Mehr Rechte und klar geregelte Kontrolle in der Corona-Krise
Gemeinderat Bretten erweitert Zuständigkeiten des OB

Ein hoffentlich seltenes Bild: Der Gemeinderat Bretten in der Corona-Formation. ger
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Bretten (swiz) Außergewöhnlich war die Sitzung des Gemeinderats Bretten am gestrigen Dienstag in zweifacher Hinsicht. Zum einen ließen die Stadträte einstimmig eine deutliche aber temporäre Erweiterung der Zuständigkeiten des Oberbürgermeisters in die städtische Hauptsatzung schreiben, um die Handlungsfähigkeit der Verwaltung auch in der Corona-Krise aufrechtzuerhalten. Zum anderen waren es die Begleitumstände, die diese Sitzung zu einem bisherigen Unikat machten. So konnte man im Foyer gegenüber zwei mit Mundschutz versehenen Polizistinnen eine freiwillige schriftliche Auskunft zu Name und Adresse geben und sich zudem von Stadträtin und Apothekerin Ariane Maaß Fieber messen lassen. Zudem war der große Ratssaal um den kleinen Saal erweitert worden, sodass sämtliche Volksvertreter an einem eigenen Tisch saßen. Sicherheit zuerst in diesen schwierigen Zeiten, so das Signal der Stadtverwaltung.

"Erhebliche Ausfälle von Gewerbesteuer"

Bevor es in medias res ging, betonte OB Martin Wolff noch einmal die heftigen Auswirkungen, die die Corona-Pandemie schon jetzt auf die Melanchthonstadt hat. So gebe es im Pflegeheim Neibsheim derzeit schon zwei Todesfälle durch das neuartige Virus (wir berichteten). Und auch die wirtschaftliche Lage in Bretten sei schwierig. "Wir müssen mit erheblichen Ausfällen von Gewerbesteuer rechnen", so Wolff. Er habe daher alle Ämter angewiesen, ihre jeweiligen Posten im Haushalt 2020 auf mögliche Einsparpotenziale abzuklopfen.

Gemeinderatssitzungen in der Krise nur schwer zu gewährleisten

Eine weitere Maßnahme in dieser Krise ist eben die temporäre Erweiterung der Befugnisse des Oberbürgermeisters. Aufgrund der dynamischen Entwicklung sei die Durchführbarkeit von Gemeinderatssitzungen für die Zukunft nur schwer zu gewährleisten, so Wolff. Um aber die Handlungsfähigkeit der Verwaltung zu garantieren und den Herausforderungen der Corona-Krise gerecht zu werden, brauche es die Erweiterung der Zuständigkeiten des OB, mit der im Umkehrschluss auch Zuständigkeiten des Gemeinderats an das Stadtoberhaupt übertragen werden. Festgeschrieben werden diese Befugnisse in der Hauptsatzung. Befristet werden soll die Kompetenz-Erweiterung auf den 30. September.

Antrag der FWV zur "rechtssicheren Gestaltung"

Ganz allein kann Wolff die über seine bisherigen Befugnisse hinausgehenden Entscheidungen aber nicht treffen. In einer Selbstverpflichtung hatte der OB schon im Vorhinein angekündigt, bei diesen speziellen Entscheidungen zuvor eine Umlaufabfrage bei allen Gemeinderäten vorzunehmen. Zementiert wurde diese Selbstverpflichtung durch einen einstimmig angenommenen Antrag der Freien Wähler Vereinigung (FWV), durch den das vorherige Abstimmungsverfahren in elektronischer oder schriftlicher Form nun ebenfalls in der Hauptsatzung festgeschrieben wird. Die FWV unterstütze das Ansinnen, wolle die Regelung aber so rechtssicher gestalten, dass eine Umgehung des Willens des Gemeinderats ausgeschlossen sei, hieß es in der Erklärung zum Antrag.

"Wir leben zum Glück in einer Demokratie und nicht in Ungarn"

Die Selbstverpflichtung des Stadtoberhaupts zu einer Umlaufabfrage, lobte Martin Knecht (CDU) in seiner Stellungnahme. Dies sei "eine Entscheidung im Sinne des demokratischen Handelns". Natürlich setze eine solche Entscheidung, in der man Rechte abgebe, auch Vertrauen voraus. Dies könne man in den OB aber selbstverständlich haben, so CDU-Mann Knecht, bevor er hinzufügte: "Wir leben zum Glück in einer Demokratie und nicht in Ungarn." Aus diesen Gründen stimme die CDU dem Antrag mehrheitlich zu.

"Gemeinderat darf jetzt nicht abtauchen"

Zustimmung kam auch von den Grünen. Dabei betonte Stadtrat Otto Mansdörfer: "Das heißt aber nicht, dass der Gemeinderat nun monatelang auf Tauchstation gehen darf. Wir sind die Vertreter der Bürger." Daher solle der Rat schon im Mai wieder zusammenkommen und wenn möglich, die normale Arbeit aufnehmen. Auf der Kommandobrücke des Brettener Verwaltungsschiffs solle schließlich "die ganze Crew und nicht nur der Kapitän zu sehen sein", sagte Mansdörfer. Auch der SPD-Teil der "Crew" in Gestalt von Stadtrat Edgar Schlotterbeck sieht die Erweiterung der Zuständigkeiten des OB als notwendig an und nutzte die Sitzung auch, um "allen zu danken, die sich derzeit in der Krise für uns engagieren". Zustimmung zur Kompetenzausdehnung, aber auch Mahnung zur Vorsicht kam von Aufbruch-Stadtrat Hermann Fülberth. Das Gremium solle sich im Klaren darüber sein, dass bei einem schriftlichen Umlaufverfahren eine ablehnende Stimme einen Antrag zunichtemachen und eine Präsenz-Sitzung des Rates erforderlich machen könne.

Größere finanzielle Spielräume für OB

Es folgte die einstimmige Annahme des Antrags. Doch welche Rechte besitzt das Brettener Stadtoberhaupt nun? Im Wesentlichen erweitern sich durch die temporäre Änderung der Hauptsatzung vor allem die finanziellen Spielräume des Oberbürgermeisters. So darf er nun die Bewirtschaftung von Mitteln des Haushaltsplans einschließlich der Vergabe von Aufträgen bis zu einem Betrag von 500.000 Euro (zuvor 75.000 Euro) vornehmen. Zudem darf er außerplanmäßige Aufwendungen und Auszahlungen des Ergebnis- und Finanzhaushalts von bis zu 100.000 Euro (zuvor 20.000 Euro) auf den Weg bringen. Dazu kann er über die Ausführung eines Bauvorhabens bei Gesamtbaukosten von höchstens 500.000 Euro (zuvor 75.000 Euro) entscheiden. Ingesamt umfassen die temporär geänderten Zuständigkeiten 20 Punkte.

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Ariane Maß bot freiwilliges Fiebermessen vor der Gemeinderatssitzung an. | Foto: ger
Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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