Kremlkritiker Alexey Gresko in Bretten
„Putins Regime hat keine Ideologie“
Bretten (kuna) Bis vor wenigen Jahren war Alexey Gresko noch ein erfolgreicher Cafébetreiber in Jekaterinburg. Aus rein geschäftlichen Gründen vermietet er eines Tages sein Restaurant für eine Veranstaltung an Alexej Nawalny. Später wird er selbst zum Wahlkampfmanager des wohl bekanntesten russischen Oppositionellen. Gresko wird mehrmals verhaftet, bevor er nach Deutschland flieht. Jetzt lebt er in Freiburg und ist in der Solarbranche tätig. Doch sein politisches Engagement hat er nicht niedergelegt. Auf Einladung des Russischlehrerverbandes Baden-Württemberg sprach er am vergangenen Donnerstag am Edith-Stein-Gymnasium (ESG) in Bretten über den Widerstand der Zivilgesellschaft in Russland.
Fachtag der Russischlehrer in Bretten
Gresko spricht fließend Deutsch, nur selten entfällt ihm ein Wort. In der Aula des ESG sitzen vorwiegend Russischlehrer aus ganz Deutschland, die sich zu einem Fachtag in Bretten zusammengefunden haben. Der Kremlgegner bebildert ihnen in mehreren Videos seinen eigenen Widerstand gegen das russische Regime: Auf der Leinwand laufen Bilder von Verhaftungen und Aufrufe zur Teilnahme an Demonstrationen.
Zahlreiche Kundgebungen für Freilassung Nawalnys
Als Nawalny nach einem Giftanschlag 2021 wieder nach Russland reist, wird er direkt am Flughafen festgenommen. Eine Welle von Demonstrationen ergreift das Land. „Es war der Moment, an dem die Zivilgesellschaft aufgestanden ist“, sagt Gresko und berichtet von Kundgebungen für die Freilassung Nawalnys, die in über 300 Städten in ganz Russland stattgefunden hätten. Auch er habe damals zu einer Demonstration in Jekaterinburg aufgerufen, bei der 7.000 Menschen bei minus 30 Grad teilgenommen hätten. Wenig später sei das Netzwerk von Nawalny als extremistisch eingestuft worden. Ein Teil davon zu sein, gelte seitdem als Straftat.
Viermal in Russland festgenommen
Insgesamt viermal sei er in Russland im Gefängnis gewesen, sagt Gresko auf Nachfrage eines Zuhörers. Die Vorwürfe für seine Verhaftungen seien vorgeschoben, meint er. Schlecht behandelt habe man ihn aber nicht. Bei seiner Administrativhaft sei er in ein separates Gefängnis gekommen, in dem man sich zu sechst eine Zelle geteilt habe. In dieser Zeit habe er viel Schach gespielt und seine Englischgrammatik mit einem alten Lehrbuch aufgefrischt. Als er wieder entlassen wurde, habe sein Anwalt zu ihm gesagt: „Du haust sofort ab.“ Gresko flieht daraufhin mit seiner Familie nach Deutschland.
"Die Ideologie ist die Korruption"
„Putins Regime hat keine Ideologie, die Ideologie ist die Korruption“, sagt er nun zu seinen Zuhörern in Bretten. Dabei hält er nicht mit seiner Kritik am Westen zurück. Viele Politiker seien der Meinung, dass man mit Putin Kompromisse finden und so den Krieg in der Ukraine beenden könnte. Als Gegenbeweis führt der Nawalny-Anhänger das Budapester Memorandum an: 1994 hatte Russland die Souveränität der Ukraine garantiert, im Gegenzug musste das Land auf Atomwaffen verzichten.
"Müssen den Aggressor bestrafen"
Überhaupt habe der Westen Putin immer wieder gewähren lassen und dabei zugesehen, wie er Schritt für Schritt die Menschenrechte abgebaut habe. Die Sanktionen gegen Russland bezeichnet Gresko als wirkungslos, gar als lächerlich. Auch kritisiert er die zögerlichen Waffenlieferungen an die Ukraine. „Wir müssen eine rote Linie ziehen und den Aggressor bestrafen“, sagt er ganz klar.
"Die haben uns gehackt"
Auch die Wirkung der russischen Propaganda werde seiner Meinung nach unterschätzt. „Die haben uns gehackt – die Zivilgesellschaft gehackt“, so der Kremlkritiker. Freie Informationen gebe es in Russland nicht und selbst wenn man auf Kanäle wie Youtube zugreifen könne, werde einem am Ende immer nur das ausgespielt, was man hören will – die Nutzer bewegen sich in Filterblasen. Egal, ob Rentner oder Arbeiter, die Schlussfolgerung sei immer dieselbe: „Nur Putin kann dir helfen.“
80 Prozent der Russen unterstützen Putin?
Auch die Außenwelt sei nicht gefeit vor der Propaganda des Kreml. Gresko verweist auf eine Umfrage, die besagt, dass 80 Prozent der russischen Bevölkerung hinter Putin stehen würde. „Auch das ist Propaganda“, meint er. Nur ein Bruchteil der Russen würde sich überhaupt zur Politik äußern. „Man könne auch gleich die Frage stellen: 'Unterstützen Sie Putin oder wollen Sie ins Gefängnis?'“, erklärt er. Nur vier Prozent der Russen hätte sich an der Umfrage beteiligt – das seien dann die Personen, die sich vorwiegend pro Putin positionieren.
Dennoch habe die Umfrage eine gewaltige Macht. „Innerhalb von Russland zeigt sie: Du bist alleine, wenn du gegen Putin bist. Und an die Außenwelt gerichtet bedeutet es: Wollen Sie mit 80 Prozent von Russland kämpfen?“, verdeutlicht Gresko.
Bedrohung durch Nato-Osterweiterung?
Ein weiteres Narrativ, das ihn störe, sei die Bedrohung Russlands durch die Nato-Osterweiterung. Diesem Argument würde eine Ideologie des Kolonialismus zugrunde liegen, findet der Nawalny-Anhänger. „Das würde bedeuten, es gibt Machtzentren und die umliegenden Gebiete, Länder wie Polen, haben keine Souveränität“, meint er. Dass Putin mit dieser Einstellung „total gescheitert“ sei, würden auch der jüngste Nato-Beitritt von Finnland und die Bestrebungen zum Beitritt von Schweden beweisen.
"Es gibt keine Anti-Kriegs-Kandidaten"
Wie soll es also weitergehen mit Russland? Seine Prognosen für die Zukunft seien nur wenig hoffnungsvoll, gibt Gresko zu: "Mit jedem Tag habe ich weniger Optimismus." Von den anstehenden Präsidentschaftswahlen im März erwarte er nicht viel, zumal noch am selben Tag bekannt wurde, dass der Kriegsgegner Boris Nadeschdin nicht zur Kandidatur zugelassen wird. „Es ist alles nur ein Spektakel“, meint Gresko. Unabhängige Parteien gebe es in Russland ohnehin nicht. „Sie spielen nur eine Rolle und sagen Parolen, die gerne gehört werden, und am Ende stimmen sie im Parlament alle so ab, wie es der Kreml will.“ Auch ist Gresko sich sicher: „Es gibt keine Anti-Kriegs-Kandidaten.“
Demokratie ist mehr als nur das Wahlrecht
Sein Publikum ermutigt der Nawalny-Anhänger zugleich dazu, die eigenen demokratischen Rechte zu nutzen und die anstehende Europawahl im Juni wahrzunehmen. „Bleiben Sie nicht zuhause, sondern gehen Sie wählen“, fordert er seine Zuhörer auf. Zugleich erinnert er daran, dass Demokratie mehr sei als nur das Wahlrecht. „Dazu gehört auch die öffentliche Diskussion und die freie Presse“, so Gresko, der zugleich die aktuelle Protestwelle in Deutschland lobt, die sich dem Rechtsextremismus und Populismus entgegenstellen würde.
Für einen Freund im Gefängnis
Bevor es in die Diskussionsrunde geht, spielt Gresko noch das Lied „Das geht sein‘ sozialistischen Gang“ von Wolf Biermann ab und erklärt währenddessen: Biermann habe das Lied einem Freund gewidmet, der in der DDR im Gefängnis gesessen habe. „Es erinnert mich an Nawalny“, sagt Gresko mit einem Beben in der Stimme.
Wann findet der Krieg ein Ende?
Das Interesse des Publikums richtet sich im Anschluss an verschiedene Aspekte aus Greskos politischem Treiben und auch die Frage nach dem Ende des Krieges in der Ukraine und der Möglichkeit einer Post-Putin-Ära kommen dabei auf. „Es hängt auch von uns ab“, meint Gresko. „Alles endet, jedes Regime findet irgendwann ein Ende.“ Dennoch schaue er mit großem Unbehagen auf die Entwicklungen in seinem Heimatland. Der Hass werde bereits in den Schulen indoktriniert und auch die Kriegsverbrecher würden eines Tages in die Gesellschaft zurückkehren.
Generationenwechsel notwendig
„Russland hat schwere Zeiten vor sich. Die Heilung wird Jahrzehnte dauern“, prognostiziert Gresko. Er zieht auch einen Vergleich zu Deutschland in den 50er Jahren: In Befragungen hätten viele Deutsche gemeint, dass die Ideen des Nazi-Regimes durchaus gut gewesen seien, nur die Umsetzung nicht. Ähnlich wie in der deutschen Nachkriegszeit gelte es auch in Russland: „Nur mit einem Generationenwechsel wird es möglich sein, dass das ganze Gift irgendwann weg ist.“
Autor:Kathrin Kuna aus Bretten |
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