Starkregen-Frühalarmsystem im Brettener Gemeinderat vorgestellt: Binnen acht Wochen installierbar
Ein Firmenvertreter hat im Brettener Gemeinderat ein neuartiges Frühalarmsystem vorgestellt, das die an Leib und Leben drohenden Schäden durch Starkregen vermindern oder - im besten Fall - ganz vermeiden helfen soll. Die Stadträte waren überwiegemnd angetan, aber es gab auch Skepsis.
BRETTEN (ch) Niemand weiß, ob und wann der nächste Starkregen ganz Bretten oder Teile der Stadt unter Wasser setzt. Aber wenn er kommt, sollen die Brettener besser vorbereitet sein als 2015 und 2016 – das hat sich die Stadtverwaltung auf die Fahnen geschrieben und die Firma Spekter GmbH aus dem mittelfränkischen Herzogenaurach mit einer Projektstudie für ein Starkregen-Frühalarmsystem beauftragt. Die Ergebnisse präsentierte ein Spekter-Vertreter jetzt im Gemeinderat.
Kurze Vorlaufzeit „sinnvoll nutzbar“
Das System baut auf vorangegangenen Studien auf. 2016/17 hatte die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) unter anderem die Brettener Starkregen von 2015 und 2016 untersucht, worauf die Stadt 2017 das Heidelberger Ingenieurbüro geomer mit einer Gefährdungs- und Riskoanalyse beauftragt hatte. Die von geomer erarbeiteten Starkregenrisikokarten können nun als Grundlage für das vorgestellte Frühalarmsystem (fas) herangezogen werden. In seiner Präsentation gab der Spekter-Vertriebsbeauftragte Hans Junginger noch einmal einen Überblick über Entstehungsweise, zunehmende Häufigkeit und das enorme Schadenspotenzial von Starkregen. Anders als bei tagelangen Regenfällen, die allmählich zu Hochwasser führen, sei die Vorlaufzeit bei plötzlich und lokal begrenzt auftretenden Starkregen extrem kurz, stellte der Experte fest. Dennoch sei die bis zur akuten Gefahr verbleibende Frist sinnvoll nutzbar.
Vier Systemteile, vier Warnstufen
Nach den Worten des Diplomingenieurs besteht das von Spekter entwickelte Frühalarmsystem aus – grob gesagt – vier Bestandteilen: verschiedenen Sensoren, mehreren Basis-Stationen, einem Cloud-Service sowie einem kommunalen Kontrollzentrum. Da der Deutsche Wetterdienst die kleinräumig auftretenden Starkregen nicht genau genug vorhersagen kann, empfiehlt Spekter die Installation von Regensensoren zur Niederschlagsmessung an der Oberfläche, von Kanalsensoren im öffentlichen Rohrsystem, von Pegelsensoren an Wasserläufen und Gräben sowie von sogenannten Guardians, kleinen Feuchtigkeitsmeldern, zur Objektüberwachung. Die Sensoren und Guardians sind untereinander vernetzt und senden ihre Daten über Basis-Stationen an den Cloud-Service. Dieses Rechner-Netzwerk wertet die empfangenen Daten permanent aus und ordnet sie vier Warnstufen zu: von „Keine Gefahr“ über „Rückstaugefahr“ und „Überflutungsgefahr“ bis zur lebensbedrohlichen „Sturzflutgefahr“.
Alarmierung von Bürgern, Rettern und Technik
Die Warnstufen werden in Echtzeit an das kommunale Kontrollzentrum übertragen, worunter ein im Rathaus beziehungsweise auf der städtischen Homepage installiertes und somit öffentlich einsehbares Computerprogramm zu verstehen ist. Das kommunale Kontrollzentrum informiert einerseits über den jeweils aktuellen Gefährdungs- oder Nichtgefährdungsgrad, andererseits schlägt es bei wachsender Gefahr Alarm. Bürger können sich per E-Mail oder SMS auf ihr Handy persönlich warnen lassen, während autorisierte Rettungsdienste alarmiert und gegebenenfalls technische Vorkehrungen elektronisch aktiviert werden. Das System kann aber laut Junginger noch mehr. Es bezieht beispielsweise die Daten des bestehenden städtischen Kanalprozess-Leitsystems in seine Berechnungen ein und könnte auf Wunsch auch sogenannte Kanaldeckelwächter integrieren, die vor der bei Überschwemmungen unsichtbaren Gefahr offener Kanalschächte infolge hoch gespülter Kanaldeckel warnen.
In acht Wochen installierbar
Die zu überwachenden Stadtgebiete hat Spekter auf Grundlage der Starkregengefahrenkarten bereits festgelegt. Mess-Stationen könnten an Feuerwehrhäusern installiert werden, die Standorte der Pegelsensoren würden gerade mit dem für die Hochwasserschutzmaßnahmen zuständigen Ingenieurbüro Wald + Corbe abgestimmt, meinte der Fachmann. Er schlug außerdem vor, die Nachbarkommunen Knittlingen und Gondelsheim in das System einzubeziehen. Die Investitionskosten veranschlagte der Firmenvertreter auf knapp 110.000 Euro brutto, von denen die Kosten der Projektstudie bereits abgezogen sind. Die Betriebskosten des Frühalarmsystems einschließlich Wartung und Updates belaufen sich auf rund 11.500 Euro jährlich. Innerhalb acht Wochen ab einer möglichen Auftragsvergabe könne das „fas“ fertig installiert sein.
Städtische Bürgerinfo angemahnt
Der Gemeinderat nahm die Präsentation zur Kenntnis und nutzte die Gelegenheit zu einer Fragerunde. Aaron Treut (CDU) wollte wissen, inwiefern noch geplante bauliche Veränderungen berücksichtigt werden können. Das System sei modular und werde regelmäßig angepasst, beschied der Experte. Auch eine Beratung der Bevölkerung hinsichtlich privater Vorkehrungen gehöre dazu. Ohne eine städtische Bürgerinfo gehe es „leider nicht“, meinte Renate Knauss (SPD), denn: „Der Bürger muss bereit sein, mitzugehen.“ Ihrer Meinung, dass das System Sinn macht, schloss sich auch Heidemarie Leins (FWV) an. Den Bedenken von Jörg Biermann (aktive), das System könne bei Stromausfall versagen, trat Junginger entgegen. Das „fas“ sei autark, die Geräte arbeiteten notfalls im Akkubetrieb weiter und nutzten mehrere Sendewege, per Telefon, Funk oder Internet.
Lob und Skepsis von Stadträten
Otto Mansdörfer (Grüne) lobte, dass das System erstmals verschiedene Faktoren bündelt und so hilft, Schaden zu vermeiden. Auf seine Frage nach verdolten Bachläufen antwortete der Spekter-Vertreter, viele Pegel säßen genau an den Verdolungen und überprüften auch die Abflussmöglichkeit. Das System sei „in ganz Deutschland einmalig“, er habe „nichts Vergleichbares gefunden“, warf Oberbürgermeister Martin Wolff ein. Dagegen meinte Hermann Fülberth (Linke), ihm nutze es „relativ wenig“, wenn er gerade in Karlsruhe sitze. Außerdem vermisste er mehr Vorbeugung gegen den Klimawandel durch die Kommune, etwa bei der Flurbereinigung. Sibille Elskamp (aktive) vermisste Rinklingen auf der Überwachungskarte. „Stimmt“, pflichtete Bürgermeister Michael Nöltner bei und sprach sich für die Einbeziehung des Stadtteils aus. Elskamps Frage, ob ältere Leute bei Gefahr auch angerufen werden können, beantwortete der Experte so: Das System sei zwar nicht ans Smartphone gebunden, aber die ständige Beobachtung der Lage funktioniere nur per Smartphone.
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Autor:Chris Heinemann aus Bretten |
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