„Nicht, wer lauter schreit, gewinnt“
Lehrer-Eltern-Projekt am MGB schult Jugendliche im Reden

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Bretten/Knittlingen (ger) „Reden lernt man nur durch Reden“, wusste schon Cicero. Mit der Kunst der Rhetorik machten sich die Neuntklässlerinnen und Neuntklässler des Melanchthon-Gymnasiums Bretten (MGB) in der stimmungsvollen Umgebung des Faust-Museums vertraut. Immer je zwei Klassen lernten bei einem Workshop mit Mitarbeitern des Museums, sachkundigen Eltern, einem Coach und Lehrern auf spielerische Art und Weise die Kraft des Wortes kennen. Der Workshop ist ein erster Schritt hin zu einem Debattierklub am MGB, wie er im englischsprachigen Raum an Schulen gang und gäbe ist.

Pandemie und Digitalisierung haben negative Auswirkungen auf kommunikative Fähigkeiten

Die Idee war Ulas Incedal, Lehrer für Gemeinschaftskunde, Geschichte, Wirtschaft und evangelische Religion, im Gespräch mit der Elternvertreterin Tanja Göhner gekommen. Beide haben beobachtet, dass die Pandemie, aber auch die fortschreitende Digitalisierung sich negativ auf die kommunikativen Fähigkeiten der jungen Menschen ausgewirkt haben. „Sich ausdrücken und seine Argumente vertreten können, ist nicht nur in der Schule, sondern auch im Berufsleben sehr wichtig“, weiß Göhner, die eine Einkaufsabteilung in einem Versandunternehmen leitet, aus eigener Erfahrung. Göhner holte Denise Roth, die Leiterin des Faust-Museums, und Angelika Steinbeck, die als Life- und Business-Coach tätig ist, mit ins Boot. Incedal gewann Daniel Coscia, dessen Kinder ebenfalls das MGB besuchen, als Theaterpädagogen hinzu und freute sich, dass aus der Idee ein bereicherndes „Lehrer-Eltern-Projekt“ geworden ist, hinter dem auch die Schulleitung und das Kollegium zu hundert Prozent stehe.

Rhetorische Kniffe durchschauen

Bei der gemeinsamen Konzeptentwicklung war, erzählte Denise Roth, schnell klar, dass Humor eine zentrale Rolle spielen müsse. „Durch Sprache möchte man etwas bewegen. Man kann mit ihr beruhigen oder aufstacheln, aber am schönsten ist es, wenn man eine gute Stimmung verbreitet und andere zum Lachen bringt“, erläuterte sie. „Die Jugendlichen sollen lernen, Argumente auszutauschen, mit Emotionen, aber ohne Eskalation“, beschrieb Incedal den Ansatz. „Nicht, wer lauter schreit, gewinnt, sondern wer die besseren Argumente besser rüberbringt.“ Es gehe auch darum, rhetorische Kniffe zu durchschauen und zu lernen, wie man sich sachlich gegen sie wehren kann. „Zum Beispiel wenn jemand ständig das Thema wechselt, kann man freundlich darauf beharren, dass er bei dem begonnenen Thema bleibe.“ Gerade in der heutigen Zeit, in der Fake News und rhetorische Manipulationen als Kriegstaktik und Waffe gegen die Demokratie eingesetzt würden, seien diese Fähigkeiten äußerst wichtig.

Gebrauchsanweisung im Stile eines Fußballkommentators

So durften sich die Schüler rhetorisch in unterschiedlichen Workshops erproben. Daniel Coscia half den Schülern, in die richtige Haltung zu finden, wenn sie einen Text aus einem Comic, ein bürokratisches oder technisches Schreiben auf ungewöhnliche Art rezitieren sollten, zum Beispiel Passagen aus einer Gebrauchsanweisung im Stile eines Fußballkommentators. Ähnlich war der Ansatz bei „Pop & Poesie“, wo ein Songtext in einem anderen Stil wiedergegeben werden sollte, eine gefühlvolle Ballade zum Beispiel als Gangsterrap. Eine Gruppe, die sich für das „Gefühlsroulette“ entschieden hatte, probte gerade mit vielen Emotionen eine Szene um einen Dönerladen: Sie hatten sich den Satz „Mein Erbgroßonkel ist gestorben“ ausgesucht und dazu Gefühle gelost wie aggressiv oder romantisch. Aus dieser Grundkonstellation entwickelten sie einen szenischen Dialog, abrupte Gefühlswechsel eingeschlossen.

"Es hilft, aus dem Raum Schule herauszukommen"

Geradezu perfekt für den Workshop war die Umgebung des Faust-Museums. In den Räumlichkeiten des Museums, aber auch rundherum an der Kirche oder der Alten Kelter fanden die Gruppen ein inspirierendes Ambiente, in dem sie agieren konnten. „Aus dem Raum Schule herauszukommen, hilft sehr. Die Jugendlichen sind freier“, merkte Incedal an. Das passte gut zu dem Ziel, den Jugendlichen mit dem Workshop die Scheu vor dem freien Sprechen zu nehmen. Im nächsten Schuljahr, wenn die Jugendlichen in der zehnten Klasse sind, soll dann noch ein Kurs stattfinden, in dem ihnen der theoretische Unterbau zur Rhetorik vermittelt wird. Und die Schule möchte dann auch beim Wettbewerb „Jugend debattiert“ mitmachen.

Autor:

Katrin Gerweck aus Bretten

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