Achtjähriger Paul aus Knittlingen: Schwerbehindert nach Ärztefehler?
Die Familie des achtjährigen Paul wirft dem Städtischen Klinikum Karlsruhe schwere Behandlungsfehler vor.
Knittlingen (hk) Paul ist acht Jahre alt. Für seine Großmutter, Elena Schaich-Röhler aus Knittlingen, ist er immer noch das „Paulchen“. Fast 100 Kilometer trennen die Großmutter und ihren Enkelsohn, denn Paul wohnt in Baiersbronn im Landkreis Freudenstadt. Dort ist er im Haus Luftikus, dem „Zuhause für beatmete Kinder und Jugendliche“ untergebracht. Der Achtjährige soll laut seiner Familie aufgrund der Verkettung mehrerer Behandlungsfehler schwere Behinderungen erlitten haben. Eine permanente und lebenslange Beatmung zähle dabei zu den Folgeschäden. Außerdem kann Paul, der vor drei Jahren zudem seine Mutter verloren hat, heute weder laufen noch sprechen.
„Loch im Herzen“ bleibt nach der Geburt offen
Am zweiten Weihnachtsfeiertag 2009 musste Paul mit nur 524 Gramm auf die Welt geholt werden, da er durch die Plazenta nicht ausreichend versorgt wurde, erzählt Schaich-Röhler. Während sich kurz nach der Geburt die Gefäßverbindung zwischen Haupt- und Lungenschlagader normalerweise von selbst verschließt, blieb das „Loch im Herzen“, so die Großmutter, bei Paul auch nach der Geburt offen. Als Paul noch nicht einmal einen Monat alt war, wurde bei ihm daher im Städtischen Klinikum Karlsruhe eine Operation durchgeführt, die ihn retten sollte. „Nach erfolgloser medikamentöser Behandlung wurde am 2. Januar 2010 und am 15. Januar 2010 jeweils operiert, mit dem Ziel, den Ductus arteriosus zu schließen“, erklärt das Städtische Klinikum, vertreten durch die Rechtsanwältin und Leiterin der Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Saskia Heilmann gegenüber der Brettener Woche.
„Operationen unter Extrembedingungen im Millimeterbereich“
Laut Schaich-Röhler begingen die Ärzte dabei einen Fehler, der fatale Folgen für ihren Enkel hatte. Nicht der Ductus arteriosus, sondern die linke Lungenaorta wurde zugenäht – bei beiden Operationen. Das Klinikum bestätigt gegenüber der Brettener Woche zwar das Vorgehen, betont aber, dass es sich dabei „um Operationen unter Extrembedingungen im Millimeterbereich“ handele. Aufgrund eben dieser Umstände sei die „Ligatur an einem benachbarten Gefäß, nämlich der linken Pulmonararterie“ erfolgt. Den Aussagen von Schaich-Röhler zufolge wurde der Fehler dann in einer Freiburger Klinik offenbar behoben.
An dieser Stelle könnte man meinen, das Schicksal hätte sich für Paul zum Besseren gewendet. Im Mai 2010 erlitt Paul jedoch einen Darmverschluss, der operativ behandelt werden musste. Im Zuge dessen wurde Paul von Freiburg zurück nach Karlsruhe in das Städtische Klinikum verlegt. „Mehrere Tage nach der Operation wegen eines Darmverschlusses, erfolgte auf der Intensivstation eine Reanimation“, schildert Heilmann, die für Paul lebensgefährliche Situation. Allerdings stelle dies einen „Verlauf dar, wie er bei einem so kranken Frühgeborenen immer wieder vorkommen kann“, erklärt sie. Schaich-Röhler dagegen ist der Meinung, dass die Reanimation auf eine Überbeatmung und somit einen erneuten Fehlgriff der Karlsruher Ärzte zurückzuführen ist. So soll infolge des hohen Drucks Pauls rechter Lungenflügel gerissen sein. Das Reanimationsprotokoll bleibt nach Aussage der Großmutter bis heute verschwunden. „Wie kann das sein?“, will Schaich-Röhler wissen. Heilmann verweist lediglich auf die Dokumente des Patienten: „Die entsprechenden Eintragungen finden sich in der Patientenakte.“
„Ein Fehler, jedoch ein verständlicher Fehler”
Auf ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens einer halben Million Euro hatte Vater Ben Meyer die behandelnden Ärzte des Städtischen Klinikums Karlsruhe verklagt. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat die Klage allerdings mit der Begründung abgewiesen, dass es nicht nachgewiesen werden könne, dass die vom „Sachverständigen festgestellten (einfachen) Behandlungsfehler kausal für die schwere Schädigung des Klägers geworden seien.“ Dass der behandelnde Arzt sich letztlich für das falsche Gefäß entschieden habe, sei „ein Fehler, jedoch ein verständlicher Fehler, der den besonderen Schwierigkeiten der Operationen“ geschuldet sei. Dem „Kläger“ Paul wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000 Euro zugesprochen, da ihm bei fachgerechter Operation am 2. Januar die Revisionsoperationen in Karlsruhe und Freiburg erspart geblieben wären. Das Oberlandesgericht hat zudem entschieden, dass der Kläger die Prozesskosten der Beklagten in Höhe von 29.772,50 Euro tragen müsse. „Das ist das endgültige Urteil. Da wir nur zu einem kleinen Teil den Prozess gewonnen haben, müssen wir die Kosten tragen“, sagt Schaich-Röhler.
„Aus juristischer Sicht keine Zweifel“
Das Urteil trifft Schaich-Röhler in mehrfacher Hinsicht hart. Neben körperlichen und psychischen Belastungen kämpfe die Familie nun auch mit finanziellen Sorgen. Und: Die Wunden, die der plötzliche Tod ihrer Tochter und Pauls Mutter, Lisa Meyer, hinterlassen haben, sind noch lange nicht verheilt. Einspruch gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss zu erheben, sei der Familie vom Amtsgericht Maulbronn nicht empfohlen worden. Der Einspruch würde nochmal Kosten von rund 3.500 Euro verursachen. Das Klinikum sieht sich hinsichtlich des getroffenen Urteils im Recht: „Es bestehen aus juristischer Sicht keine Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidungen, die auf verschiedenen Sachverständigengutachten beruhen“, so Heilmann.
Wie es mit Paul weitergeht, erfahren Sie auf Hilfe für Paulchen.
Autor:Havva Keskin aus Bretten |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.