Erhaltenswerte Gebäude retten
Online-Kampagne "Orange Liste" startet mit dem "Blauen Haus" in Oberderdingen

Bürgermeister Thomas Nowitzki, Julia Stein, Matthias Binninger und Selina Wach von Denkmalnachhaltig sowie die Grünen-Landtagsabgeordneten Andrea Schwarz und Barbara Saebel (von links). Foto: kuna | Foto: kuna
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  • Bürgermeister Thomas Nowitzki, Julia Stein, Matthias Binninger und Selina Wach von Denkmalnachhaltig sowie die Grünen-Landtagsabgeordneten Andrea Schwarz und Barbara Saebel (von links). Foto: kuna
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Oberderdingen (kuna) Mit dem „Blauen Haus“ in Oberderdingen ist am Montag, 29. Januar, der Startschuss für die deutschlandweite Online-Kampagne "Orange Liste" gefallen, die sich für den Erhalt von historischen Bauten einsetzt. Initiiert wurde die Aktion von der Denkmalnachhaltig GmbH aus Rot an der Rot, und auch die Altstadtrettung Bretten ist als Partner mit an Bord. Schirmherrin für Baden-Württemberg sowie maßgebliche Netzwerkerin ist die Landtagsabgeordnete Barbara Saebel (Grüne) vom Wahlkreis Ettlingen.

"Blaues Haus" steht seit 34 Jahren leer

Das "Blaue Haus" steht geradezu sinnbildlich für die Schwierigkeiten des Erhalts von historischem Bestand. Das sanierungsbedürftige Fachwerkhaus in der Oberen Gasse 15 stammt aus dem 16. Jahrhundert und steht laut Bürgermeister Thomas Nowitzki seit 34 Jahren leer. In 2020 habe die Stadt das Gebäude von einer Erbengemeinschaft erworben. Schon damals war das Dach von einer Plane bedeckt, um es provisorisch vor den Einflüssen der Witterung zu schützen. Doch seit vielen Jahrzehnten hat sich an dem Gebäude nichts getan. Das Äußere macht keinen Hehl aus dessen schlechten Zustand: Neben dem abgedeckten Dach ist auch ein blaues Netz um die Fassade gespannt, das Passanten vor herabbröckelnden Teilen schützen soll.

Denkmal sucht Liebhaber

Nowitzki bezeichnete die Restaurierung des "Blauen Hauses" als eine Herausforderung: Immerhin sei das Haus von allen Seiten klar eingegrenzt. Auch die Abstimmung mit der Denkmalpflege falle zunehmend schwerer, kritisierte der Schultes. Das Ziel sei es nun, einen Liebhaber für das denkmalgeschützte Haus zu gewinnen, der dem Objekt neues Leben einhaucht.

Erhaltenswerte Gebäude online einreichen

Genau das sei das erklärte Ziel der "Orangen Liste", erwiderte Matthias Binninger, Geschäftsführer der Denkmalnachhaltig GmbH. Die Initiative sehe vor, das Bauen im Bestand und zugleich das zivilgesellschaftliche Engagement zu stärken. Dafür seien nun deutschlandweit alle Bürgerinnen und Bürger eingeladen, sich für die Bauten in der eigenen Gemeinde stark zu machen und Objekte wie das "Blaue Haus" auf der Website orangeliste.com einzureichen.

"Blaues Haus" erhält den orangen Punkt

Die eingereichten Bauten werden dann vom Team der "Orange Liste" gesichtet und, je nach Zustand, in ein Farbsystem eingeordnet. Dabei bediene man sich der Methodik der Denkmalforscherin Dr. Diana Wiedemann, erläuterte Julia Stein von Denkmalnachhaltig. Rot, orange, gelb und grün sind möglich. "Dabei bedeutet rot, dass es keine Rettung mehr gibt und grün, dass das Objekt saniert werden konnte", so Stein. Gerade diese beiden Farben seien wichtig, da gerettete Bauten als Hoffnungsträger fungieren, während rote Bauten ein Warnsignal sind – hier ist etwas verloren gegangen. Das "Blaue Haus" erhält einen orangen Punkt: Herausfordernd, aber machbar.

"Graue Flecken in den Städten sichtbar machen"

Nach und nach soll auf der Website der "Orange Liste" eine Landkarte mit vielen bunten Punkten entstehen. "So wollen wir die grauen Flecken in den Städten sichtbar machen", erklärte Binninger, "und dadurch die politischen Diskurse im Hintergrund anregen." Ein bundesweites Netzwerk aus engagierten Bürgern und Experten aus dem denkmalpflegerischen Bereich aufzubauen, sei das Ziel hinter der Kampagne. "Wir wollen die richtigen Menschen, die richtigen Orte und das richtige Können zusammenbringen", so Binninger.

Kommune kann Sanierungen nicht alleine stemmen

Dabei betonten die Initiatoren immer wieder das zivilgesellschaftliche Engagement. Denn eine Kommune alleine sei nicht in der Lage, die vielen Sanierungen zu stemmen, vor allem aus finanzieller Sicht, erklärte die Grünen-Politikerin Saebel. Auch Jutta Riekert, die Leiterin des Oberderdinger Bauamtes, machte deutlich: "Es braucht einen langen Atem. Das 'Blaue Haus' ist eine Herzensangelegenheit für die Gemeinde, aber es ist auch ein Millionenprojekt." Die Stadt könne immer nur ein Projekt nach dem anderen angehen, meinte die Bauamtsleiterin und verwies auf zwei anstehende Projekte, in beiden Fällen Umnutzungen von historischen Bauten zu Kindergärten: das Fachwerkhaus in der Hauptstraße 35 und die ehemalige Güterhalle in Flehingen.

Viele grüne Punkte in Oberderdingen

Die Stadt Oberderdingen könne neben dem "Blauen Haus" aber auch eine Reihe von grünen Punkten zu der "Orange Liste" beisteuern, so Riekert, die als Beispiele das Torwächerhaus, die Mediathek und das Aschingerhaus nannte.

"Jedes Gebäude braucht eigene Rettungsperspektive"

Wichtig für den Erhalt sei vor allem das Nutzungskonzept, betonte die Bauamtsleiterin, denn es leiste einen entscheidenden Beitrag für die Akzeptanz durch die Bevölkerung. "Jedes Gebäude braucht seine eigene Rettungsperspektive", pflichtete Binninger bei. Je nach Objekt gebe es "einen bunten Blumenstrauß an Möglichkeiten", der von Wohnen, Büros bis zu städtischen Einrichtungen reiche.

Verschiedene Finanzierungen denkbar

Auch die Finanzierung könne sich je nach Gebäude unterscheiden. Die Landtagsabgeordnete Saebel verwies dabei auf ein gelungenes Gemeinschaftsprojekt aus Leutkirch: Der Bahnhof konnte dort durch eine Bürgergenossenschaft gerettet werden. Rund 1.000 Bürger hätten jeweils 1.000 Euro beigesteuert und so ein Projekt auf die Beine gestellt, mit dem sich jeder Beteiligte identifizieren könne. Am Ende sei mit dem Bürgerbahnhof eine Gaststätte entstanden und damit ein lebendiger Treffpunkt für die ganze Gemeinde.

Verfall ist auch eine Demonstration der Machtlosigkeit

Saebel kam in diesem Zusammenhang auch auf den Begriff der "Beheimatung" zu sprechen: Ein Gebäude im regionaltypischen Stil, angepasst an das Ortsbild, würde ein Gefühl der Zufriedenheit stiften, das die moderne Architektur oftmals nicht leiste, die von vielen Menschen als seelenlos und beliebig wahrgenommen werde. "Sich daran zu erfreuen, was einen täglich umgibt, wurde über viele Jahre nicht mitgedacht", so Saebel. Durch den zunehmenden Verfall der historischen Bauten, seien sie denkmalgeschützt oder nicht, gehe stetig ein Stück der Identität verloren. "Und es ist für viele Menschen auch eine Demonstration der Machtlosigkeit", meinte die Grünen-Politikerin. Die Bürgerinnen und Bürger wieder zu ermächtigen, ein Teil einer Gemeinschaft zu sein – auch das ist die Absicht hinter der "Orange Liste".

Klimaschutz als bedeutender Faktor

Doch nicht nur wegen dieser identifikatorischen Merkmale sei der Erhalt der Bausubstanz von Bedeutung. "Dabei geht es auch um den Klimaschutz", betonte die Grünen-Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Bretten, Andrea Schwarz. Immerhin würden rund 40 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen auf den Bausektor entfallen, ergänzte Parteikollegin Saebel.

Im vergangenen Jahrhundert sei die Menschheit einem regelrechten Machbarkeitswahn erlegen. "Es muss immer höher und schneller gebaut werden – das ist das Gegenteil von nachhaltig", so Saebel. Statt immer mehr Verdichtung und Flächenversiegelung voranzutreiben, sei es ein Gebot der Stunde, den Bestand stärker in den Fokus zu nehmen.

Neubauten nicht mehr als Einmalobjekt denken

Binniger verwies zudem auf die vielfältigen Naturmaterialien, die in den historischen Bauten verbaut seien. "Gesunde Baustoffe" wie Holz seien über Jahrtausende nutzbar. Die Zeit, in der ein Neubau als Einmalobjekt gedacht werden könne, sei vorbei.

Autor:

Kathrin Kuna aus Bretten

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