Expert*innen informierten zu: Impfungen bei Immunschwäche
Neben der Corona-Schutzimpfung sind weitere Impfungen empfohlen
Menschen, deren Immunsystem durch eine Erkrankung oder durch bestimmte Medikamente geschwächt ist, müssen sich im Herbst und Winter ganz besonders vor Infektionskrankheiten in Acht nehmen. Schutz bieten die von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen, nicht nur gegen das Coronavirus, sondern zum Beispiel auch gegen Grippe, Pneumokokken und Meningokokken. Wer zu den Risikogruppen zählt und wie ein umfassender Impfschutz aussieht, darüber informierten Fachärztinnen und Fachärzte in der Sprechzeit. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten in der Übersicht:
Wann spricht man von einem geschwächten Immunsystem?
Dr. med. Burkhard Lawrenz: Am häufigsten wird eine Immunschwäche durch Medikamente verursacht, die man wegen chronischen Krankheiten einnehmen muss oder vom Arzt gespritzt bekommt. Dabei handelt es sich meist um Cortison oder um Antikörper gegen entzündliche Erkrankungen, beispielsweise Rheuma, Schuppenflechte oder multiple Sklerose, sowie um Medikamente gegen Krebs, zum Beispiel im Rahmen der Chemotherapie. Seltener wird die Immunschwäche durch Krankheiten wie AIDS, Blutkrebs (Leukämie) oder die operative Entfernung der Milz wegen Unfall oder Krankheit verursacht. Ganz selten gibt es angeborene Störungen des Immunsystems mit unterschiedlich schwerer Abwehrschwäche. Und nicht zuletzt wird die Funktion unseres Immunsystems im hohen Alter immer schwächer.
Welche Infektionskrankheiten umfassen die Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission bei Immunschwäche?
Dr. med. Gunther Gosch: In der STIKO-Empfehlung wird Personen mit einer Immunschwäche empfohlen, sich gegen Hepatitis B, Gürtelrose, Grippe sowie Erkrankungen durch Meningokokken und insbesondere Pneumokokken impfen zu lassen. Letztere können Auslöser von Hirnhaut- und Lungenentzündung, Blutvergiftung und anderen schweren Erkrankungen sein. Neben der Impfempfehlung hat die STIKO Anwendungshinweise zum Impfen bei Immunschwäche veröffentlicht. Dort wird zusätzlich die Impfung gegen humane Papillomviren (HPV) hervorgehoben. Darüber hinaus ist bei Immundefizienz die Corona-Schutzimpfung von besonderer Bedeutung.
Welchen Risikogruppen genau empfiehlt die STIKO diesen umfassenden Impfschutz?
Dr. med. Ulrich Enzel: Die STIKO benennt als konkrete Vorerkrankungen chronische Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Erkrankungen der Atmungsorgane, wie Asthma bronchiale, Lungenemphysem und COPD. Ebenfalls aufgeführt sind Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes mellitus Typ 1 und 2 sowie neurologische Krankheiten, etwa Zerebralparesen oder Anfallsleiden. Aber auch Patienten mit anderen schweren chronischen Krankheiten sollten diesen Impfschutz erhalten. Schließlich werden auch Patienten mit angeborenen und – zum Beispiel durch Medikamente – erworbenen Immundefekten aufgelistet sowie HIV-Infizierte.
Warum ist das Infektionsrisiko im Herbst und Winter höher?
Dr. med. Bettina Schraut: Zum einen fühlen sich Viren bei kälteren Temperaturen wohler und können sich leichter vermehren – die Ausbreitung von Corona besonders im Herbst und Winter hat das eindrücklich gezeigt. Zum anderen halten sich Menschen vermehrt in Innenräumen auf, oftmals ohne ausreichende Lüftung. Beides steigert das Infektionsrisiko und sorgt für einen wellenartigen Verlauf der Erkrankungen.
Worauf müssen Patienten mit Blick auf die Impfung achten, die in onkologischer Behandlung sind?
Dr. med. Andreas Busse: Immunschwache Patienten sind durch Infektionen mit Viren und Bakterien stärker gefährdet als Gesunde. Daher ist es gerade für Patienten, die an einer Krebserkrankung leiden, bei der die Krankheit selbst und deren Therapie Auswirkungen auf das Immunsystem hat, sehr wichtig, alle zu Verfügung stehenden und empfohlenen Schutzimpfungen zu nutzen. Gemeinsam mit dem behandelnden Onkologen sollten die Termine für Impfungen so geplant werden, dass die Schutzwirkung der Impfung möglichst wenig von der Behandlung beeinträchtigt wird, denn diese unterdrückt das Immunsystem mehr oder weniger stark. Außerdem sollten alle engen Kontaktpersonen unbedingt einen vollständigen Impfschutz haben und damit eine Ansteckung ihres kranken Angehörigen verhindern.
Welche Medikamente gegen Rheuma schwächen die Immunabwehr?
Dr. med. Franziska Wiesent: Hier ist in allererster Linie der Entzündungshemmer Cortison – richtiger Glucocorticosteroide – zu nennen, der in Abhängigkeit von Einnahmedauer und Dosierung die Infektabwehr beeinträchtigt. Daneben sind die früher Basistherapie genannten DMARDs (disease modifying antirheumatic drugs) wichtig, die auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher Intensität in das Immunsystem eingreifen und damit die Infektabwehr schwächen.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für die empfohlenen Impfungen?
Dr. med. Burkhard Lawrenz: Wenn eine chronische Krankheit festgestellt wird, die eine Behandlung mit Cortison oder anderen abwehrschwächenden Medikamenten erfordert, soll der Impfschutz überprüft werden. Die empfohlenen Impfungen sollen dann so schnell wie möglich durchgeführt werden, am besten noch vor oder kurz nach dem Beginn der Behandlung. Auch wenn die Immunschwäche durch eine Erkrankung verursacht wird, sollen die empfohlenen Impfungen möglichst früh durchgeführt werden – sobald der Allgemeinzustand und der Krankheitsverlauf das zulassen. Die Entscheidung über den richtigen Zeitpunkt fällen die behandelnden Ärzte. Eine weitere Rolle spielt die saisonale Häufung von Infektionskrankheiten wie Grippe oder Pneumokokken. Der Impfschutz sollte deshalb vor Beginn der kalten Jahreszeit komplettiert werden.
Warum sind bakterielle Krankheitserreger für Immungeschwächte so gefährlich?
Dr. med. Ulrich Enzel: Jede Infektionskrankheit ist eine Auseinandersetzung zwischen dem Erreger und unserem Immunsystem. Manche dieser Krankheitserreger haben raffinierte Strategien entwickelt, um unsere Abwehr zu überlisten. So umhüllt sich beispielsweise das Pneumokokken-Bakterium – ähnlich einer Kokosnuss - mit einer schwer knackbaren Kapsel. Ein topfittes Immunsystem schafft diese Aufgabe, aber eine durch Krankheit oder bestimmte Medikamente geschwächte Abwehr kann leicht überwunden werden. Dann können sich solche Erreger im Körper ausbreiten und Lungen- und Hirnhautentzündungen auslösen, im schlimmsten Fall sogar eine nicht selten tödlich verlaufende Sepsis.
Warum ist die Impfung gegen Pneumokokken ergänzend zur Covid19-Impfung sinnvoll?
Dr. med. Gunther Gosch: Virusinfektionen wie COVID oder Influenza stellen das Immunsystem vor eine erhebliche Herausforderung. Eine zusätzliche Infektion durch Pneumokokken kann einen Zusammenbruch oder eine überschießende Reaktion des Immunsystems und schwere bis tödliche Komplikationen auslösen.
Wie kann eine Impfung schützen, wenn doch das Immunsystem geschwächt ist?
Dr. med. Franziska Wiesent: Die Schwächung des Immunsystems durch eine Erkrankung oder eine notwendige immunsuppressive Therapie beeinträchtigt in der Regel nur Teile des sehr komplexen Abwehrsystems. Die davon nicht betroffenen Wege funktionieren, so dass in aller Regel ausreichende Immunantworten auf eine Impfung erreicht werden können. Einzelne Medikamente oder Situationen der Erkrankung können aber in der Tat dazu führen, dass kein ausreichender Impfschutz aufgebaut werden kann. In solchen Fällen ist eine individuelle Bewertung der Situation notwendig.
Wie gehe ich es konkret an, einen möglichst vollständigen Impfschutz zu bekommen?
Dr. med. Bettina Schraut: Der einfachste und beste Weg ist es, den Impfstatus von Ihrer Hausärztin oder Ihrem Hausarzt checken zu lassen. Nehmen Sie dazu – soweit vorhanden – den gelben Impfpass mit. Alternativ können Sie das Thema auch im Rahmen der fachärztlichen Betreuung einer etwaigen Grunderkrankung ansprechen.
Werden die Kosten für die von der STIKO empfohlenen Impfungen von meiner Krankenversicherung übernommen?
Dr. med. Andreas Busse: Impfungen, die von der STIKO empfohlen sind, werden üblicherweise von allen Krankenkassen finanziert und sind beihilfefähig. Zusätzlich können die Krankenkassen die Kostenübernahme von weiteren Impfungen vorsehen, die nicht Bestandteil der Schutzimpfungs-Richtlinie des Gemeinsamen-Bundes-Ausschusses sind. Hierzu können zum Beispiel bestimmte Reiseschutzimpfungen zählen.
Die Experten am SPRECHZEIT-Telefon waren:
• Dr. med. Franziska Wiesent; Fachärztin für Innere Medizin, Schwerpunkt Rheumatologie, Zusatzbezeichnung Akupunktur, Endokrinologikum München
• Dr. med. Bettina Schraut; Fachärztin für Innere Medizin, Notfallmedizin, Diabetologin DDG, Aschheim
• Dr. med. Ulrich Enzel; Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Zusatzbezeichnung Allergologie, Autor von Fachpublikationen zum Thema Prävention u.a. im Bereich Impfwesen, Heilbronn
• Dr. med. Burkhard Lawrenz; Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologe, Privatpraxis für Kinder- und Jugendmedizin, Arnsberg/Westfalen, u.a. Sprecher im Ausschuss Prävention im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ) und Mitglied der Ernährungs-, Leitlinien- und Screening-Kommission der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin (DGKJ)
• Dr. med. Andreas Busse; Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Schwerpunkt Infektiologie; Impfungen, Allergologie und Ernährung, Tegernsee
• Dr. med. Gunther Gosch; Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologe, Mitglied des Arbeitskreis Impfen der Landesvereinigung Sachsen-Anhalt e.V., wissenschaftliche und organisatorische Leitung von „impfmedizin.aktuell“, Magdeburg
Autor:Kraichgau News Ratgeber aus Bretten |
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