnübergang komplett unter Wasser“ stand, vermerkte das polizeiliche Protokoll. Das ganze Ausmaß wurde allerdings erst nach und nach sichtbar. In einer Wohnanlage Im Brettspiel zum Beispiel stand der Keller bis unter die Decke unter Wasser. Wie erst später berichtet wurde, kam die Bewohnerin einer tief gelegenen Einliegerwohnung anscheinend nur deshalb mit dem Leben davon, weil ihre Terrassentür durch die Wassermassen herausgedrückt wurde. Von der Hanglage des Brettener Wohngebiets Steiner Pfad zog eine mit Erde von den höher liegenden Äckern vermischte Schlammlawine eine Spur der Verwüstung durch Straßen, Vorgärten und Keller bis zum tiefer gelegenen Kraichgau-Center und darüber hinaus. Ähnlich im Stadtteil Gölshausen, wo eine von den Feldern kommende Flut Straßen und Keller überschwemmte. Laut Umweltministerium betrug der Schaden nach „ersten Schätzungen mehrere Millionen Euro“.

Auf die Flutwelle folgte eine Welle der Solidarität

Feuerwehren aus dem gesamten Landkreis Karlsruhe und dem benachbarten Enzkreis, dazu vier Ortsverbände des Technischen Hilfswerks (THW) und der Brettener DRK-Ortsverein, leisteten bis zur Erschöpfung Unterstützung bei den Aufräumarbeiten, pumpten private Keller ab, räumten den Schlamm von Straßen und Plätzen. Auch Mitglieder der Stadtverwaltung packten mit an. Die Stadt, allen voran Oberbürgermeister Martin Wolff, organisierte zum Beispiel die rasche Abholung des angefallenen Sperrmülls, setzte die beschädigte Infrastruktur instand und sammelte Spenden. Darüber hinaus hatte bereits der aufmerksame Verfasser des Polizeiberichts eine weitere wichtige Helfergruppe identifiziert: „viele „Solidargemeinschaften“, die untereinander halfen.“ Weil es wegen der Masse der gleichzeitig aufgetretenen Notfälle oft dauerte, bis Hilfskräfte eintrafen, griffen die Bürger spontan zu nachbarschaftlicher Selbsthilfe. Nachbarn halfen Nachbarn, private Gegenstände vor dem Wasser zu retten, Keller auszupumpen, Straßen, Vorgärten und Wohnungen zu reinigen. Am längere Zeit abgeschnittenen Steiner Pfad ebenso wie in Diedelsheim und Gölshausen entstand ein richtiges „Wir-Gefühl“, wie ein Teilnehmer bemerkte. Einzelne Klagen wie aus der betroffenen Wohnanlage Im Brettspiel können nicht über die insgesamt beeindruckende Leistung der vielen professionellen und ehrenamtlichen Helfer hinwegtäuschen. In Form von Spenden seitens Firmen, Vereinen, Organisationen und Einzelpersonen in teils erheblicher Größenordnung wurde auch Geschädigten ohne Versicherung noch Wochen und Monate nach der Überschwemmung die tatkräftige Solidarität ihrer mitfühlenden Mitbürger zuteil.

Auch Kritiker meldeten sich zu Wort

In den folgenden Wochen wurden jedoch auch kritische Fragen laut. Wären die Überflutungen vermeidbar gewesen? Warum dauerte die Umsetzung der nach 2013 beschlossenen Hochwasserschutzmaßnahmen so lange? Hätte die Jugendmusikschule vor einer erneuten Überschwemmung bewahrt werden können? Müsste man nicht das Kanalnetz den erhöhten Anforderungen anpassen? Und wie soll künftig die Erreichbarkeit der Rechbergklinik auch bei Überflutung der Unterführungen gesichert werden?

Fachleute warnen seit Jahren und empfehlen Selbstschutz

Bereits nach dem Hochwasser 2013 und verstärkt nach der Starkregen-Überflutung 2015 haben Fachleute vor einer möglichen Zunahme ähnlicher Ereignisse gewarnt. In Zukunft müsse – das hätten die Starkregen in heißen Sommern gezeigt - „jederzeit mit Hochwasserereignissen im Landkreis“ gerechnet werden, teilte Landrat Dr. Christoph Schnaudigel schon 2013 mit. Und 2015 warnte der Gondelsheimer Feuerwehr-Kommandant Wolfgang Heck: „So ein Naturereignis kann jederzeit wieder mal eintreten.“ Bei einem Vortrag in Gondelsheim Ende Mai 2016 ( KN-Link setzen ) erinnerte der Bruchsaler Historiker Thomas Adam an die besondere Gefährlichkeit der „harmlosen kleinen Bäche“: „Diese Hochwasser kommen alle Jahrhunderte mal vor, aber wenn sie vorkommen, wissen die Menschen nicht, was sie machen sollen.“ Das kann geändert werden, fand schon 2015 der Gondelsheimer Feuerwehr-Kommandant und empfahl den vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe herausgegebenen "Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notfallsituationen" samt Checkliste mit den Worten: „Das sollte sich jeder mal durchlesen.“ Wer sich nicht sicher ist, ob er in einer gefährdeten Region wohnt, kann auch die für ganz Baden-Württemberg verfügbaren interaktiven Hochwasserkarten des Landes im Internet zu Rate ziehen. Über die von plötzlichen Starkregen wie 2015 in Bretten ausgehenden Gefahren sagen diese Karten allerdings nur bedingt etwas aus.

Autor:

Chris Heinemann aus Bretten

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