Scheidende Fraktionsvorsitzende im Brettener Gemeinderat wegen "vorsätzlichem Bankrott" verurteilt
"Unwissenheit schützt nicht vor Strafe"
BRETTEN (ch) Als die Reporter auftauchen, scheint Renate Knauss noch ein wenig tiefer in sich zusammenzusinken. Ihre Körperhaltung lässt das Ausmaß der Scham erahnen darüber, dass sie an diesen Ort, ins Brettener Amtsgericht, kommen musste. Nur wenige Wochen später wären vielleicht gar keine Reporter mehr erschienen, aber bis zu ihrer bevorstehenden Verabschiedung aus dem Amt gilt die Noch-Fraktionsvorsitzende der Brettener SPD-Gemeinderatsfraktion als Persönlichkeit des öffentlichen Interesses. Die selbstbewusste Frau, die viele Jahre lang völlig legal an vorderster Stelle und, wenn es sein musste, kämpferisch für die Interessen sozial Schwacher und Benachteiligter eintrat, ist selbst zu einem Fall für die Justiz und obendrein für soziale Hilfe geworden. Mit gesenktem Kopf und nur noch ein Schatten ihrer selbst wartet sie am Dienstagmittag in Begleitung ihres Lebensgefährten vor dem Sitzungssaal auf ihre Verhandlung. Wie konnte es soweit kommen?
Vorsätzlichen Bankrott vorgeworfen
Den Vorwurf bringt Staatsanwalt Danny Lau in nüchternem Juristendeutsch auf den Punkt: Die Angeklagte habe sich des vorsätzlichen Bankrotts in Tateinheit mit Vereitelung von Zwangsvollstreckung schuldig gemacht. Anfang März 2018 habe sie eine Bausparkasse veranlasst, den Resterlös aus der Zwangsversteigerung ihres Eigenheims in Höhe von fast 4.000 Euro auf ein privates Konto zu überweisen, um den Betrag dem Zugriff ihrer Gläubiger zu entziehen. Die Geschichte dahinter, wie sie in der folgenden Stunde im Gerichtssaal publik wird, wenn auch mitunter nur bruchstückhaft, vermittelt den Eindruck einer zutiefst tragischen, letztlich existenzzerstörenden Verstrickung, in die nach und nach auch Außenstehende hineingezogen wurden.
Hilfsbereitschaft mit Absturzfolge
Renate Knauss ist ohne Verteidiger erschienen. Den könne sie sich nicht leisten, sagt die Rentnerin. Gegen den ihr zugestellten Strafbefehl hat sie gleichwohl Einspruch eingelegt und verteidigt sich selbst. Den Betrag habe sie sich überweisen lassen, weil sie aus ihrem Haus ausziehen musste und Geld für den Umzug brauchte, gibt sie an. Dass dies eine Straftat war, sei ihr nicht bewusst gewesen, und das Geld sei auch „gleich zurückgeflossen“. Und dann erzählt die gelernte Speditionskauffrau, wie sie in diese Abwärtsspirale geraten ist, die sie als ehemalige Eigenheimbesitzerin trotz arbeitsreichem Leben und verdienstvollem sozialem wie politischem Engagement immer tiefer in die Verschuldung und in die Schuld anderer führte, sodass zuletzt ihr eigenes Dach über dem Kopf zwangsversteigert wurde. Vor Jahren habe sie „einer bekannten Unternehmerfamilie 100.000 D-Mark geliehen“, indem sie ihr eigenes Haus belastete. Bis heute habe sie jedoch „keinen Cent“ zurückerhalten. Inzwischen sei das Ehepaar verstorben, sie selbst ins Rentenalter gekommen. Schließlich reichte die Rente nicht mehr, um die aufgelaufenen Verbindlichkeiten zu bedienen. Neue Schulden traten zu den alten. „Wir zahlen jeden Monat und versuchen, die Gläubiger zu befriedigen“, beteuert sie vor dem Richter.
Ehrlichkeit anerkannt
Richter Fabian Weisse hört aufmerksam zu, fragt nach, macht sich Notizen und erklärt dann: „Ich schätze es, dass Sie uns gegenüber ehrlich waren.“ Aus rechtlicher Sicht habe der alte Kinderspruch „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“ zwar weiterhin Gültigkeit. Aber das geäußerte Eingeständnis eröffne verfahrenstechnische Möglichkeiten: nämlich entweder den Einspruch in der bisherigen Form aufrechtzuerhalten oder ihn „auf die Rechtsfolgen zu beschränken“. Sprich, wenn die Tat nicht bestritten wird, steht nur noch das Strafmaß zur Debatte, eine langwierige Beweisaufnahme mit möglicherweise weiteren unangenehmen Details entfällt. Am Ende könne sogar „weniger herauskommen“, meint der Richter. Er könne aber nichts versprechen.
Verfahren abgekürzt
Nach zehn Minuten Bedenkzeit entscheidet sich Renate Knauss für die zweite Variante. Dann geht alles schnell. Der Richter entlässt die Zeugen, darunter offenbar auch die mit der Überweisung befasste Bausparkassenmitarbeiterin, ohne Anhörung. Er eröffnet und schließt auch gleich wieder die Beweisaufnahme, um lediglich formell festzustellen, dass die Beklagte bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, und erteilt Staatsanwalt Lau das Wort für sein Plädoyer. Dieser bescheinigt der Angeklagten ebenfalls Aufrichtigkeit. Obwohl sie eine andere Person in ihre Tat hineingezogen habe und es sich um einen erheblichen Betrag handle, halte er eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen à zehn Euro für ausreichend und angemessen.
„Versucht, allen gerecht zu werden“
Mit teils tränenerstickter Stimme versichert Renate Knauss in ihrem Schlusswort: „Ich bin mein Leben lang durch die Welt gegangen und habe versucht, allen gerecht zu werden.“ Sie habe nicht betrügerisch gehandelt, wisse nun nicht, wie sie die Strafe bezahlen solle, und bitte um Halbierung des Betrags. Am Ende entscheidet der Richter nach einer weiteren Unterbrechung in einem teils stakkatohaft vorgetragenen Urteil auf 70 Tagessätze, zu zahlen in monatlichen Raten von je 50 Euro. Wobei er die Unterschreitung des staatsanwaltlichen Antrags mit fehlenden Vorstrafen und der Glaubwürdigkeit der Angeklagten begründet, andererseits die erbetene Halbierung wegen der Einbeziehung einer zweiten Person als „nicht schuldangemessen“ zurückweist.
„Dumm gelaufen“
Für die Angeklagte sei es „dumm gelaufen“, wie sie in diese Situation geraten sei, sagt der Richter. Da sie „vermögenslos“ sei, denn auch ihre Rente ist verpfändet, sei die monatliche Ratenzahlung moderat. Abschließend belehrt er sie noch, dass sie innerhalb einer Woche gegen das Urteil Revision einlegen könne. Ein Gläubigerpaar, das nach seiner Zeugenentlassung im Zuhörerraum Platz genommen hatte, kommentiert den Ausgang der Verhandlung draußen weniger verständnisvoll: Man fühle sich verschaukelt und hinters Licht geführt.
Autor:Chris Heinemann aus Bretten |
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