Vierter Verhandlungstag im Oberderdinger Mordprozess: Desinfektionsmittel als Brandbeschleuniger?
Auch der vierte Verhandlungstag im Oberderdinger Mordprozess vor dem Karlsruher Landgericht hat keine endgültige Gewissheit gebracht, ob mit dem 24-jährigen Altenpflege-Azubi der Richtige auf der Anklagebank sitzt.
KARLSRUHE/OBERDERDINGEN (ch) Auch der vierte Verhandlungstag im Oberderdinger Mordprozess vor dem Karlsruher Landgericht hat keine endgültige Gewissheit gebracht, ob mit dem 24-jährigen Altenpflege-Azubi der Richtige auf der Anklagebank sitzt. Ihm werden unter anderem Mord an einer 82-jährigen Pflegeheimbewohnerin in Oberderdingen in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung sowie Brandstiftung in zwei weiteren Fällen vorgeworfen. Da der Angeklagte weiterhin von seinem Aussageverweigerungsrecht in der Sache Gebrauch macht, setzte das Gericht seine Bemühungen fort, mit der Vernehmung zusätzlicher Zeugen und Sachverständiger mehr Licht ins Halbdunkel des Tathergangs zu bringen.
Weiterer Verdächtiger vorgeladen
Im Zentrum der sich über fast acht Stunden hinziehenden Befragungen standen diesmal die polizeilichen Ermittlungen: Alle geladenen Zeugen waren Polizisten, zwei der vier angehörten Sachverständigen sind Spezialisten des Landeskriminalamts. Zu Beginn gab der Vorsitzende Richter Leonhard Schmidt bekannt, dass er für den 5. Februar auch jenen wenige Monate vor dem Brand gekündigten Pflegeheimmitarbeiter geladen habe, der nach dem Brand – wie an einem voran gegangenen Verhandlungstag bekannt geworden war - durch abfällige Bemerkungen über das betroffene Heim aufgefallen war. Obwohl der Mann derzeit in der Türkei sei, habe er angekündigt zu kommen, so Schmidt.
Zwei identische Drei-Loch-Masken
Die zuerst angehörte Kriminalbeamtin aus Karlsruhe schilderte den Zustand des Brandzimmers im Pflegeheim nach Eintreffen der Polizei, während der Vorsitzende ihre Schilderung mit Fotos von den fast kniehoch schwarz verrußten Zimmerwänden und dem vom Feuer völlig zerstörten unbenutzten Zusatzbett unterlegte. Anschließend berichtete der damalige Leiter des Bruchsaler Kriminalkommissariats von der Vollstreckung des Haftbefehls gegen den Angeklagten und den nachfolgenden Hausdurchsuchungen, die unter anderem fünf Sturmhauben, darunter zwei identische Drei-Loch-Masken und drei gewöhnliche Motorradhauben, drei Spritkanister, zwei abgeschnittene Hosenbeine einer Tarnhose sowie diverse Sportschuhe der Marke Nike aus dem Besitz des Angeklagten zutage gefördert hatten. Einen der Kanister, ein besonders flaches, seltenes Metallmodell in grüner Farbe und mit Höcker an der Oberseite haben die Ermittler im Verdacht, dass er bei einem der beiden Scheunenbrände verwendet worden ist.
Eine Tante bei der Polizei
Der nächste Kripo-Beamte berichtete von Vernehmungen zahlreicher Heimbewohner, die jedoch alle nichts zur Klärung beitragen konnten. Nebenbei bestätigte er auf Nachfrage des Vorsitzenden, dass eine Heimbewohnerin den Angeklagten verdächtigt, ihre EC-Karte gestohlen zu haben. Sie habe ihn auf Bildern einer Überwachungskamera an einem Geldautomaten an seinem Arm-Tattoo erkannt. Außerdem erwähnte er, dass der Angeklagte eine Tante bei der Polizei habe, mit der er Kontakt hatte. Als vierte Zeugin gab eine Karlsruher Kriminalkommissarin Auskunft über die Brandermittlungen an der betroffenen Scheune und im Pflegeheim, die zum Ergebnis hatten, dass an beiden Tatorten Brandbeschleuniger verwendet wurden. Sie übergab den fraglichen grünen Kanister, die Sturmhauben und die Hosenbeine ans Gericht.
Desinfektionsmittel als Brandbeschleuniger
Etwas präzisere Aussagen über die wahrscheinliche Brandursache traf sodann eine als Sachverständige geladene Chemikerin des Landeskriminalamts aus Stuttgart. Die auffällig scharfkantige Brandstellen auf dem Teppich am Fußende des verbrannten Pflegebetts, fließende Brandspuren auf dem Teppich in Richtung zum Bett der getöteten Bewohnerin sowie ein merkwürdiger separater Brandfleck an der Wand hinter dem Bett sprächen eindeutig für das Verschütten einer brennbaren Flüssigkeit. Ohne Brandbeschleuniger, sie sprach vom Desinfektionsmittel Aceton, sei der Teppich nicht in Brand zu setzen, betonte die Expertin. Ein technischer Defekt scheide aus, da das Bett nachweislich nicht an der Steckdose gewesen sei. Ob der im Spritkanister noch festgestellte Kraftstoff derselbe ist, der für den Scheunenbrand verwendet wurde, konnte die Chemikerin jedoch nicht sagen.
Ermittlungen nach Ausschlussprinzip
Am Nachmittag referierte dann der Kripo-Beamte, der die Ermittlungen über die gesamten zwei Monate seit dem Scheunenbrand Ende März begleitet hatte, noch einmal zusammenhängend den gesamten Verlauf. Im Fall des Pflegeheimbrands sei der Angeklagte nur eine Viertelstunde unbeobachtet gewesen „und dann brannte das Bett“. Bei den Ermittlungen sei man nach dem Ausschlussprinzip vorgegangen und habe so den Kreis der Verdächtigen immer weiter eingeengt, bis am Schluss nur der Angeklagte übrig geblieben sei. Dass dieser, als er ihn bei der Festnahme mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen konfrontiert hatte, „gar keine Reaktion“ gezeigt habe, habe ihn „sehr überrascht“, bekannte der Beamte. Nur als dann vom Haftbefehl die Rede war, habe er „gezittert“. Weiterhin gab er die Aussage eines ehemaligen Kollegen des Angeklagten wieder, dem der Angeklagte einen Tag vor dem Pflegeheimbrand gesagt haben soll, dass es „eine coole Erfahrung wäre, wenn man noch mal einen Menschen retten könnte“.
Zweifel an Sachverständigen
Da das Gericht mit den Anhörungen in Verzug geraten war, wurde die Aussage des Ermittlers für eineinhalb Stunden unterbrochen, um erst die drei noch wartenden Sachverständigen zu Wort kommen zu lassen. Ein LKA-Fachmann für Textilvergleiche erklärte anhand von Infrarot-Vergleichsbildern, dass die beschlagnahmten Hosenbeine zur vom Täter getragenen Tarnhose auf den Überwachungskamera-Fotos passten. Dies wurde vom Verteidiger angezweifelt mit dem Ergebnis, dass der Experte sowohl schärfere als auch größenmäßig angepasste Fotos nachliefern muss. Wenig Erhellendes konnte eine Freiburger Anthropologin zur Frage beisteuern, ob unter der Loch-Maske auf der Überwachungskamera tatsächlich der Angeklagte steckte. Die vage erkennbare v-förmige Kinnpartie und die auf einen Brillenträger hinweisenden Reflexionen im Augenbereich hätten nur eingeschränkte Aussagekraft, räumte sie ein. Dagegen erklärte eine Heidelberger Rechtsmedizinerin klipp und klar, dass die getötete Heimbewohnerin an Atemversagen infolge Rauchgaseinatmung gestorben sei. Und zwar unter äußersten Schmerzen, wie sie auf Nachfrage des Richters bestätigte.
Überraschender Beweisantrag
In der letzten Dreiviertelstunde, in der der unterbrochene Kripo-Beamte weiter befragt wurde, versuchte Verteidiger Bastian Meyer, der sich immer wieder mit kritischen Nachfragen eingeschaltet hatte, noch einmal mit aller Macht, die auf seinen Mandanten verengte Ermittlungsarbeit der Polizei infrage zu stellen.
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Autor:Chris Heinemann aus Bretten |
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