Wie erleben Pfarrer in Bretten und Gondelsheim die Corona-Krise?
Seelsorge auf Abstand

Die Pfarrer Stefan Kammerer (links) und Wolfgang Streicher (rechts hinter dem Altar) beim ersten Gottesdienst nach der Corona-Pause in Neibsheim.
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  • Die Pfarrer Stefan Kammerer (links) und Wolfgang Streicher (rechts hinter dem Altar) beim ersten Gottesdienst nach der Corona-Pause in Neibsheim.
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Gondelsheim/Bretten-Neibsheim (ger) Am Sonntag, 10. Mai, fanden in der Region wieder die ersten Gottesdienste statt. In Gondelsheim und Neibsheim machten Stefan Kammerer, evangelischer Gemeindepfarrer, und Wolfgang Streicher, katholischer Pfarrer der Kirchengemeinde Bretten-Walzbachtal Abteilung Land, mit ökumenischen Gottesdiensten den Auftakt. „Das war unser erste Gedanke, dass wir ökumenisch starten“, betont Streicher, der die Atmosphäre vor dem ersten Gottesdienst ziemlich spannend fand, da man nicht wusste, wie es werden würde. „Es war dann schön, wenn auch ein bisschen geisterhaft, die Menschen in großen Abständen und mit Mundschutz in der Kirche sitzen zu sehen“, beschreibt es Kammerer.

Sozialen Kontakte werden vermisst

Was Kammerer vor allem vermisse in dieser Zeit, seien die sozialen Kontakte. „Ohne Schule, Kindergarten und Gottesdienste kommt man viel weniger unter Menschen.“ Streicher hat wie sein protestantischer Kollege auch die Erfahrung gemacht, dass sich die Menschen nicht in größerer Zahl als sonst an die Seelsorger wenden. „Allerdings kamen einzelne sehr ausführliche Mails von Menschen, die man gar nicht persönlich kennt.“ Aufgrund der Situation habe er jetzt die Zeit gehabt, sich darauf ganz einzulassen.

Zahl der Beerdigungen gestiegen

Angestiegen sei die Zahl der Beerdigungen, was auch mit den traurigen Vorfällen im Pflegeheim Haus Schönblick in Neibsheim zu tun hat, das von der Covid-19-Pandemie so hart getroffen worden ist. Kammerer berichtet, dass er zum jetzigen Zeitpunkt in diesem Jahr schon so viele Beerdigungen gehabt habe wie in einem „gewöhnlichen“ Jahr erst im November.

Trauergespräche am Telefon

Ungewohnt sind für beide Seelsorger die telefonischen Trauergespräche. Da man am Telefon nur zuhören kann, sei Kammerer jedoch aufgefallen, „dass so ein Gespräch eigentlich sehr konzentriert und damit auch intensiv ist.“ Streicher bedauert, dass der Ton anfangs oft so geschäftlich sei durch die Vorschriften, die besprochen werden müssen: „Es braucht Zeit, um dann den Bogen zum pastoralen Sprechen zu finden.“ Die Beerdigungen unter den Corona-Bestimmungen – nur draußen, im kleinen Kreis – empfindet Kammerer als weniger formal. „Es sind individuellere Gestaltungsformen möglich und das liegt mir.“ Für Streicher fehlt bei Begräbnissen ganz klar die körperliche Nähe: „Es ist eine ganz merkwürdige Stimmung, auch mit der reduzierten Angehörigenzahl. Ich hatte eine Beerdigung, bei der nur drei Personen einer Familie anwesend waren.“

„Ich musste irgendetwas tun“

Auch bei den Gottesdiensten, die jetzt unter Vorgaben zum Infektionsschutz wieder stattfinden dürfen, ist man in Kammerers Augen nicht mehr so an traditionelle Formen gebunden. Streicher muss sich an die Form der gestrafften Gottesdienste – sie sollen nicht länger als eine halbe Stunde dauern – erst gewöhnen und vermisst auch den Gemeindegesang. „Ganz klar habe ich in den letzten Wochen festgestellt, dass die Kirche heutzutage nicht mehr unbedingt systemrelevant ist“, resümiert Kammerer. „Man muss selbst aktiv werden, um im Gespräch zu bleiben.“ Streicher hat am Tag zwei des Lockdowns zum Smartphone gegriffen und eine kommentierte Betrachtung der Büchiger Kirchenfenster aufgenommen. „Ich musste irgendetwas tun.“

"Die Kirche ist ja keine Firma mit Marketingfachleuten"

War das noch ganz spontan, waren die Filme, die er in der Karwoche zu jedem einzelnen der wichtigen Feiertage für die Kindergarten- und Kommunionkinder aufgenommen hat, schon konzertierter. „Ich habe festgestellt, dass ich sehr offen für so etwas bin.“ Über den Dekanatsreferenten ließ er die Beiträge ins Internet hochladen. „Natürlich hat die Kirche auch ein digitales Defizit, wie die Schulen oder andere Bereiche, was man jetzt in der Krise feststellt.“ In dem Zusammenhang findet er es wichtig, den Auftritt der Kirche nach außen kritisch zu hinterfragen, „auch im Hinblick auf Missbrauch und Finanzen.“ Ob die Kreativität und die Suche nach neuen Wegen der Kommunikation auch eine Chance für die Kirche sei, weiß er noch nicht abzusehen. „Die Kirche ist ja keine Firma mit Marketingfachleuten.“
Kammerer überlässt das Digitale lieber anderen, „die das besser können.“ Um Kontakt mit der Gemeinde zu halten, hatte er für alle Gemeindemitglieder über 70 Jahre in der gottesdienstfreien Zeit Faltblätter mit einem herzlichen Gruß und einem Impulstext sowie zum Zeitvertreib einem Rätsel erstellt, die er persönlich ausgetragen hat. „Jetzt weiß ich, wo jeder wohnt, und hatte auch Gelegenheit, da viele bei dem schönen Wetter im Garten saßen, ein kleines Schwätzchen zu halten.“

Autor:

Katrin Gerweck aus Bretten

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