Wie geht’s weiter mit den Stolpersteinen?
Geschichtslehrer im Ruhestand hinterfragt Kriterien in Bretten
Bretten (ger) Manfred Hiller aus Bretten setzt sich für die Verlegung weiterer Stolpersteine in Bretten ein. Nach Bruchsaler Vorbild möchte der Geschichtslehrer im Ruhestand, der an der Balthasar-Neumann-Schule II in Bruchsal unterrichtet hat, gerne eine Initiative auf breiterer Basis dafür ins Leben rufen, mit kommunaler Beteiligung, wie es zum Beispiel in Bruchsal geregelt ist. Dort gibt es seit 2014 eine „Koordinationsgruppe Stolpersteine“, bestehend aus Vertretern der Stadtverwaltung, der – inzwischen nicht mehr beteiligten – Bürgerstiftung und der Friedensinitiative Bruchsal. Inhaltliche Arbeit leistet im Wesentlichen eine Projektgruppe von Achtklässlern des Justus-Knecht-Gymnasiums unter der Leitung des Geschichtslehrers Florian Jung, unterstützt vom Initiator der Bruchsaler Stolpersteinverlegungen Rolf Schmitt. Seit Dezember 2023 existiert der Verein „Stolpersteine Bruchsal“, der die Aktivitäten der bisherigen Koordinationsgruppe weiter betreibt und bei dem jeder Mitglied werden kann, dem das Thema am Herzen liegt.
MGB initiierte Solpersteinverlegungen in Bretten
Die in Bretten verlegten Stolpersteine, die an die Opfer der NS-Zeit erinnern, gehen auf eine Initiative des Melanchthon-Gymnasiums Bretten (MGB) zurück. Oberstufenschüler hatten unter der Federführung ihrer Geschichtslehrer Dirk Lundberg und Volker Adam vor fast 20 Jahren damit begonnen, sich mit den Schicksalen der Menschen aus Bretten zu beschäftigen, die den unvorstellbaren Gräueltaten der Nationalsozialisten ausgesetzt waren. 2009 wurden die ersten Stolpersteine in Bretten verlegt, bis ins Jahr 2020 wuchs ihre Zahl auf 34 an. Heidi Leins, ehemalige Stadträtin und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, erforscht schon seit Jahren die Geschichte der Brettener Juden und unterstützt das Projekt der Geschichtskurse.
"Neues Narrativ zu Deportationen"
Der 82-jährige Hiller recherchiert, seitdem er nicht mehr unterrichtet, über die NS-Zeit, vor allem den Holocaust und die Täter SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann und Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß. Zuletzt untersuchte er die Hintergründe der Deportation jüdischer Mitbürger am 22. Oktober 1940. Im letzten Jahrbuch des Vereins für Stadt- und Regionalgeschichte der Melanchthonstadt, das unter dem Titel „Brettener Spuren“ anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Brettener Heimat- und Geschichtsvereine im Jahr 2022 erschienen ist, legte er einen Artikel mit, wie er sagt, „einem neuen Narrativ zu den Deportationen“ vor. An diesem Datum waren über 6.500 Menschen aus Baden, der Pfalz und dem Saarland gegen ihren Willen abgeholt und schließlich nach Gurs in Südfrankreich verschleppt worden, 18 von ihnen stammten aus Bretten.
Schule und Verwaltung involviert
Diese Beschäftigung brachte Hiller auf die Brettener Stolpersteine. Er versuchte herauszufinden, nach welchen Kriterien bisher Steine vergeben worden waren und wer sich konkret für die Verlegung neuer Steine in Bretten verantwortlich fühlt. Eindeutige Antworten habe er nicht finden können. Natalia Lakman, seit 2020 Geschichtslehrerin am MGB, hat sich zusammen mit zwei Kolleginnen des Themas angenommen, als ihr Mentor Dirk Lundberg die Schule verlassen hatte. Sie sagt, es hätten immer alle Beteiligten miteinander an einem Strick gezogen: Lundberg hatte das pädagogische Konzept erstellt, die Schüler hatten im Archiv recherchiert, dem Oberbürgermeister und auch auf Gemeinderatssitzungen sei das Projekt vorgestellt worden und Heidi Leins habe die Projektgruppe immer nach Kräften mit ihrer Expertise unterstützt. In den letzten Jahren hätten die MGB-Schüler weiter am 9. November die Gedenkaktion an den Stolpersteinen fortgesetzt. Außerdem habe man beschädigte Steine in der Weißhofer Straße ersetzt und am 26. Januar werde der Stein von Mina Schabinger an der Schillstraße 12 ausgetauscht, nachdem neue Erkenntnisse zu ihrem Schicksal ans Licht gelangt seien. MGB-Schüler werden anlässlich der Neuverlegung ab 11 Uhr die Leidensgeschichte von Mina Schabinger nacherzählen.
Sollen Überlebende einen Stein bekommen?
„Die Arbeit von Frau Leins kann man nicht genug würdigen“, gesteht Hiller zu. Seine Versuche, sich mit Heidi Leins über Forschungsergebnisse auszutauschen, seien aber im Sande verlaufen. Seiner Ansicht nach gibt es keine Auflistung der Brettener Stolpersteine, die auf dem aktuellen Stand ist. Das würde er gerne ändern. Auch liegt ihm daran, die Kriterien neu festzulegen, nach denen entschieden wird, wer einen Stolperstein bekommen soll. Mit drei Ausnahmen hätten nur Menschen, die das Nazi-Regime nicht überlebt hätten, einen Stolperstein bekommen. Nicht nur in Bruchsal, sondern auch in anderen Städten sei es aber inzwischen Praxis, auch derjenigen zu gedenken, die zwar mit dem Leben davongekommen waren, aber dennoch unter den Nazis gelitten hatten.
Viele Euthanasieopfer noch ohne Gedenkstein
Heidi Leins erläutert, dass sie die Praxis der Karlsruher Stolperstein-Initiative für sinnvoll erachte, die für Überlebende keine Steine vorsehe. In Bretten seien nun alle Steine für die jüdischen Opfer verlegt, aber es gebe noch zahlreiche weitere Opfer, etwa der Euthanasie, an die man erinnern könne. Hillers Forschungsergebnisse sehe sie mit Unbehagen, da sie die NS-Zeit in Teilen relativieren würden. Auch habe sie ihm angeboten, er könne sich einbringen, indem er sich um die Finanzierung von Steinen kümmert. Darauf eingegangen sei er nicht.
Autor:Katrin Gerweck aus Bretten |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.