Bruchsaler Klinikdirektor erwartet nach Bundestagsentscheidung keine Zunahme der Spendebereitschaft
2019 nur drei Organspender an den Landkreiskliniken
BRUCHSAL/BRETTEN (ch) Die teilweise von emotionalen Debatten begleitete Bundestagsentscheidung Ende letzter Woche über den künftigen Weg zu einer spürbaren Erhöhung der auch im internationalen Vergleich geringen Anzahl von Organspenden in Deutschland hat viele Menschen bewegt. Auch in der Region hat sie mancherorts zu kontroversen Diskussionen geführt. Vor diesem Hintergrund könnte sich ein Blick auf die medizinische Praxis vor Ort lohnen: Denn auch in den Kliniken des Landkreises Karlsruhe (KLK), landläufig als Rechbergklinik Bretten und Fürst-Stirum-Klinik Bruchsal bekannt, werden hin und wieder gespendete Organe entnommen.
Nachweislicher Hirntod als Voraussetzung
„Alle Kliniken der Akutversorgung in Deutschland, in denen Patienten mit möglichem Hirntod auftreten können, sind verpflichtet, am Transplantationswesen teilzunehmen“, klärt Professor Dr. med. Martin Schuster auf. Der Ärztliche Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie an den KLK, erklärt den Begriff Hirntod als „vollständigen und unumkehrbaren Hirnfunktionsausfall“ oder anders ausgedrückt: „Keine Zelle im Gehirn funktioniert mehr.“ Allerdings seien die KLK mit lediglich drei Organspendern im letzten Jahr keine typischen Kliniken für die Organentnahme, schränkt der Anästhesist ein. „In den großen neurochirurgischen Kliniken wie dem Städtischen Klinikum Karlsruhe oder an den Universitätskliniken kommt dies viel häufiger vor.“
Eingeflogene Spezialisten
Auch entnehmen die Chirurgen in Bruchsal und Bretten nicht selbst die gespendeten Organe. „Das machen eingeflogene Spezialisten aus den meist an Unikliniken angesiedelten Transplantationszentren“, erläutert Professor Schuster. „Zu uns kommen oft die Heidelberger.“ Aber auch Transplantationsteams der Unikliniken Tübingen, Freiburg, manchmal Mainz oder sogar Hannover seien schon in Bruchsal gewesen. „Das Einbauen“ geschieht laut Schuster nur an diesen auf Transplantationen spezialisierten Kliniken. Je nach angemeldetem Bedarf würden auch mehrere Organe entnommen, um sie den an verschiedenen Orten darauf wartenden Patienten wiedereinzusetzen. „Ein Spender kann im Idealfall vier anderen Patienten das Leben retten“, sagt der Arzt.
Überforderte Angehörige
Das Problem aus seiner Sicht: „Zu viele Patienten sterben mit Hirntod, stellen aber ihre Organe nicht zur Verfügung.“ Meistens besäßen die Patienten keinen Organspendeausweis, und ihre Angehörigen widersprächen einer Organentnahme „auf Verdacht“. Dabei hat der Professor durchaus Verständnis für die schwierige Situation der Angehörigen: „Sie stehen in der Regel unter Schock und haben sich noch nie mit dem Thema auseinandergesetzt.“ Denn häufig handele es sich um jüngere Patienten. In solchen Situationen, glaubt der Professor, „hätte die gescheiterte Widerspruchslösung die Gespräche mit den Angehörigen für uns deutlich erleichtert.“
„Zustimmungslösung verbessert nichts“
Dass die vom Bundestag nun beschlossene Zustimmungslösung die Situation noch erschwert, glaubt Schuster zwar nicht. „Aber sie verbessert auch nichts.“ In dieser Hinsicht ist er pessimistisch: „Die beschlossenen Informationsangebote führen nicht dazu, dass sich mehr Menschen damit auseinandersetzen.“ Dabei sei die von manchen geäußerte Angst vor einer ärztlichen Fehldiagnose am sterbenden Körper „komplett unbegründet“: „Die Hirntod-Diagnostik ist sehr professionell und komplex, die Kriterien sind so hochgelegt, dass es keinen Zweifel mehr geben kann, dass der betreffende Patient stirbt – mit oder ohne Therapie.“
Zwei Transplantationsbeauftragte
Auch in den Kliniken habe sich auf organisatorischer Seite viel verbessert. Frühere Defizite bei der Erkennung von für eine Organentnahme infrage kommenden Hirntod-Patienten habe der Gesetzgeber schon vor einigen Jahren behoben. So gibt es an den KLK zwei Oberärzte, die als Transplantationsbeauftragte speziell für die Erkennung von möglichen Organspende-Patienten und den Umgang mit deren Angehörigen geschult sind. Ein Wermutstropfen aus Sicht des Klinikdirektors: Die Finanzierung durch die Krankenkassen hinke immer etwas hinterher. Und was das durch den sogenannten Organspendeskandal in der Vergangenheit bei Teilen der Bevölkerung verloren gegangene Vertrauen angeht, gibt er sich zuversichtlich, verweist aber an die mit Transplantationen befassten Unikliniken. Die seien in dem Fall der bessere Ansprechpartner.
Appell an Solidarität
Was also müsste sich noch ändern, damit mehr Menschen ihre Einwilligung zu einer Organspende geben? Dazu hat Professor Schuster eine klare Meinung: „Ich glaube, die Menschen müssten sich überlegen, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielen und welchen Beitrag sie zu einer funktionierenden Gesundheitsversorgung leisten können und sollten.“ Leider erwarteten viele von anderen etwas, was sie selbst nicht bereit seien, zu geben. Was seine eigene Person angeht, will sich der Mediziner dem Verdacht mangelnder Solidarität jedenfalls nicht aussetzen: „Ich habe einen Organspender-Ausweis.“
Lesen Sie im Folgenden auch unsere Pro- und Contra-Kommentare zur Gerichtsentscheidung des Bundestags gegen die sogenannte Widerspruchslösung:
Chris Heinemann, Redakteur der Brettener Woche/kraichgau.news:
Richtige Entscheidung
Pro: Die Würde des Menschen ist unantastbar, so steht es – nach den erschütternden Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft - nicht ohne Grund im deutschen Grundgesetz. Dieser höchste Verfassungsgrundsatz kann nicht nur für Lebende gelten, auch Sterbende und Tote haben Anspruch auf Würde und somit körperliche Unversehrtheit. Deshalb haben die Abgeordneten richtig entschieden, als sie mehrheitlich die sogenannte Widerspruchslösung für Organspenden ablehnten und eine Organentnahme weiter an eine ausdrückliche Zustimmung geknüpft sehen wollten. Dafür hätte ich mir eine noch deutlichere Mehrheit gewünscht. Dass der Staat oder irgendjemand über Organe eines Sterbenden verfügt, nur weil der- oder diejenige es zu Lebzeiten versäumt hat, sich für oder gegen eine Organspende zu äußern, geht gar nicht. Der menschliche Körper ist kein Ersatzteillager, aus dem man eben mal die „Pumpe“ oder den „Filter“ entnimmt, um sie jemand anders einzubauen. Damit wir uns richtig verstehen: Das Leid und die Not derjenigen, die auf ein Spenderorgan angewiesen sind, verdienen mehr Anstrengungen für freiwillige Organspenden. Aber das Selbstbestimmungsrecht der potenziellen Spender darf dabei nicht unter die Räder kommen.
Christian Schweizer, Redaktionsleiter der Brettener Woche/kraichgau.news:
Eine vertane Chance
Contra: In Deutschland warten über 9.500 Menschen auf ein Spenderorgan. Mit der Ablehnung der Widerspruchslösung durch den Bundestag wurde eine große Chance vertan, einigen dieser Menschen zu einem neuen Leben zu verhelfen. Dabei wäre die Lösung kein zu gravierender Eingriff in die Grundrechte gewesen, wie Kritiker behaupten. Denn der Beschluss hätte niemanden dazu verpflichtet, seine Organe zu spenden. Er hätte aber mit Sicherheit dazu geführt, dass sich die Menschen mit dem Thema „Tod und Organspende“ intensiver beschäftigen. Laut Studien stehen 80 Prozent der Menschen in Deutschland einer Organspende positiv gegenüber. Von diesen hat aber nur ein Drittel einen Organspendeausweis. Einen großen Teil der schweigenden, aber der Spende gegenüber aufgeschlossenen, Mehrheit hätte man durch die Widerspruchslösung gewinnen können. Zudem wären auch die Angehörigen entlastet worden. Denn liegt keine klare Regelung zur Organspende vor, so sind sie es, die oft noch im Krankenhaus eine Entscheidung über eine Spende treffen müssen. Diese Ausnahmesituation sollte man weder ihnen noch den Ärzten zumuten. Dass die Menschen laut dem abgeschwächten neuen Gesetz, nun besser über die Organspende informiert werden sollen, ist ein kleiner Fortschritt. Er wird die schweigende Mehrheit kaum erreichen.
Autor:Chris Heinemann aus Bretten |
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