„Den Opfern einen Namen geben“
Schüler erinnern seit 20 Jahren an die Opfer der NS-Zeit

Schüler des Melanchthon-Gymnasiums Bretten erinnerten am Vorabend zum 9. November an die Opfer des NS-Regimes in Bretten.  | Foto: ger
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Bretten (ger) „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen wird“, zitierte der Brettener Oberbürgermeister Nico Morast anlässlich der Mahnwache am Vorabend des 9. November den Künstler Gunter Demnig. Demnig ist der Erfinder der Stolpersteine, die an die Opfer des Nazi-Regimes erinnern. 34 Stolpersteine liegen auch in Bretten. Seit 20 Jahren engagieren sich Schüler und Lehrkräfte des Melanchthon-Gymnasiums Bretten mithilfe des Stadtarchivs und der früheren Stadträtin Heidi Leins gegen das Vergessen.

"Danke, dass ihr den Opfern einen Namen gebt"

Anlässlich des runden Jubiläums fand der Auftakt zu der Mahnwache im Melanchthonhaus statt. Musikalisch umrahmt von Abiturient Hendrik Zitterbart an der Posaune und Musiklehrer Till Drömann am Piano, sprachen OB Morast und Schulleiterin Elke Bender zu dem gut besetzten Saal. „Danke, dass ihr den Opfern einen Namen gebt“, adressierte Morast als Schirmherr der Aktion an die Schülerinnen und Schüler. „Menschen sind verfolgt, deportiert und ermordet worden – auch in Bretten“, sagte er. Und gerade in den aktuellen Zeiten sei es wichtig, sich seiner Verantwortung bewusst zu sein und „eine Gesellschaft zu schaffen, in der solche Verbrechen nie mehr geschehen – auch in Bretten.“

"Hemmschwellen scheinen zu sinken"

Schulleiterin Bender äußerte sich besorgt darüber, dass es eine Tendenz in der Gesellschaft zur Banalisierung der Massenmorde gebe. „Die Hemmschwellen scheinen zu sinken“, konstatierte sie. Durch die neuen Medien kämen auch die Schülerinnen und Schüler zunehmend in Kontakt mit rechten Parolen. Dem müsse man begegnen, indem man „laut und kräftig auf unsere Werte, auf Demokratie und Freiheit hinweist“. Mit der Teilnahme an der Mahnwache sprächen sich die Schülerinnen und Schüler deutlich gegen rechtsradikales Gedankengut aus.

Ausdrücklich dankte Bender auch Sandra Fichtner, die sich als Fachschaftsleiterin zusammen mit den anderen Lehrkräften für Geschichte jedes Jahr wieder dafür einsetze, dass der erste Artikel des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ Gehör finde.

Schüler von der neunten bis zur zwölften Klasse beteiligt

Nach dem offiziellen Teil schwärmten Schülerinnen und Schüler aus, um Kerzen an den Stolpersteinen zu entzünden und weiße Rosen abzulegen. Außerdem verweilten sie an den Steinen und erzählten interessierten Passanten von den Schicksalen hinter den Steinen (siehe dazu auch die gleichnamigen Serie der Brettener Woche, auf kraichgau.news noch abrufbar). Geschichtslehrerin Simone Mayer erzählte, dass nicht nur die Elftklässler ihres Geschichts-Leistungskurses am Start waren, sondern Schülerinnen und Schüler von der neunten bis zur Abschlussklasse J2. Einige Tage zuvor hatten sie die Stolpersteine geputzt.

Wilhelm Holl lebte am Engelsberg

Tin und Aurelia aus der neunten Klasse gaben einen kurzen Abriss über das Leben von Wilhelm Holl, der in Bretten am Engelsberg neben dem Pfeiferturm gelebt hatte. 1884 geboren, war er wegen seiner Behinderung 1929 in die Kreispflegeanstalt Hub bei Ottersweier gekommen. Am 9. Februar 1940 war er in die Tötungsanstalt Grafeneck bei Gomadingen verlegt und dort ermordet worden.

Beispielloser Massenmord

Der Zehntklässler Lukas erinnerte in der Pfarrgasse an Karl Kottner und Wilhelmine Weick, die wie Holl auch so genannte „Euthanasie“-Opfer waren. Lukas stellte auch die unmenschlichen, grausamen ideologischen Hintergründe des NS-Regimes vor: Hitler hatte 1939 den Befehl zur Tötung „unwerten“ Lebens gegeben. Es folgte ein beispielloser Massenmord an Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen – die „Aktion T4“, benannt nach der Organisationszentrale in der Tiergartenstraße 4 in Berlin. Die Nationalsozialisten verschleierten die Morde mit dem Begriff „Euthanasie“, was „Gnadentod“ bedeutet.

Wilhelmine Weick und Karl Kottner waren Nachbarn in der Pfarrgasse

Wilhelmine Weick, geborene Haber, wurde am 18. Januar 1895 in Bohlsbach bei Offenburg geboren. Sie heiratete in Bretten Johann Josef Weick. Auch sie wurde wegen einer Behinderung in die Pflegeanstalt Hub gebracht. Im März 1941 wurde sie nach Fussbach verlegt, schließlich in die Pflegeanstalt Wiesloch. Ein Angehöriger fragte am 16. Mai 1941 an, wohin sie wiederum verlegt worden war. Vier Tage später wurde Wilhelmine Weick in der Tötungsanstalt Hadamar in Mittelhessen ermordet. Am 24. Mai fragte ihr Verwandter nochmals nach und bat darum, sie besuchen zu dürfen.
Karl Kottner, der am 15. Oktober 1871 in Karlsruhe geboren wurde, lebte mit seiner Familie in der Pfarrgasse in Bretten. Am 5. September 1929 wurde er in die Heil- und Pflegeanstalt Ilenau in Achern gebracht. Wann und wo Karl Kottner starb oder ermordet wurde, geht aus den Akten nicht hervor.

Autor:

Katrin Gerweck aus Bretten

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