Serie: "Die Schicksale hinter den Steinen"
Folge 5: Familie Schmulewitz - vertrieben und ermordet
Bretten (kn) In Bretten liegen 34 Gedenksteine an Opfer der NS-Zeit, die vor deren ehemaligen Wohnhäusern verlegt wurden. Der Künstler Gunter Demnig hat die so genannten Stolpersteine in den 1990er Jahren ins Leben gerufen. Nicht nur in Deutschland, auch in anderen europäischen Ländern wurden seither über 75.000 Stolpersteine verlegt. Oberstufen-Schülerinnen des Melanchthon-Gymnasiums Bretten (MGB) haben mit Unterstützung von Heidemarie Leins die Schicksale der Menschen aufgeschrieben, die in Bretten von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. Sie erscheinen in loser Reihenfolge in der Brettener Woche.
Das Schicksal der Familie Schmulewitz
Die Zwillinge Siegmund und Salomea Schmulewitz wurden am 17. September 1888 im polnischen Sosnovice geboren. Vermutlich kam die Familie Ende 1906 nach Konstanz. Dort lernte Siegmund Lina Helbarth, die am 15. Mai 1891 in Warschau geboren worden war, kennen. Die beiden heirateten in der Synagoge von Hohenems/Vorarlberg am 9. Juli 1914. Das Ehepaar zog bald darauf nach Singen am Hohentwiel, wo Sohn Adolf Jakob am 16. Mai 1915 geboren wurde. Der Schuhmacher Siegmund Schmulewitz, ein recht umtriebiger Mensch, suchte wohl für sich und seine Familie ein Weiterkommen. Am 11. Dezember 1917 ist er dann zum ersten Mal in Bretten, als er im Hotel Krone übernachtet. Er beschließt, die Melanchthonstadt zum neuen Zuhause der Familie zu machen.
Schuhfabrik in Weißhofer Straße 96 eröffnet
Ab 1918 ist die Familie dann in Bretten unter verschiedenen Adressen ansässig, bis sie in der Weißhofer Straße 96 eine kleine Schuhfabrik eröffnet. Das Schuhhaus Schmulewitz in der Pforzheimer Straße 11 wurde deshalb aufgegeben. Am 15. November 1918 wuchs die Familie durch die Geburt der Tochter Meta und am 19. Dezember 1923 durch die Geburt von Tochter Anna weiter. Beide Töchter besuchten die Realschule, Vorläuferin des heutigen Melanchthon-Gymnasiums Bretten. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde das Leben für die Familie sehr schwierig, denn unter anderem zeigte der Boykottaufruf für jüdische Waren und Geschäfte seine Wirkung. Dazu kam, dass die Mitglieder der Familie polnische Staatsbürger waren.
Behördliche Schikanen
So reiste Siegmund Schmulewitz drei Tage nach Kriegsbeginn 1939 nach München. Dabei hatte er seine Tochter Anna, die im jüdischen Kinderheim Antonienheim eine Haushaltslehre beginnen sollte. Der Reise vorangegangen waren vergebliche Bemühungen um eine Aufenthaltsgenehmigung, denn die Familie war mal polnisch, mal staatenlos, je nach Beurteilung der verschiedenen Behörden. Ihre Pässe lagen schon längere Zeit beim polnischen Konsulat in München. Lena Schmulewitz war deshalb schon zweimal in München gewesen und nun fuhr Siegmund, denn die Familie war im Juli 1939 vom Landratsamt aufgefordert worden, das Reichsgebiet zu verlassen. Ohne Pässe war eine Auswanderung zum schon im Exil lebenden Sohn nach Argentinien aber nicht möglich.
Dreimal täglich zur Meldung aufs Rathaus
Siegmund Schmulewitz starb schließlich in München, wo er mehrfach inhaftiert wurde, am 29. Dezember 1939 und ist auch dort begraben. Und die Familie in Bretten? Der Vater von Lina, Chil Ignatz Helbarth, kam am 3. Februar 1940 aus Konstanz nach Bretten. Drei Wochen lang mussten Mutter und Tochter damals dreimal täglich zur Meldung aufs Rathaus. Nachts durften sie längere Zeit nicht in ihrem Haus schlafen. Eine behördliche Schikane, die bis zum 21. Oktober 1940 dauerte. Zusammen mit dem Großvater wurden Lina und Tochter Meta dann am 22. Oktober 1940 mit anderen Brettener Juden nach Gurs/Südfrankreich deportiert. Großvater Helbarth wurde im Lager Gurs krank und kam ins Krankenhaus nach Pau. Dort starb er und wurde in einem Massengrab beigesetzt. Die ersten Gaskammern in Auschwitz wurden 1942 fertiggestellt und der grausame Massenmord der Nationalsozialisten fortgeführt. Mutter Lina und Tochter Meta kamen am 8. August 1942 ins Sammellager Drancy bei Paris. Vier Tage danach standen sie auf der Liste des Convoi 18, der nach Auschwitz fuhr. Nach der Ankunft im dortigen KZ wurden sie sofort ermordet.
Unmenschliche Arbeit im Zwangsarbeitslager
Tochter Anna, die aus dem Antonienheim geholt wurde, kam in das NS-Zwangsarbeitslager Flachsröste bei Unterschleißheim und musste dort eine fast unmenschliche Arbeit verrichten. Sie arbeitete zusammen mit der Brettenerin Anna Sigall aus der Pforzheimer Straße, die an der Arbeit mit 15 Jahren zerbrach und starb. Anna Schmulewitz wurde dann mit dem ersten Transport am 20. November 1941 von München nach Kaunas in Litauen deportiert. Mit dabei war auch Tante Ryfka, die Schwester der Mutter. Alle in Kaunas ankommenden 999 Personen wurden an den Rand von ausgehobenen Gräben gestellt und sofort erschossen. Der 1936 nach Argentinien ausgewanderte Sohn Adolf Jakob ist der einzige Überlebende der Familie. Zehn nahe Verwandte von ihm wurden ermordet.
Text: Melina Krauß / Heidemarie Leins
Die weiteren Folgen der Serie finden Sie auf unserer Themenseite "Schicksale hinter Stolpersteinen".
Autor:Katrin Gerweck aus Bretten |
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