Polen – Entdeckungsreise auf den Spuren der europäischen Geschichte, Teil 8: Oświęcim / Ausschwitz 1
Zeitreise zur vormaligen Hölle auf Erden

Weltweites Symbol der Unmenschlichkeit: Vor dem Tor zum sogenannten Stammlager des Konzentrationslagers Ausschwitz machen Besucher Fotos des zynischen Wahlspruchs "Arbeit macht frei". | Foto: ch
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  • Weltweites Symbol der Unmenschlichkeit: Vor dem Tor zum sogenannten Stammlager des Konzentrationslagers Ausschwitz machen Besucher Fotos des zynischen Wahlspruchs "Arbeit macht frei".
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Dienstag, 24. Juli: Ausschwitz – Symbol für Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Wer als Deutscher eine Rundreise durch Polen unternimmt, kann Ausschwitz guten Gewissens nicht auslassen. Der Name Ausschwitz ist weltweit zum Symbol für eines der ungeheuerlichsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit geworden, das je begangen worden ist. Von den rund sechs Millionen jüdischer Menschen, die die deutschen Nationalsozialisten in ganz Europa ermordeten, starben von 1940 bis 1945 allein im Konzentrations- und Vernichtungslager Ausschwitz durch industriell organisierten Massenmord mehr als eine Million. Um das ungeheuerliche Ausmaß ihres Völkermords zu verschleiern, hatten die Nazis ihre Vernichtungslager meist außerhalb Deutschlands im damals besetzten Polen errichtet. Das größte Vernichtungslager war Auschwitz-Birkenau, einer von drei Teilen des Lagers Ausschwitz. Weil es aber immer wieder vorkommt, dass Leute all das abstreiten oder zu verharmlosen versuchen, ist es richtig, wenn man sich vor Ort ein eigenes Bild macht. Und wir nutzten die Gelegenheit, indem wir das als staatliches Museum und internationale Gedenkstätte erhaltene ehemalige KZ Ausschwitz von vorneherein als eine Station auf unserer Rückreise einplanten.

Gediegene Herberge und Plattenbauten

Ausschwitz, auf Polnisch Oświęcim, ist eine heute rund 38.000 Einwohner zählende Stadt in Südpolen, rund 50 Kilometer westlich von Krakau. Wir kamen am frühen Abend aus Olsztyn im Hotel an. Ein kleines Hotel, das den gediegenen Charme einer komfortablen Mittelklasse-Herberge im Stil der nordamerikanischen Neuenglandstaaten verströmte. Bis zur Dämmerung unternahmen wir noch einen Spaziergang durch die gegenüber liegende Plattenbausiedlung und ließen den Tag in einer Straßenwirtschaft gegenüber einer monumentalen Betonkirche ausklingen.

Mittwoch, 25. Juli: Duschen in Ausschwitz

Beim morgendlichen Duschen im Hotel überkam mich ein mulmiges Gefühl. Ich musste daran denken, dass genau bei dieser Stadt noch vor ein paar Jahrzehnten unschuldige Menschen zu Hunderttausenden in als Duschräume getarnten Gaskammern ermordet wurden. Massenweise hatten die deutschen SS-Lagerwachen und ihre Helfer dort jüdische Menschen unter dem Vorwand, sie müssten sich zuerst ausziehen, um zu duschen, in „Duschräume“ gesperrt, wo dann aus den Brauseköpfen statt des erwarteten Wassers das tödliche Gas Zyklon B strömte. Es ist dieses Bild von wehrlosen, entkleideten Frauen, Kindern und alten Menschen, die unter dem Giftgas zusammenbrechen, das mich in meiner Jugend zutiefst erschüttert und seitdem nicht mehr losgelassen hat. Welche Todesängste müssen diese Menschen durchlitten haben, als sie die Täuschung bemerkten? Welche Horrorszenen müssen sich in den Gaskammern abgespielt haben, ehe sich Todesstille ausbreitete? Was für eine Gefühlskälte muss die Täter beherrscht haben, dass sie anderen Menschen nicht nur einmal, sondern wieder und wieder solche Gräuel antun konnten?
Und welch ein Glück für uns Heutige, dass wir duschen können, ohne Angst haben zu müssen, dass aus dem Duschkopf tödliches Gas strömt! Ich dachte daran, dass womöglich just im gleichen Hotel, womöglich im gleichen Hotelzimmer Überlebende oder ihre Nachfahren die furchtbaren Schrecken noch einmal im Geiste, in der Erinnerung durchlebt haben, bevor sie wie wir den Ort des Grauens besuchten. Ich weiß nicht, ob ich vor diesem Hintergrund über unseren Besuch auch nur annähernd angemessen berichten kann. Ich muss es versuchen.

Schlange stehen in der Frühe

Wer das ehemalige Stammlager des KZ Ausschwitz, auch KZ Ausschwitz I genannt, besuchen will, muss früh aufstehen. Wegen seiner weltweiten Bekanntheit ist Ausschwitz auch mehr als 70 Jahre nach der Befreiung vom Nazi-Terror immer noch ein stark nachgefragtes Reiseziel. Wenn man nicht online vorgebucht hat, muss man sich vor allem in der Hauptreisezeit beeilen, rechtzeitig eine Eintrittskarte für eine der vormittäglichen Führungen zu ergattern. Schon um 6.40 Uhr morgens standen wir in einer kleinen Schlange vor der noch geschlossenen Kasse. Als die Kasse dann um 7.30 Uhr öffnete, dauerte es noch einmal 20 Minuten, bis wir unsere Tickets in der Tasche hatten. Aber nur, weil inzwischen noch eine zweite Kasse aufgemacht hatte. Zur Verzögerung trägt bei, dass viele Leute nicht selbst anstehen, sondern jemand vorschicken, der für die ganze Gruppe die Eintrittskarten besorgt, Verständigungsschwierigkeiten inbegriffen. Inzwischen waren Dutzende Reisebusse vorgefahren und hatten die Warteschlage enorm anschwellen lassen. Wir dagegen konnten mit unseren Tickets noch einmal ins Hotel zurückkehren, um in Ruhe zu frühstücken, da unsere Führung erst um 10 Uhr begann.

Stammlager Ausschwitz - Die Banalität des Bösen

Für jemanden, der nichts oder nicht viel vom nationalsozialistischen Völkermord weiß, könnte das weitläufige KZ-Gelände heute auf den ersten Blick beinahe unspektakulär, fast langweilig wirken. Es braucht die lebhaften Erläuterungen der professionellen Museumsführer, um eine Ahnung davon zu bekommen, was sich in den heute leeren, von Stacheldraht und Elektrozäunen begrenzten Barackengassen einst für Dramen abgespielt haben. Diese Aufgabe erfüllte in deutscher Sprache und mit großem Ernst Adrian, den ich so nenne, weil ich vergessen habe, ihn nach seinem wahren Namen zu fragen. Sein Markenzeichen waren eine Plastiktüte mit mehreren Wasserflaschen und ein beizeiten aufgespannter Regenschirm. Rund drei Stunden lang führte er uns durch das bekannte KZ-Tor mit der zynischen Aufschrift „Arbeit macht frei“ in die mit Erläuterungstafeln, Dokumenten-Vitrinen und anderen Zeugnissen der damaligen Geschehnisse ausgestatteten Häftlingsunterkünfte, ins KZ-Gefängnis mit den Zellen, in denen die Bewacher Häftlinge im Stehen verhungern ließen, folterten, erhängten oder vor einer Mauer erschossen.

Was von den Opfern übrig blieb

Es ging vorbei an Fotowänden, auf denen die Ankunft von Massentransporten jüdischer Menschen in Viehwaggons, ihre Misshandlung und ihre anschließende Ermordung in den Gaskammern anhand von Fotos, Modellen und Bergen leerer Giftgasdosen dokumentiert sind. Durch Räume, in denen die den geschlagenen und gedemütigten Menschen geraubten Habseligkeiten – darunter Berge von Schuhen, Körben, Brillen und abrasierten Menschenhaaren – ausgestellt sind. In das in einem ehemaligen Bunker rekonstruierte zeitweilige Krematorium, in dem die Leichen der Ermordeten beseitigt wurden. Dabei erfuhren wir: Die nach Ausschwitz deportierten Häftlinge starben nicht nur durch sadistische Quälereien oder willkürliche Bestrafungen, sondern zum Beispiel auch durch gezielte körperliche Überforderung bei Zwangsarbeiten, durch nicht behandelte Krankheiten, medizinische Experimente, seelischen Terror oder Unterernährung. Und es wurden neben der überwältigenden Mehrheit jüdischer Glaubensangehöriger auch zu Zigtausenden christliche Polen, orthodoxe russische Kriegsgefangene, Sinti und Roma, Homosexuelle, politische Gefangene, Zeugen Jehovas und andere Minderheiten umgebracht.
Chris Heinemann

Alle Fotos: ch

Den neunten Teil des Reiseberichts Polen unter dem Titel „Oświęcim/Ausschwitz 2 – Das unvorstellbare Grauen“ lesen Sie nächste Woche an dieser Stelle.

Die vorangegangenen Teile und weitere Berichte von anderen Reisenden aus der Region lesen Sie auf unserer Themenseite: Reiseberichte

Autor:

Chris Heinemann aus Region

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